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Gewappnet gegen Kälte und Eisbären

Das Forschungsschiff Polarstern hat sich auf die Reise ans Ende der Welt gemacht. Die größte Polarexpedition aller Zeiten geht an den Start.

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Von Wolfgang Mulke

29. Aug. 2019 –

Ein warmer Sommerabend im August 2019: Der Sturm tagsüber ist abgeflaut, die „blaue Stunde“ senkt sich über Bremerhaven. Pünktlich um 21.00 Uhr lässt Kapitän Thomas Wunderlich das Signalhorn zum Auslaufen der Polarstern erschallen. Das frisch in blauer und weißer Farbe lackierte Forschungsschiff wird von Schleppern in die Schleuse gezogen. So schicken sie es auf große Fahrt. Ein Jahr lang wird das Schiff den Heimathafen nun nicht mehr anlaufen. Wenn alles gut geht. Auf den Tag genau vor 500 Jahren ließ der portugiesische Seefahrer Ferdinand Magellan die Segel für die erste erfolgreiche Weltumrundung hissen. Ein Zufall.

„Wenn wir die Framströmung treffen, kommen wir auch in der Framstraße heraus“, sagt Wunderlich und zündet sich eine Zigarette an. Das ist die einfache Beschreibung für eine Durchquerung des arktischen Polarmeeres. Die Anspannung ist dem Kapitän des Eisbrechers kurz vor der Abfahrt nur durch das häufige Klicken seines Feuerzeugs anzumerken. Kurz ruft er die rund 50 Wissenschaftler an Bord noch zur Notfalleinweisung auf den Landeplatz des Helikopters. Die Forscher, darunter viele Doktoranden und Praktikanten, legen die roten Rettungswesten an und hören den Anweisungen der Crew zu. Die „Bullenshow“, bei der sich die Offiziere der Polarstern kennenlernen, findet erst auf See statt.

Von dieser letzten Station an Land aus wird sich der bullige Eisbrecher mit sieben Decks durch die Wellen ins ostsibirische Meer kämpfen und dort eine große, feste Eisscholle suchen, die ein Jahr lang als Basis der Polarstern dienen soll. Dann wird der Motor gestoppt und das Schiff friert langsam im Eis ein. Auf die ebenfalls etwa 50 Crewmitglieder und die Forscher wartet dort erst einmal eine lange Periode der Dunkelheit. Ab November dringt tagsüber kein Licht mehr durch, jenseits des 80. Breitengrades auch kein Polarlicht mehr. Diese Tour hat der norwegische Entdecker Fridtjof Nansen zwischen 1893 und 1896 erfolgreich gewagt. 2006 ließ sich das kleine französische Forschungsschiff Tara auf diese Reise ein. Viel mehr als die Erkenntnisse dieser beiden Expeditionen hat die Wissenschaft derzeit nicht. Es geht sozusagen in uraltes Neuland.

Die Polarstern gehört der Bundesrepublik Deutschland, genutzt wird sie vom bundeseigenen Alfred-Wegener-Institut (AWI), das Meeres- und Polarforschung betreibt und nun die Expedition der Superlative führt. Dem Eisdruck werde das Schiff locker standhalten, versichert Wunderlich. Bis zu 1,50 starkes Eis durchpflügt die Polarstern problemlos. Ist die Wand dicker, nimmt der Kapitän wieder und wieder Anlauf, um einen freien Weg zu bahnen. Fast 20.000 PS stark sind die Maschinen. „Das ist eine gutmütige alte Dame“, sagt Wunderlich. 1982 war ihr Stapellauf.

Der Raum auf dem 118 Meter langen Schiff ist bis auf den letzten Zentimeter mit Forschungsequipment beladen. In blauen Containern sind Labore untergebracht, unter Deck wartet ein Raupenfahrzeug auf die erste Eisberührung. Für Abwechslung der Besatzung sorgt ein Besuch im „Zillertal“. Das ist die kleine Bar an Bord, deren Wänden mit hunderten bunten Aufklebern versehen sind und wo es ein frisch gezapftes Bier gibt. Die künstliche Holzvertäfelung und die roten Stoffsessel und Sofas versprühen den Charme der frühen achtziger Jahre. Currywurst, Pommes und Salatbuffet stehen als letzten Mahlzeit vor der Abfahrt für die Besatzung bereit.

Der Luxus von Kreuzfahrtschiffen ist hier so weit entfernt wie das Reiseziel Polarmeer. Die Wissenschaftler teilen sich je zu zweit eine Kabine mit Doppelstockbett und großem Schreibtisch. Der kleine Spind reicht gerade einmal für die wichtigsten persönlichen Habseligkeiten. In einem zweiten Spind außerhalb können die Mitfahrer und Mitfahrerinnen das Outfit für die Feiern an Bord unterbringen. Davon gibt es durch die multinationale Zusammensetzung viele. Christliche Weihnacht, russisch-orthodoxe, das chinesische Neujahrsfest und einiges mehr.

