Alle Hände voll zu tun

Der neue Bahnchef arbeitet auf vielen Baustellen

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Von Wolfgang Mulke

16. Jul. 2009 –

Noch läuft die 100-tägige Schonfrist für den neuen Bahnchef Rüdiger Grube. Doch schon am 76. Tag pfeift der Wind kräftig um sein Büro im 25. Stockwerk des Bahntowers am Potsdamer Platz. Anfang dieser Woche musste sich der Manager nach einem Treffen mit dem Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit bei den Berlinern entschuldigen, weil der S-Bahn-Verkehr vor dem Kollaps steht.

Weil Wartungsfristen nicht eingehalten wurden, zogen die Aufsichtsbehörden einen guten Teil der Züge aus dem Verkehr. Die Räder müssen ausgetauscht werden. Derzeit fahren die Züge nur noch alle 20 Minuten. Die Auflagen könnten in diesen Tagen noch weiter verschärft werden. Dann stünden von den 630 Waggoneinheiten nur noch 170 zur Verfügung. Die Fahrgäste in der Innenstadt müssten auf Busse und U-Bahnen umsteigen. Wie lange das Chaos dauern wird, ist ungewiss.

Das Desaster bei der S-Bahn zeigt aber auch einen neuen Führungsstil im Konzern. Die Führungsriege bei der Tochter wurde komplett ausgetauscht, Aufklärung versprochen. Die Kunden werden entschädigt und frühere Sparmaßnahmen auf den Prüfstand gestellt. Der Materialflop kommt die Bahn teuer zu stehen. Auf bis zu 50 Millionen Euro könnte sich der Schaden summieren.

Mit seinen bisherigen Auftritten hat der Vorstandschef viel verlorenes Vertrauen in die Bahn zurück gewonnen. „Grube begreift, dass die Bahn kundenfreundlich und serviceorientiert sein muss“, heißt es in der Berliner Landesregierung. Auch die Gewerkschaften kommen bislang gut mit dem Mehdorn-Nachfolger klar. Denn trotz der schwierigen Zeiten hält der Manager am Beschäftigungsbündnis fest, dass für rund 150.000 Beschäftigte betriebsbedingte Kündigungen bis Ende nächsten Jahres ausschließt. Der Bahnchef poltert nicht, sondern hört zu und handelt schnell. Vier Vorstände mussten gehen, neue kamen.

Das rollende Material bereitet der Bahn auch beim ICE Sorgen. Hier bereiten die Achsen Sorgen. Durch verkürzte Wartungsintervalle verliert die Bahn Einsatzzeiten und damit Millionenumsätze. Hier steht ein heftiger Streit mit der Industrie ins Haus. „Es kann nicht sein, dass wir Produkte geliefert bekommen, die technisch nicht okay sind“, sagt Grube. Dies ist in der Vergangenheit immer wieder der Fall gewesen. Doch das größte Druckmittel in ähnlich gelagerten Fällen fehlt der Bahn. Künftige Aufträge können schlecht an andere Bahnproduzenten vergeben werden. Es gibt in Europa keine ernsthaften Konkurrenten für die drei großen Hersteller.

Das wohl größte Problem kann auch Grube nicht lösen. Die Wirtschaftskrise zieht den Konzern schwer in Mitleidenschaft. Der Güterverkehr und das weltweite Transportgeschäft sind stark zurückgegangen. Wenig deutet auch eine rasche Erholung hin. Genaue Zahlen will Grube Anfang August nennen. Der Vorstand hat einen Sparkurs angekündigt. In den nächsten zwei Jahren sollen die Kosten um zwei Milliarden Euro im Jahr gesenkt werden. Auch ein Drittel der Schulden von mehr als 15 Milliarden Euro sollen bis dahin abgebaut werden. Wie die Bahn dies schaffen will, lässt Grube noch offen. Spätestens mit den Details des Sparplans dürfte jedoch die Schonfrist für den neuen an der Bahnspitze beendet sein.


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