Auf Geld verzichten oder besser verteilen

Die Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft (Teil 1): Wenn das Wachstum langfristig zurückgeht, lässt sich weniger Wohlstand verteilen. Werden wir wieder Selbstversorger oder kann der Staat weiter für soziale Absicherung sorgen?

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Von Hannes Koch

04. Jan. 2010 –

Nicht Geld spart man bei der Zeitbank in München für die Zukunft an, sondern Zeit. „Wir sind ein soziales Experiment“, sagt Joyce Mayer, die Gründerin. Die Idee ist so einfach, wie bestechend. Wer heute der alten Nachbarin die Einkäufe erledigt, kann sich die Stunden für den Fall gutschreiben lassen, dass er im Seniorenalter später selbst der Hilfe bedarf. Gelingt es der Zeitbank in den kommenden Jahrzehnten, genügend junge Mitglieder zu gewinnen, funktioniert das Versicherungsprinzip auf neue Art: Arbeit gegen Arbeit, nicht Geld gegen Geld.


Projekte wie diese könnten erste Anzeichen einer Ökonomie sein, in der Geld eine geringere Rolle spiele als heute, sagt Nico Paech. Der Wachstumsforscher an der Universität Oldenburg glaubt nicht daran, dass die Maschine unseres Wirtschaftswachstums mit ihrer Steigerung des Bruttoinlandprodukts (BIP) um zwei oder drei Prozent pro Jahr ewig so weiterläuft.


„Ein weiterer Zuwachs materiellen Wohlstands, wie wir ihn kennen, gefährdet unsere Lebensgrundlagen“, meint Paech und verweist auf die Klimaerwärmung. Auch der Umbau zu einer vermeintlich grünen Wirtschaft verspreche keine wirklich Entlastung. „Selbst Dienstleistungen sind enorm materialintensiv. Moderne Studenten verfliegen viele Liter Kerosin“.


Paech zieht daraus die Schlussfolgerung, dass wir auf sparsamere Lebensmodelle umsteigen müssen, wie sie sich in der Münchner Zeitbank ankündigen. „Wir werden unser Leben teilweise entkommerzialisieren“, sagt Paech. „Auch das Sozialsystem kann dann nicht mehr alle Dienstleistungen zur Verfügung stellen, die heute üblich sind. Als moderne Selbstversorger müssen die Menschen manche Tätigkeiten in Eigenregie übernehmen.“


Dies ist eine Sichtweise auf die Entwicklung, doch es gibt konkurrierende Perspektiven. Der Würzburger Wirtschaftsprofessor Peter Bofinger sagt: „Wirtschaftswachstum ist nicht unbedingt nachteilig für die Umwelt.“ Gleichwohl bezweifelt auch er den Sinn der ewigen Mengensteigerung und weist daraufhin, dass die deutsche Wirtschaft in den vergangenen zehn Jahren durchschnittlich nur noch um ein Prozent jährlich gewachsen sei - erheblich weniger als in den Boomzeiten der alten Bundesrepublik.


Muss das ein Problem sein? „Grundsätzlich kann unsere Gesellschaft auch mit einer Zunahme des BIP von durchschnittlich nur einem Prozent pro Jahr zurecht kommen“, so Bofinger, der auch die Bundesregierung berät. „Unser Wohlstand würde sich innerhalb der kommenden 70 Jahre verdoppeln.“ Auch nicht schlecht – wenngleich man sich dann mit der Aussicht anfreunden muss, dass die Summe des jährlich zusätzlich zu verteilenden Wohlstands im Gegensatz zu früher recht bescheiden ausfällt.


Während der Spielraum enger wird, steigen gleichzeitig die Kosten, und mit ihnen die öffentlichen Ausgaben. So müssen die künftigen Generationen einen riesigen Staatsschuldenberg abtragen, mehr Mittel für die Absicherung und Pflege älterer Menschen aufwenden und Milliarden Euro in ein besseres Bildungssystem investieren. Woher sollen diese Summen kommen?


Möglicherweise wird das eine Prozent BIP-Wachstum nicht reichen, um die wachsenden Ausgaben zu bestreiten. Künftige Bundesregierungen müssen den Bürgern wohl höhere Steuern und Sozialbeiträge abverlangen. Konkret könnte das unter dem Strich bedeuten: Mancher Beschäftigte, manche Familie, vielleicht die Mittelschicht insgesamt, hat später weniger Geld für den täglichen Konsum zur Verfügung. Es ist nicht zu früh, sich auf Zeiten einer gewissen Bescheidenheit einzurichten. Die heikle Aufgabe für die Politik aber wird darin bestehen, die einzelnen gesellschaftlichen Gruppen entsprechend ihrer Leistungskraft so heranzuziehen, dass der soziale Friede gewahrt bleibt. Peter Bofinger sieht es so: „Ohne einen funktionierenden Sozialstaat, dessen Finanzierung fair auf die gesellschaftlichen Gruppen verteilt wird, verlieren die Bürger das Vertrauen in die Soziale Marktwirtschaft“.

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