Alles im großen Topf

Steigen die Chancen, dass die Bürger eine kleine Steuersenkung als Ausgleich für die sogenannte kalte Progression erhalten? Unwahrscheinlich.

Teilen!

Von Hannes Koch

09. Dez. 2014 –

Auf eine Steuerentlastung für die Bürger scheint sich die große Koalition zu einigen. Bei ihrem Bundesparteitag in Köln beschließt die CDU, dass man noch in dieser Legislaturperiode mit einem ersten Schritt zur Abmilderung der sogenannten kalten Progression beginnt. „Die finanziellen Spielräume wollen wir uns erarbeiten“, sagte am Dienstag CDU-Vorsitzende und Kanzlerin Angela Merkel. SPD-Kollege und Vizekanzler Sigmar Gabriel pflichtete gleich bei: Wenn die Bundesländer mitzögen, wolle die SPD die Bürger noch vor der Bundestagswahl 2017 entlasten. Alles klar also – die Steuersenkung kommt? Weit gefehlt. Hier ein Pfad durch den Dschungel der Finanzpolitik.

 

Kalte Progression

Dieser Punkt wäre relativ leicht zu bewältigen. Der Mechanismus funktioniert so: Erhalten Beschäftigte eine Lohnerhöhung, bezahlen sie automatisch auch etwas mehr Steuer. Teilweise haben sie dadurch real weniger Einkommen zur Verfügung als vorher. Lange wird bereits darüber diskutiert, diesen Effekt auszugleichen, indem man den Steuertarif etwas senkt – bislang ohne Erfolg. Die Befürworter einer solchen Steuersenkung in Union und SPD erhalten nun neue Munition durch ein Gutachten des Forschungsinstituts Prognos. Um 14 Prozent in dieser Legislaturperiode steigt demnach die durchschnittliche Einkommensteuerbelastung deutscher Haushalte nur aufgrund von Lohnerhöhungen.

 

Die Kosten der Reform

Würden die Steuerzuwächse an die Bürger zurückgegeben, müssten der Bund, die Länder und Gemeinden auf einige Milliarden Euro verzichten. Diesen Umstand stellen nun SPD-Politiker in den Mittelpunkt. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil sagte, dass man dann auch die Finanzbeziehungen zwischen dem Bund und den Ländern neu regeln müsse. Ähnlich äußerte sich Gabriel: „Der Abbau der kalten Progression wird sicher abhängen von den Verhandlungen mit den Ländern.“ Der Sinn dieser Ansage: Die Bundesländer brauchen einen Ausgleich für die Kosten der Steuerreform.

 

Bund-Länder-Finanzen

So verknüpft die SPD das begrenzte Problem der Progression mit einer gigantischen Debatte, deren Ausgang völlig offen ist. Bis 2019 müssen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und seine 16 Länderkollegen eine Jahrhundertreform stemmen. Es geht um die Neuverteilung von etwa 26 Milliarden Euro pro Jahr. Bis zu 18 Milliarden Euro davon erhält der Bund von Bürgern und Unternehmen mittels des Solidaritätszuschlags auf die Einkommens-, Körperschafts- und Kapitalertragssteuer. Mit einem Teil unterstützt er vor allem die östlichen Bundesländer. Im Rahmen des Länderfinanzausgleichs werden zusätzlich rund acht Milliarden Euro von reichen in ärmere Länder überwiesen, beispielsweise aus Bayern und Baden-Württemberg nach Berlin. Die Debatte über die Neuregelung kann noch Jahre dauern.

 

Solidaritätszuschlag

Der Soli diente unter anderem zur Finanzierung des Aufbau Ost. Weil er eigentlich nur als vorübergehender Steuerzuschlag gedacht war, wird 25 Jahre nach der Wiedervereinigung über seine Abschaffung oder Umwidmung diskutiert. Während die Milliarden bislang ausschließlich dem Bund zustehen, wollen künftig auch die Länder etwas abbekommen. Eine Lösung bestünde darin, den Solidaritätszuschlag in das System der Einkommenssteuer einzubauen. Die Ministerpräsidenten treffen sich am Donnerstag mit Merkel, um darüber zu reden.

 

Reiche und arme Länder

Parallel dazu drängen vor allem Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen den Länderfinanzausgleich zu ändern. Die Regierungen der beiden Südländer wollen nicht länger rund 6,5 Milliarden Euro pro Jahr in ärmere Bundesländer überweisen. NRW beansprucht einen größeren Teil des umverteilten Geldes als bisher, unter anderem um bankrotte Städte im Ruhrgebiet zu unterstützen. Die östlichen Länder argumentieren dagegen, sie bräuchten weiterhin einige Milliarden aus dem Länderfinanzausgleich. Die Beantwortung der komplizierten Fragen ist offen. Wer das Thema „kalte Progression“ mit diesem Komplex verknüpft, hat an einer schnellen Lösung wenig Interesse.

« Zurück | Nachrichten »