91 Milliarden für die Gaspreisbremse

Unbürokratische Entlastung für Haushalte vorgeschlagen

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Von Björn Hartmann

11. Okt. 2022 –

Als die Sonne am Montag über Berlin aufgeht, liegt die Lösung vor: Um Haushalte und Unternehmen in Deutschland vor den kräftig gestiegenen Gaskosten zu schützen, schlägt die Experten-Kommission Gas und Wärme, Haushalten und Unternehmen zum Teil feste Preise zu garantieren. Die Differenz zum Marktpreis soll der Staat übernehmen. Die Kosten beziffert die Kommission auf möglicherweise rund 91 Milliarden Euro – je nachdem wie sich der Marktpreis für Gas entwickelt.

Knapp 36 Stunden hat die Kommission getagt. „Der wichtigste Punkt war: Wir sollten schnell sein“, sagte Michael Vassiliadis, Chef der Gewerkschaft IG BCE. Er leitet gemeinsam mit der Wirtschaftsweisen Veronika Grimm und Siegfried Russwurm, Präsident des Industrieverbands BDI, das Expertengremium. Weitere Kriterien: Schutz der Haushalte und Firmen vor überbordenden Kosten, Sparanreize für Verbraucher. Und es sollte unbürokratisch gehen und machbar sein.

Die Kommission schlägt der Bundesregierung unterschiedliches Vorgehen bei Haushalten und Industrie vor:

Haushalte: Für die rund 24 Millionen Haushalte, die Gas nutzen, soll der Staat demnach im Dezember einmalig die Abschlagsrate übernehmen. Vom 1. März 2023 an soll dann 80 Prozent des Gasverbrauchs nur noch zwölf Cent je Kilowattstunde kosten. Enthalten sind dabei auch alle Steuern und Gebühren. Die Differenz zum deutlich höheren Marktpreis soll der Staat übernehmen. Für 20 Prozent des Verbrauchs müssen die Haushalte die Marktpreise selbst zahlen. Wer weniger verbraucht, spart dann Geld. Die Regeln sollen bis Ende April 2024 gelten.

Ein Beispiel (Gasmarktpreis 25 Cent): Ein Haushalt mit 15.000 Kilowattstunden Verbrauch pro Jahr zahlte ohne Preisdeckel 3750 Euro. Mit Preisdeckel zahlt er 2190 Euro (12.000 kWh x 12 Cent + 3000 kWh x 25 Cent).

Die zwölf Cent je Kilowattstunde sind der Gaspreis, den die Kommission in Zukunft für realistisch hält. Dass er wieder auf jene knapp sieben Cent von Anfang des Jahres sinken wird, hält die Kommission für unwahrscheinlich. Für Fernwärme sollen ähnliche Regeln gelten. Der Preis soll bei 9,5 Cent pro Kilowattstunde gedeckelt werden.

Die Haushalte müssten sich um nichts kümmern, sagte Grimm. Die Versorger hätten zugesagt, die staatlichen Zuschüsse zu verrechnen. Die monatlichen Abschläge der Gaskunden sänken dann. In Mietshäusern müsste die Hausverwaltung die Abschläge der Mieter anpassen. Härtefallregelungen soll es für Vermieter geben, die in Schwierigkeiten geraten sind, weil sie bereits die höheren Gaspreise an die Versorger zahlten, denen Mieter aber immer noch niedrige Nebenkosten überwiesen.

Warum die Einmalzahlung nicht schneller kommt? „Der Dezember ist der erste Monat, zu dem die Versorger das schaffen“, sagte IG BCE-Chef Vasiliadis. Auch drei Monate lang die Abschläge zu senken, sei kompliziert. „Und wir wollten eine schnelle Lösung.“ Dass der Vorschlag der Kommission Geld mit der Gießkanne an alle verteilt und nicht zielgerichtet an Bedürftige mit geringen Einkommen, sehen die Experten. „Wir konnten das nicht vermeiden, weil es schnell gehen musste“, sagte Vasiliadis. Deshalb sollen die staatlichen Zuschüsse bei der Einkommensteuer als geldwerter Vorteil angegeben und versteuert werden. Freibeträge sind vorgesehen. Vor allem Haushalte mit höheren Einkommen müssten einen Teil der Zuschüsse wieder als Steuer abführen.

Insgesamt entlastet der Vorschlag die Haushalte und kleinen Gewerbekunden um rund 66 Milliarden Euro.

Industrie: Für die rund 25.000 Industriekunden schlägt die Kommission eine Gaspreisbremse bereits vom 1. Januar 2023 an vor. Hier soll der Beschaffungspreis des Gases für 70 Prozent des Verbrauchs auf sieben Cent begrenzt werden. Der Staat übernimmt die Differenz zum Marktpreis. Für die restlichen 30 Prozent wird der Marktpreis vollständig fällig. Industriekunden haben in der Regel Einzelverträge über mehr als 1,5 Megawattstunden. „Das Ergebnis ist belastbar“, sagte BDI-Präsident Russwurm. Perfekt sei es sicher nicht. Die Kosten für den Staat berechnete die Kommission mit rund 25 Milliarden Euro.

Jetzt musst die Politik entscheiden, ob sie die Vorschläge umsetzt. Die Kommission arbeitet weiter. Sie soll bis Ende des Monats einen Abschlussbericht vorlegen. Unter anderem soll sie noch klären, wie Kunden durch Geld angeregt werden können, Gas zu sparen, oder wie sich die Reaktion auf die Gaspreiskrise  so nutzen lässt, dass die Energiewende zu erneuerbaren Energien beschleunigt wird.

Haushalte und kleine Gewerbekunden verbrauchten 2021 rund 400 Terrawattstunden Gas , die Gaskraftwerke und Industrie etwa 600 Terrawattstunden. Die Preise stiegen von rund rund sieben Cent je Kilowattstunde auf mehr als 28 Cent. Die Vorschläge der Kommission sind Teil des Doppelwumms-Pakets der Bundesregierung von insgesamt bis zu 200 Milliarden Euro, mit dem die Haushalte und Wirtschaft entlastet werden sollen.

Zu den 21 Mitgliedern der Expertenkommission gehören neben Grimm, Russwurm und Vassiliadis auch Axel Gedaschko, Geschäftsführer des Wohnungsbauverbands GdW, Lukas Siebenkotten vom Deutschen Mieterbund, Verdi-Chef Frank Werneke, die Chefs der Energieversorger Eon und RWE, Leonhard Birnbaum und Markus Krebber sowie zahlreiche Wissenschaftler.

Zu den 21 Mitgliedern der Expertenkommission gehören neben der Wirtschaftsweisen Veronika Grimm, dem BDI-Präsidenten Russwurm und IG-BCE-Chef Michael Vassiliadis als Vorsitzenden auch DIHK-Präsident Peter Adrian, Axel Gedaschko vom Wohnungsverband GdW, Lukas Siebenkotten vom Deutschen Mieterbund, Verdi-Chef Frank Werneke, die Chefs der Energieversorger Eon und RWE, Leonhard Birnbaum und Markus Krebber, sowie zahlreiche Wissenschaftler. Das Bundeswirtschaftsministerium hat die Kommission am 23. September eingesetzt.

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