Armutsboom bei Babyboomern

Bertelsmann-Studie warnt vor drastischer Zunahme der Rentnerarmut bei den heute 50-jährigen. Besonders alleinstehende Frauen, Geringverdiener und Geringqualifizierte sind betroffen. Die aktuellen Reformvorschläge bringen wenig.

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Von Wolfgang Mulke

27. Jun. 2017 –

In der Generation der heute etwa 50-jährigen wird das Armutsrisiko im Rentenalter teilweise drastisch ansteigen. Jeder fünfte Neurentner wird in 20 Jahren davon betroffen sein. Das geht aus einer neuen Studie zweier Wirtschaftsforschungsinstitute im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung hervor. Als arm gilt derzeit jemand, der weniger als 958 Euro im Monat zur Verfügung hat. Auch der Anteil der Rentner, die auf eine staatliche Grundsicherung angewiesen sein wird, erhöht sich danach kräftig auf sieben Prozent. Als sie 2003 eingeführt wurde, mussten nur 1,7 Prozent der Ruheständler die Grundsicherung beantragen.

Laut Bertelsmann sind zwei Faktoren für diese Entwicklung verantwortlich. Die Arbeitsverhältnisse werden „vielfältiger, unsteter und flexibler“. Befristete Verträge oder Teilzeittätigkeiten, Soloselbständigkeit und Leiharbeit haben die unbefristeten Vollzeitstellen teilweise ersetzt. Die Zahl der gering entlohnten Jobs ist angestiegen. Das führt zu geringeren Rentenansprüchen.

Der zweite Faktor sind die Reformen in der gesetzlichen Renten, deren Niveau nach und nach abgesenkt wird. Eigentlich sollte dieser Verlust durch eine zusätzliche, staatlich geförderte private Vorsorge ausgeglichen werden. Diese Rechnung geht wohl nicht auf. „Der erhoffte Beitrag der privaten Vorsorge zur Alterssicherung könnte durch anhaltend niedrige Zinsen und eine niedrige Verbreitung unter Geringverdienern eingeschränkt werden“, befürchten die Forscher. Diese Veränderungen finden zwar aktuell schon statt. Doch auf die Alterseinkommen schlagen sie erst in zwanzig Jahren voll durch.

Die Bedrohung durch Armut verteilt sich nicht auf alle Arbeitnehmer gleich. Besonders hoch ist das Risiko für alleinstehende Frauen. In der auf der Basis von 12.000 Haushalten durchgeführten Simulation der Einkommensentwicklung steigt der Anteil der auf die Grundsicherung angewiesenen Rentnerinnen bis 2036 von derzeit 16 auf 28 Prozent an. Um fast die Hälfte auf 14 Prozent erhöht er sich bei Arbeitnehmern mit geringer beruflicher Bildung. Auch jedem fünften Langzeitarbeitslosen droht im Alter der Gang zum Sozialamt. Soloselbständige und chronisch Kranke sind des Weiteren überdurchschnittlich von Armut bedroht.

Den bisherigen Reformvorschlägen können die Forscher nur wenig abgewinnen. Eine spürbare Wirkung entfaltet demnach nur, wenn die Abschläge bei einer vorzeitig bezogenen Erwerbsminderungsrente gestrichen werden. Allerdings gibt es hier nur wenige Betroffene. Die von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) geplante „Solidarrente“ für langjährig Versicherte finden die Experten zwar gut. Doch die Voraussetzung dafür, 35 oder 40 Jahre lang versichert zu sein, erfüllt kaum ein Arbeitnehmer. Die Stabilisierung des Rentenniveaus auf dem heutigen Stand, wie es die SPD will, hilft den Risikogruppen auch kaum weiter. „Kaum einer dieser Vorschläge erscheint derzeit ausreichend zielgenau, um langfristig einen substanziellen Beitrag zur Lösung des Problems steigender Armut im Alter anbieten zu können“, lautet das Fazit der Studie.

Mit der Veröffentlichung der Prognose ist die Rentendebatte wieder voll entbrannt. „Das zeigt, dass dringend jetzt gehandelt werden muss“, sagt DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. Denn schon vor 2030 erreichen immer mehr Menschen aus den Problemgruppen das Rentenalter. Die Bundesregierung ist gespalten. Während die SPD ein Konzept für eine Stabilisierung der Renten vorgelegt hat, sieht die Union derzeit keinerlei Handlungsbedarf. Bis 2030 sei das System gesichert, erläutert der Rentenexperte der CDU. Karl Schiewerling: „Wir haben keinen Grund, eine der Annahmen in Zweifel zu ziehen.“

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