Bericht aus dem Reich des Bösen

Agententhriller und Aufklärungsbuch: Journalist Greenwald über den Fall Snowden. Die US-Geheimdienste wollen „alle Daten“

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Von Hannes Koch

20. Mai. 2014 –

Edward Snowden sitzt am Tisch und zieht sich eine Decke über den Kopf. So will er verhindern, dass irgendwelche Geheimdienste mit Kameras, die eventuell in die Decke des Hotelzimmers eingebaut sind, die Passwörter seiner Laptops ausspähen. Vor die Zimmertür legt er von innen Kissen, damit draußen niemand mithört. Auf dem Tisch stapeln sich leergegessene Teller, Klamotten liegen herum.

 

So beschreibt Journalist Glenn Greenwald die ersten Treffen mit Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden in Hongkong. Snowden übergab Greenwald im Frühjahr 2013 tausende Dokumente, die er während seiner Tätigkeit für mehrere US-Nachrichtendienste illegal heruntergeladen und mitgenommen hatte. Die Artikel, die Greenwald und seine Kollegin Laura Poitras unter anderem für den britischen Guardian schrieben, lösten weltweite Erschütterungen aus, die über Veröffentlichungen wie den Watergate-Skandal, die Pentagon-Papiere zum Vietnam-Krieg oder den Wikileaks-Film über die schmutzige US-Kriegsführung im Irak weit hinausgingen.

 

Greenwalds Buch „Die globale Überwachung“ ist eine Mischung aus politischem Aufklärungsbuch und Agententhriller, in dem gute, selbstlose Helden gegen die finstere Macht kämpfen. An Spannung und Skurilitäten fehlt es nicht. Beispielsweise schreibt Greenwald, dass ihm die Megastory beinahe durch die Lappen gegangen wäre, weil er zu faul war, ein Programm zur E-Mail-Verschlüsselung zu installieren. Snowden hatte ihn mit diesem Wunsch monatelang anonym kontaktiert – ohne das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Frustriert wandte sich Snowden schließlich an Greenwalds Kollegin Poitras, die die Sache ins Rollen brachte.

 

Das Buch zu lesen lohnt sich, weil der Inhalt noch immer erschreckend ist. Seine Botschaft formuliert Greenwald mit einer Frage von General Keith Alexander, der bis Anfang 2014 als Chef der National Security Agency (NSA) amtierte: „Warum können wir nicht alle Daten sammeln, immer und jederzeit?“ Dieses Ziel haben die US-Geheimdienste noch nicht erreicht, einen guten Teil des Weges legten sie aber schon zurück.

 

Die Programme, die durch die Snowden-Dokumente bekannt wurden, umfassten laut Greenwald beispielsweise den Zugriff der Schnüffler auf alle Telefon-Metadaten des US-Netzbetreibers Verizon. Dazu gehörten beispielsweise die Ausgangs- und Zielnummern, Uhrzeit und Dauer der Gespräche. Es ging um etwa 100 Millionen Telefonanschlüsse.

 

Sodann gab es das Programm Prism, durch das die NSA Zugang zu den Servern der großen Internetfirmen erhielt – unter anderem Facebook, Google, Yahoo, Microsoft, Apple, Skype. Seitdem muss man davon ausgehen, dass dort jeder Chat-Eintrag, jede E-Mail, jede mittels Google geöffnete Internetseite, jeder runtergeladene Song grundsätzlich Material für den Geheimdienst ist (siehe unten). Die Firmen dementierten. Und auch Staaten wie Deutschland waren betroffen. Hier sammelte die NSA offenbar ebenfalls Daten über hunderte Millionen Telefongespräche. Das Handy der Kanzlerin wurde überwacht. Angela Merkel war sauer.

 

Greenwald analysiert das alles sehr nachvollziehbar. Drumherum konstruiert er allerdings ein Reich des Bösen - die USA als Regime wie in George Orwells Roman 1984. Das klingt oft überzogen. Denn Wahrheit ist ja auch: In den USA werden keine Journalisten erschossen, weil sie dem Staat auf die Nerven gehen. Organisationen wie Greenpeace müssen sich nicht als „ausländische Agenten“ registrieren, wenn sie Geld aus dem Ausland bekommen. Und Musikerinnen werden nicht ins Arbeitslager gesteckt, weil sie sich über Obama lustig machen. Alles im Gegensatz zu Moskau, wo Edward Snowden jetzt Schutz suchen muss.

 

Ja, es gibt repressive und autoritäre Tendenzen in den USA. Jedoch bleibt die Gesellschaft so vielschichtig, dass selbstbestimmtes und sogar widerständiges Leben möglich ist. Nicht nur der Protest-Sturm nach den Snowden-Veröffentlichungen beweist, dass der Selbstschutz demokratischer Gesellschaften funktionieren kann.

 

Trotzdem gibt das Buch Anlass zum Nachdenken über die technische Entwicklung insgesamt. Ist es nicht bald soweit, dass der Kühlschrank merkt, wenn keine Milch mehr da ist, und eine Amazon-Drohne sie automatisch nachliefert? Solche Daten fänden sicher auch Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst sehr interessant. Wahrscheinlich ist es deshalb gut, das nicht-digitale Leben funktionsfähig zu halten. Also lieber einen Papierkalender benutzen, als den auf dem Smartphone. Stadtplan statt Navi. Bar bezahlen. Autonomie bewahren, auch technisch betrachtet. Nur, damit man's nicht verlernt. Als Vorsichtsmaßnahme.

 

Glenn Greenwald: Die globale Überwachung. Der Fall Snowden, die amerikanischen Geheimdienste und die Folgen. Droemer, München 2014. 366 S., 19,99 €.

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