Alte Meiler sollen wegen Terrorgefahr vom Netz
Hessen will Atomausstieg vorantreiben / Gabriel fordert neue Suche nach Endlagerstätte
29. Okt. 2008 –
Alte Atommeiler sind gegen Terrorangriffe nicht ausreichend gesichert und müssen daher abgeschaltet werden. Das fordert der angehende hessische Wirtschaftsminister Hermann Scheer (SPD). Bei den sieben ältesten noch laufenden Meilern ist demnach die Hülle so schwach, dass gegen Flugzeugattentate kein Schutz gewährleistet ist. Dabei handelt es sich um die Reaktoren Biblis A und B, Philippsburg 1, Isar 1, Brunsbüttel, Neckerwestheim 1 und Unterweser. „Hier müssen Vorkehrungen getroffen werden“, forderte Scheer. Die noch bestehenden Laufzeiten der Meiler sollen dann auf jüngere und besser gesicherte Kernkraftwerke übertragen werden. Die neue hessische Landesregierung werde den Atomausstieg kompromisslos verfolgen, kündigte der Politiker an.
Die Gefahr eines terroristischen Angriffs auf ein Atomkraftwerk schließen Sicherheitsexperten und auch die zuständigen Ministerien nicht aus. Darauf sind die frühen Meiler nicht vorbereitet. „Sie sind nicht mal gegen den Absturz von Militärmaschinen vom Typ Phantom ausgelegt“, heißt es in einem Rechtsgutachten des Verbands Eurosolar, das am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde. Danach arbeitet die Energiewirtschaft zwar an einem Vernebelungskonzept, damit die Reaktoren für potenzielle Angreifer im Notfall unsichtbar werden. Doch für die mittlerweile ausgefeilte Technik in den Verkehrsflugzeugen stellt dies kein großes Hindernis dar.
Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Frühjahr hat nach Angaben der Gutachterin Cornelia Ziehm neue Fakten geschaffen. Danach die Kraftwerksbetreiber verpflichtet, für einen ausreichenden Schutz der Bevölkerung zu sorgen, zum Beispiel vor übermäßiger radioaktiver Strahlung. Dafür kann die Bundesregierung einen Grenzwert festlegen. Kann die Marke nicht garantiert werden, darf die Betriebsgenehmigung für das betreffende Kraftwerk zurückgezogen werden. „Der Schutzschirm kann im Einzelfall zur Stilllegung eines Kernkraftwerkes führen“, betonte die Juristin.
Bundesumweltminister Sigmar Gabriel will das Gutachten zunächst prüfen. “Die alten Konzepte sind nicht mehr tragfähig“, räumte der Politiker aber schon ein. Dies sei ein Grund, alte Meiler zu schließen und die Restlaufzeiten moderner Anlagen zu verlängern. Derzeit plagen Gabriel aber zuvorderst Sorgen um mögliche Endlagerstandorte für radioaktiven Müll in Deutschland. Der Minister will sich nicht auf Gorleben festlegen. Auf einem Kongress in Berlin treffen sich heute rund 350 Atomexperten und beraten die notwendigen Sicherheitsstandards für Endlagerstandorte. Gabriel will über Gorleben hinaus weitere Möglichkeiten nutzen. Möglicherweise könnten sich auch in Bayern und Baden-Württemberg geeignete Lagerstätten finden. Eine Prüfung lehnen beide Länder aber ab. Gabriel kritisiert diese Blockade. Spätestens in der nächsten Wahlperiode müsse eine Entscheidung getroffen werden. In Betrieb könnte ein Endlager aber erst Jahrzehnte später gehen, weil die Vorbereitungen und Sicherheitsprüfungen lange dauern. Erst zwischen 2030 und 2035 rechnet der Minister mit einem Endlager in Deutschland.