An allen Ecken fehlen der Bahn Leute

Die jüngste Blamage des Unternehmens ist hausgemacht / Das Unternehmen kommt dem Personalbedarf nicht nach

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Von Wolfgang Mulke

12. Aug. 2013 –

Der frühere Bahnchef Hartmut Mehdorn wusste, wie er seine Leute bewegen konnte. Man muss ihnen „das Stöckchen mit der Möhrchen vor die Nase halten“, sagte er manchmal und meinte den erfolgreichen Börsengang. Schon trabten sie los. Doch die Bahnbeschäftigten gingen ganz verschiedene Wege. Die einen wollten an die Börse. Viele andere mussten aufhören oder in der Reserve auf neue Tätigkeiten hoffen. Kaum ein Konzern hat – nicht nur unter Mehdorn - in so wenigen Jahren so viele Arbeitsplätze gestrichen. Von einst 360.000 blieben nach zwölf Jahren Bahnreform im Jahr 2006 rund 200.000 übrig.

 

In dieses Jahr des gescheiterten Börsengangs muss man zurückblicken, wenn man die personelle Not von heute verstehen will. Für den Weg auf den Finanzmarkt hat der Vorstand lange gekämpft und für gute Bilanzzahlen gesorgt. Die Kehrseite war ein massiver Sparkurs beim Personal. Das rächt sich nun. Es fehlen an vielen Stellen die geeigneten Leute. Allein bei den jetzt im Blickpunkt stehenden Fahrdienstleitern sind es nach Gewerkschaftsangaben 1.000. Aber auch Zugbegleiter und Lokführer sind mittlerweile rar geworden. Die Eisenbahnverkehrsgewerkschaft (EVG) mahnte erst kürzlich mehr Personal für die Regionalzüge an. Die Konkurrenz der Lokführergewerkschaft (GDL) sieht das ebenso. „Die dauerhafte Unterdeckung ist weder Zufall noch unveränderbar“, stellt die GDL fest.

 

Ganz so einfach ist die Erklärung für den partiellen Notstand an für den Betrieb unverzichtbaren Fahrdienstleistern nicht. Der Konzernvorstand hat das Ruder bereits vor drei Jahren herumgerissen. „Der Wind hat sich vor geraumer Zeit von der Sanierung zur Rekrutierung gedreht“, erläutert Personalvorstand Ulrich Weber. Es wird eingestellt, was das Zeug hält. Allein gut 4.000 Ausbildungsplätze sind zu besetzen, 1.600 Vollzeitstellen frei. Bis zum Jahr 2020 will die Bahn einer der besten Arbeitgeber Deutschlands werden. So lautet das neue Credo von Vorstandschef Rüdiger Grube. Es passt zunächst nicht recht in das von der EVG gezeichnete aktuelle Bild.

 

Insidern zufolge ist der Konzernspitze die angespannte Personalsituation in der Netzgesellschaft verborgen geblieben. Der frühere Vorstand der Sparte, Oliver Kraft, hat Grube demnach lange Zeit ein geschöntes Bild der Lage gezeichnet. Im Frühjahr 2013 kam das heraus und Kraft musste den Hut nehmen. Auch der Personalvorstand verlor seinen Posten. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wusste die Führungsspitze um die prekäre Entwicklung in der Netzgesellschaft. Doch es wurde zu langsam gegengesteuert. Knapp 250 Fahrdienstleiter wurden im ersten Halbjahr eingestellt. Da sie lange ausgebildet werden müssen, reichte dies nicht für eine Entlastung der bestehenden Mannschaft. Insgesamt gibt es über 12.000 Fahrdienstleiter in den rund 3.000 Stellwerken.

 

Die Stimmung in der Zentrale am Potsdamer Platz in derzeit mies. Das Versagen in Mainz kratzt schwer am Image des Unternehmens. Es könne keine Rede davon sein, dass nun flächendeckend ähnliche Ausfälle drohen, heißt es intern. Vermutlich wäre die öffentliche Resonanz bei weitem nicht so fatal schlecht ausgefallen, wenn nicht ein weiterer Punkt die Krise zuspitzen würde. EVG-Chef Alexander Kirchner beklagt den Personalmangel und die daraus folgenden Überstunden und Sonderschichten seit einiger Zeit regelmäßig öffentlich. Das ist ungewöhnlich im sonst auf Kooperation ausgerichteten Verhalten der EVG. Bei den Lokführern und Zugbegleitern sieht es nach Angaben der Lokführergewerkschaft GDL nicht besser aus. „Die Zahl der Überstunden in von 2,6 Millionen im Jahr 2011 auf drei Millionen in diesem Jahr gestiegen“, kritisiert GDL-Chef Claus Weselsky und wirft der Bahn vor, bei weitem nicht so viel Personal einzustellen wie sie Glauben machen will.

 

Womöglich treiben Kirchner noch andere Motive als der unmittelbare Wohl der Stellwerker. Im Winter sind bei der Bahn Betriebsratswahlen. Dafür positionieren sich die konkurrierenden Gewerkschaften offenkundig schon jetzt. Die große EVG und die Spartengewerkschaft GDL sind sich spinnefeind, spätestens seit die Lokführer mit einem langen Streik einen eigenständigen Tarifvertrag und eine satte Lohnerhöhung durchgesetzt haben. Beide Gewerkschaften vertreten auch die Zugbegleiter. Für die Werbung um dieses Klientel machen sich kraftvolle Worte und Medienauftritte gut.

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