Anspannung und Vorfreude steht den Teilnehmern kurz vor der Abfahrt ins Gesicht geschrieben. „Ich bin ziemlich aufgeregt“, sagt eine junge Frau, die sich zum ersten Mal auf große Fahrt begibt. Eigentlich ist sie Psychotherapeutin von Beruf. Doch ein privater Einschnitt habe sie bewogen, nun etwas ganz anderes anzufangen. Nun begleite sie die Forscher als Stewardess an Bord. Es wird Zeit. Die Seeleute werden gleich die Gangway fortziehen. Sie geht schnell wieder auf das Schiff.

Das hat Olaf Stenzel mit seinem kleinen Sohn gerade verlassen. Der Polizist und Waffenexperte wird im September im norwegischen Tromsø wieder an Bord gehen. Er ist für den Schutz der Expeditionsmitglieder vor Eisbär-Attacken zuständig. Derlei Angriffe sind eines der größten Risiken auf der Tour. Niemand weiß, wie viele es in der Zielregion gibt. Die Wissenschaftler arbeiten außerhalb des sicheren Bootsrumpfes. Das macht sie angreifbar.

„Ziel ist es, keine Eisbären zu töten“, sagt der Waffenexperte. Dafür haben Forscher und Crew reichlich unter seiner Anleitung geübt. „Ein Eisbär ist so schnell wie ein Pferd“, erläutert er. Weglaufen ist keine Option. Die Tiere sollen den Menschen möglichst gar nicht erst nahe kommen. Deshalb wird in einem weitem Abstand rund um das Schiff ein Signalzaun errichtet. Bei Berührungen löst sich eine Leuchtkugel zur Warnung. Auf Hochständen verfolgen die insgesamt sechs Eisbärwächter Bewegungen auf dem Eis. Bei der vorherrschenden Dunkelheit ist das nur mit Nachtsichtgeräten möglich. Auch die Wissenschaftler und Crewmitglieder sind damit ausgestattet. Nur im Notfall, wenn sie ein Eisbär auf weniger als 30 Meter annähert, darf geschossen werden. Stenzel war schon fünf Mal zu Einsätzen auf Spitzbergen unterwegs und hat Erfahrung mit solchen Herausforderungen.

Auf viele Szenarien haben sich Seeleute und Forscher vorbereitet. Es wurden Spezialanzüge getestet, in denen sich ein Sturz ins eiskalte Wasser des Polarmeeres überleben lässt. Kapitän Wunderlich musste 48 Stunden in einem Rettungsboot zubringen. Für ihn ist in Tromsø erst einmal Schluss. Dort übernimmt Kapitän Stefan Schwarze das Kommando für die ersten Monate der Expedition. Die zweite Hälfte leitet dann wieder Wunderlich.

Der Klimaforscher Markus Rex leitet die Mammut-Expedition. Jetzt schaut er der in die Nordsee einfahrenden Polarstern erst einmal nach, die allmählich am Horizont verschwindet. Rex geht erst in Tromsø an Bord. Der Spitzenforscher erhofft sich eine riesige Datenmenge aus den Messungen am Pol. „Die Arktis ist die Wetterküche der Nordhalbkugel“, sagt er“, doch wir haben kaum Daten davon für unsere Klimamodelle.“ Am Himmel ist nur noch ein schmaler roter Streifen zu sehen. „Acht Grad über dem Horizont“, stellt Rex fest, „so hell ist es im Polarmeer im Oktober zur Mittagszeit.“ Danach wird es für lange Zeit dunkel.

Spitzenforschung

Das bundeseigene Alfred-Wegener-Institut (AWI) ist als eines der wenigen Institute weltweit sowohl am Nordpol als auch in der Antarktis wissenschaftlich vertreten. Am Südpol zum Beispiel seit zehn Jahren mit der Forschungsstation Neumayer III. Hoch im Norden betreibt das Helmholtz-Zentrum den so genannten AWI-Hausgarten in der Framstraße, wo Wissenschaftler das Ökosystem von der Meeresoberfläche bis hinein in die Tiefsee untersuchen. Benannt ist das 1980 gegründete AWI nach dem Entdecker der Kontinentaldrift, Alfred Wegener. Untersucht werden auch die Nordsee sowie die küstennahe Regionen. Das Institut mit rund 1.400 Beschäftigten hat seinen Hauptsitz in Bremerhaven. Außenstellen gibt es in Potsdam, auf Sylt und auf Helgoland.

Mosaic verfolgen

Das Leben und die Arbeit rund um die Expedition können Interessierte von daheim aus verfolgen. Bis zum Start wird das Alfred-Wegener-Institut eine App freigeben, über die der Verlauf der Reise durch das Eis verfolgt werden kann. Zu finden ist sie unter der Adresse follow.mosaic-expedition.org . Alle Informationen rund um Mosaic bietet das Institut unter den Adressen www.awi.de/im-fokus/mosaic-expedition.html und www.mosaic-expedition.org/. Die Portale werden derzeit noch aktualisiert. Auch in den sozialen Netzwerken sind Infos zu finden. Auf Twitter unter twitter.com/MOSAiCArctic, auf Instagram unter www.instagram.com/mosaic_expedition/ .

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