„An Biederkeit nicht zu übertreffen“

Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger kritisiert das Verbot neuer Schulden, das die große Koalition beschließen will.

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Von Hannes Koch

27. Mai. 2009 –

Hannes Koch: Der Staat soll künftig kaum noch Schulden machen dürfen. Das wollen Union und SPD am Freitag im Bundestag beschließen. Sie haben eine Unterschriftenkampagne gegen diese Schuldenbremse initiiert. Warum?


Peter Bofinger: Das Anliegen der sparsamen, nachhaltigen Finanzpolitik ist durchaus richtig. Aber man darf die Zukunftsvorsorge nicht eindimensional betrachten und sich nur auf die passive Vorsorge beschränken. Es ist genauso wichtig, aktiv zu handeln, also in die Bildung, die Infrastruktur und den Umweltschutz zu investieren. Sonst gefährdet man die Zukunft unserer Kinder. Wer sich so etwas ausdenkt, hat von Volkswirtschaft keine Ahnung.


Koch: Sie sprechen SPD-Fraktionschef Peter Struck, seinem CDU-Kollegen Volker Kauder und Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger die wirtschaftliche Grundbildung ab?


Bofinger: Die Idee der Schuldenbremse ist an ökonomischer Biederkeit nicht zu übertreffen. Sie fällt hinter das Denken der klassischen Ökonomie zurück, die es für völlig vernünftig hielt, dass der Staat Zukunftsinvestitionen über Kredite finanziert.


Koch: Auch mit der Schuldenbremse dürfte der Bund noch mindestens neun Milliarden Euro neue Schulden pro Jahr machen. Außerdem gäbe es Ausnahmen für Notfälle. Reicht dieser Spielraum nicht aus?


Bofinger: Nein, gerade für die Bildung sind die Bundesländer verantwortlich. Und denen will man jegliche Neuverschuldung verbieten.


Koch: Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck plädiert dafür, das Schuldenverbot der Länder zu lockern.


Bofinger: Platzeck schlägt vor, dass Länder und Gemeinden pro Jahr knapp vier Milliarden Euro Kredite aufnehmen dürfen. Aber auch das ist viel zu wenig. Wir brauchen in den nächsten Jahren eine große Bildungs- und Qualifizierungsoffensive, damit Hunderttausende Jugendliche einen besseren Bildungsabschluss machen. Tun sie das nicht, werden sie in den kommenden Jahren zu den Arbeitslosen gehören. Mit einer Schuldenbremse wäre eine solche Initiative jedoch nicht zu finanzieren. Dem Staat würde auf alle Zeiten die Möglichkeit genommen, als Investor für die Zukunft des Landes aktiv zu werden.


Koch: Gäbe es das grundsätzliche Schuldenverbot jetzt schon – könnte die Bundesregierung dann die teuren Rettungspakete gegen die Finanz- und Wirtschaftskrise bezahlen?


Bofinger: Ja sicher, denn Ausnahmen in Notsituationen sind auch später nicht verboten.


Koch: Hohe Verschuldung bleibt also möglich. Wo ist dann das Problem?


Bofinger: Die Befürworter der Schuldenbremse sind auf die irrwitzige Idee gekommen, die in einer besonderen Krise entstandenen zusätzlichen Schulden innerhalb einer überschaubaren Frist zurückzubezahlen. Nach dem Fall der Mauer hätte Deutschland also die Kosten der Wiedervereinigung – hunderte Milliarden – innerhalb dieses Jahrzehnts abstottern müssen. Ein solcher Sparkurs hätte verheerende Folgen gehabt. Höhere Abgaben oder deutlich niedrigere Staatsausgaben hätten Deutschland in den Ruin getrieben.


Koch: Heute betragen die öffentlichen Schulden in Deutschland rund 1.600 Milliarden Euro. Pro Kopf der Bevölkerung sind das knapp 20.000 Euro. Infolge der Wirtschaftskrise werden wir bald über 2.000 Milliarden erreichen. Wieviele Schulden sind noch erträglich?


Bofinger: Wichtig ist nicht die absolute Höhe, sondern das Verhältnis der Schulden zur Wirtschaftsleistung. Im internationalen Vergleich ist Deutschland nicht in einer bedrohlichen Lage. Unsere Kredite haben im Jahr 2008 rund 65 Prozent des Bruttoinlandprodukts erreicht und werden bis zum Jahr 2010 auf 80 Prozent steigen. Zum Vergleich: In Belgien beträgt der relative Schuldenstand bereits 100 Prozent, in Japan 170 Prozent. Trotzdem sind die Regierungen beider Staaten handlungsfähig. Die These, die Politik würde von hohen Schulden erdrückt, ist falsch.


Koch: Bundesfinanzminister Steinbrück gibt dieses Jahr etwa 44 Milliarden Euro für Zinsen und Tilgung aus. Dieses Geld fehlt für die Investitionen, die Sie fordern.


Bofinger: Das stimmt. Jeder wird sagen: Weniger Schulden sind besser als mehr Schulden. In der praktischen Politik kommt es aber nicht auf solche Plattitüden an, sondern auf die realistische Balance zwischen den zwei Zielen der nachhaltigen Staatsfinanzen und der Investitionen in die Zukunft. Wenn Sie in die Bildung junger Leute investieren, ersparen sie ihnen ein Leben mit Hartz IV. Wieviel kostet es den Staat, einen Arbeitslosen 50 Jahre zu alimentieren? Die Kosten sind viel höher, als die Zinsen für einen Kredit, der dies verhindert.



Peter Bofinger (54) lehrt und forscht als Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Würzburg. Seit 2004 ist er einer der fünf Wirtschaftsweisen, die die Bundesregierung ökonomisch beraten. In diesem Gremium, das offiziell „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ heißt, besetzt Bofinger den Sitz, den die Bundesregierung traditionell im Einvernehmen mit den Gewerkschaften vergibt.

 

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