Biobauer gegen VW

Landwirt will klimafreundlichere Firmenpolitik erzwingen

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Von Björn Hartmann

20. Mai. 2022 –

In Saal 67 des Landgerichts Detmold wird an diesem Freitag ein Fall mit internationaler Bedeutung und möglicherweise einschneidenden Folgen für einen Weltkonzern verhandelt. Biobauer Ulf Allhoff-Cramer aus dem Kreis Lippe hat VW verklagt. Der zweitgrößte Autobauer der Welt soll Verbrenner schneller aus dem Programm streichen als bisher geplant. Ein Verbot solcher Fahrzeuge von 2030 an, fordert Allhoff-Cramer. VW nimmt die Klage nach eigenen Angaben sehr ernst, hält sie aber für unbegründet.

Der 61-jährige Landwirt klagt, weil er „künftig nicht durch übermäßige CO2-Emissionen in zentralen Rechtsgütern wie Eigentum, Gesundheit und dem Recht auf Erhalt treibhausgasbezogener Freiheit verletzt werden“ will. Kurz: VW soll den Klimawandel nicht mehr befeuern und Allhoff-Cramers Acker und Wald bei Detmold im östlichen Nordrhein-Westfalen dadurch indirekt zerstören. VW allein hatte 2018 einen CO2-Ausstoß von 582 Millionen Tonnen, nach Berechnungen der Kläger etwa ein Prozent des gesamten Weltausstoßes und mehr als der von Australien (527 Millionen Tonnen).

Unterstützt wird der Biobauer von der Umweltschutzorganisation Greenpeace. Die Klage hat Roda Verheyen formuliert. Die Rechtsanwältin ist in der Branche bekannt. Unter anderem hat sie das Urteil des Bundesverfassungsgericht vom Frühjahr 2021 mit erstritten, das Klimaschutz zu den Grundrechten zählte und die Bundesregierung zwang, ihr Klimaschutzprogramm deutlich nachzubessern und die Belange zukünftiger Generationen mehr zu berücksichtigen.

Der VW-Konzern verweist auf den radikalen Wandel hin zu E-Mobilität, den sich der Konzern verordnet hat. Er ist unter anderem eine Folge des Dieselskandals, des Aufstiegs des E-Autobauers Tesla zum ernsten Konkurrenten und des Schubs für E-Mobilität in China, dem größten Absatzmarkt der Welt. Die Transformation laufe seit Jahren, heißt es bei VW. „Volkswagen investiert bis 2026 insgesamt 52 Milliarden Euro in die Elektromobilität. Die Ziele für eine CO2-Reduzierung werden regelmäßig angepasst und wurden zuletzt 2022 verschärft.“

Der Konzern sieht sich in der Branche weit vorn. VW habe sich als erster Autokonzern zum Pariser Klimaschutzabkommen bekannt und wolle bis spätestens 2050 bilanziell klimaneutral sein. Einzelne Konzerntöchter, etwa Audi sind deutlich weiter. Die Ingolstädter wollen spätestens 2030 nur noch E-Autos verkaufen, die Marke VW 2035. Letzteres ist auch das Jahr, das die EU anstrebt für das Ende der Neuwagen mit Benzin- oder Dieselmotor.

Eine zentrale Frage des Verfahrens ist sicher, ob VW für den CO2-Ausstoß der verkauften Fahrzeuge verantwortlich gemacht werden kann. Schließlich hängt der auch sehr entscheidend davon ab, wer die Autos wie fährt.

Der Fall erinnert an ein anderes Verfahren, das noch läuft. 2015 hat der peruanische Bergführer Saúl Luciano Lliuya, ebenfalls unterstützt von Greenpeace und Verheyen, den Energiekonzern RWE verklagt. Lliuyas Grundstück unterhalb eines Gletschersees droht, überschwemmt zu werden. Das Eis schmilzt wegen des Klimawandels. RWE, das in seinen Kraftwerken unter anderem große Mengen Braunkohle verfeuere, trage mit 0,47 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes nachhaltig dazu bei, so das Argument. Das Verfahren liegt inzwischen beim Oberlandesgericht Hamm. Demnächst reisen Mitarbeiter des Gerichts nach Peru, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Gewinnt Lliuya drohen RWE weitere Klagen und Zahlungen in Milliardenhöhe.

Verheyen sieht einen grundlegenden Unterschied: Der RWE-Fall blicke in die Vergangenheit, der Bauer verlange Schadenersatz. Das VW-Verfahren schaue nach vorn, VW solle ein schädliches Verhalten abstellen. In der Klage heißt es: „Der Kläger verfolgt ausdrücklich nicht das Ziel, dass die Volkswagen AG (…) einen Schaden erleidet. Im Gegenteil: Die Beklagte könnte dieses Verfahren vielmehr auch als Gelegenheit erfassen, Maßnahmen zu ergreifen, die auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht nachhaltig vernünftig sind.“

Völlig abwegig ist es nicht, dass ein Gericht einen Konzern zum Klimaschutz zwingt. Ein niederländisches Gericht verurteilte Shell vor knapp einem Jahr dazu, bis 2030 netto 45 Prozent weniger CO2 freizusetzen als 2019. Das zwingt den größten Ölkonzern Europas, sein Geschäftsmodell nachhaltig zu ändern. Das Urteil gilt als bahnbrechend. Es war das erste seiner Art.

Unklar ist bisher noch, ob das Landgericht Detmold überhaupt entscheidet, die Klage anzunehmen. Anwältin Verheyen kündigte schon an, dann in die nächste Instanz zu gehen – ans Oberlandesgericht Hamm. Der VW-Konzern rechnet damit, dass das Verfahren durch die Instanzen gehen wird: „Das wird sich sicher ziehen, dauert einige Jahre.“

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