Abschied von Sisyphos
Kommentar von Hannes Koch
21. Nov. 2008 –
Sisyphos, der Held der antiken Sage, ist dazu verdammt, einen schweren Stein den Hang hinaufrollen. Hat er den höchsten Punkt fast erreicht, gleitet ihm der Brocken aus den Händen, stürzt zu Tal, und Sisyphos muss von Neuem beginnen. So ähnlich ergeht es der Bundesregierung mit ihrem Haushalt. Beinahe hätte sie einen Bundesetat ohne Schulden vorlegen können. Doch dann kam die Finanzkrise – und die Verschuldung steigt erneut.
In vergleichbare Situationen sind deutsche Regierungen bereits 1989 durch die Wiedervereinigung und 2000 durch den New-Economy-Crash geraten. Die Politik kommt dem großen Ziel ziemlich nahe, um es dann doch zu verpassen. Nun ist es an der Zeit, aus diesem dauernden Scheitern eine Lehre zu ziehen. Niemand zwingt die Regierung, das Null-Schulden-Ziel wie eine Monstranz vor sich herzutragen. Der Finanzminister muss sich nicht permanent der Gefahr aussetzen, an seinen eigenen Ansprüchen zu scheitern. Seit 30 Jahren bringen sich die Regierungsparteien selbst Niederlagen bei, indem sie das große Ziel erst verkünden und wenig später revidieren.
Mit dem ewig neuen Anlauf sollte Schluss sein. Dieses Schauspiel macht niemandem Spaß – am wenigstens den Bürgern, die politischen Versprechen ohnehin wenig Wert beimessen. Nicht einmal im Grundgesetz steht geschrieben, dass Schuldenmachen verboten ist. Ganz im Gegenteil kann es ökonomisch sogar sinnvoll sein, die Sparquote der privaten Haushalte durch kreditfinanzierte staatliche Investitionen auszugleichen. Das aber hängt immer von der konkreten wirtschaftlichen Situation ab. Mehr Pragmatismus ist gefragt – und weniger finanzpolitische Ideologie. Die Politik der Konsolidierung kann man auch betreiben, ohne ihr jahrzehntelang erfolglos zu folgen.
Die Fixierung auf das Sparziel ist nur damit zu erklären, dass deutsche Politiker aus den 1970er Jahren ein Trauma zurückbehalten haben. Damals begann in der Bundesrepublik die Verschuldung ins Unermessliche zu steigen. Und noch heute müht sich die SPD, den historischen Sündenfall, den ihr die Union immer wieder vorhält, ungeschehen zu machen.
Sisyphos war zur ewigen Arbeit verdammt. Thanatos, der Gott des Todes, bestrafte ihn mit dauernder Wiederholung. Die Bundesregierung hingegen ist zu nichts verurteilt. Sie muss sich nicht an einem unerfüllbaren Ziel abarbeiten. Sie ist frei und kann ihre Politik selbst bestimmen.