Coming-Out der Wachstumszweifler

Firmen bekennen, dass mehr Produktion nur mehr Probleme bringt

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Von Hannes Koch

04. Mär. 2015 –

Der kleine Betrieb bricht mit einem großen Prinzip. „Wachstum führt zu vielen unangenehmen Dingen“, sagt Herwig Danzer. Der Chef der Möbelmacher im bayerischen Kirchensittenbach erklärt, dass sein Unternehmen nicht wesentlich größer werden soll – im Widerspruch zum Wachstumsdogma der Marktwirtschaft. Zusammen mit zehn weiteren, ähnlich veranlagten Firmen hat Danzer sich am Mittwoch öffentlich geoutet.

 

Das ist neu. Lautet doch eine oft verkündete Grundregel des modernen Kapitalismus: Wer nicht wächst, stirbt. Auch die Bundesregierung glaubt das, wenngleich sie viel von grünem Wachstum redet. Was kleine und mittlere Unternehmen vom Zwang zum Wachstum wirklich halten, wollte nun das Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung in Berlin (IÖW) wissen. 700 Betriebe nahmen an der Umfrage teil, einige präsentierten ihre Geschäftsmodelle jetzt in Berlin - keine Hungerleider auf dem Weg zum Bankrott, sondern erfolgreiche Firmen, die freiwillig auf Wachstum verzichten.

 

Politisch ist das Wachstumsdogma mindestens angekratzt. Denn deutlich zeigt sich, dass der zunehmende weltweite Ausstoß von Kohlendioxid aus Fabriken, Fahrzeugen und Kraftwerken die Erdatmosphäre gefährlich schädigt. Auch Unternehmen versuchen deshalb, weniger Abgase zu verursachen – was leichter wäre, wenn die Produktion nicht so stark zunähme. In reichen Länder wie Deutschland, in denen die Menschen bereits auf einem hohen materiellen Niveau leben, müssen sich Firmen außerdem damit auseinandersetzen, dass ihre Märkte nicht mehr wachsen. Hinzu kommen betriebswirtschaftliche Überlegungen: Gerade für kleine und mittlere Firmen kann eine Wachstumsstrategie zu mehr Problemen als Lösungen führen.

 

Möbelmacher Danzer erklärte seine Sicht so: Mit 15 Beschäftigten fertigt der Betrieb Sofas, Tische, Küchenschränke oder ganze Haus- und Büroeinrichtungen aus Vollholz nach den individuellen Wünschen der Kunden. Wollte das Unternehmen die Produktionsmenge verdoppeln oder verdreifachen, müsste man zur systematischen Serienfertigung übergehen. Einzelanfertigungen wären dann kaum noch möglich. Das aber will Herwig Danzer nicht: „Damit würden wir die Arbeit unserer Beschäftigten entwerten.“ Und die Qualität der Produkte aus der Sicht der Kunden wäre in Frage gestellt.

 

Hohe Stückzahlen bedeuten außerdem, so Danzer, weniger auf einem regionalen Markt zu verkaufen, sondern größere Möbelhändler als Vertriebsweg zu nutzen. Damit allerdings trete eine entscheidende Veränderung ein: Die Produkte treten in Konkurrenz zu anderen überregionalen Anbietern, der Preiskampf beginnt. Die Firma müsste möglicherweise die Preise senken und würde weniger verdienen. In der Nische des regional begrenzten Marktes dagegen können die Möbelmacher dem Preisdruck entgehen. Aus einem ähnlichen Grund verzichtete auch das Spielzeuggeschäft Wupatki in Rostock mit neun Beschäftigten darauf, einen Online-Shop einzurichten. „Unsere Produkte wären mittels Smartphone analysierbar“, erklärte Inhaber Mike Saul. Der befürchtete Effekt auch hier: Druck in Richtung Preissenkung.

 

Wie aber schaffen es diese Unternehmen, die permanent wachsenden Energie-, Rostoff- und Arbeitskosten hereinzuholen, wenn ihre Produktion nicht zulegt? Oft besteht ihre Strategie darin, schlicht die Preise für die Waren zu erhöhen. Diese müssen dann allerdings auch eine so hohe Qualität aufweisen, dass die VerbraucherInnen bereit sind, deutlich mehr Geld als für Massenware auszugeben.

 

Dies zeigt, dass die Bezeichnung „Postwachstumsfirma“ auch missverständlich sein kann. Denn wenn die Preise steigen, wachsen der Umsatz und womöglich der Gewinn. Im Übrigen sind die vom IÖW ausgewählten Vorbildbetriebe durchaus auch selbst größer geworden, bis sie ihre gegenwärtige Dimension erreichten. Nun aber haben sie so etwas wie eine optimale Größe, mit der sie gut leben können. „Weiter wachsen wollen wir nicht“, sagt Jutta Platz von der Textilfirma Carl Klostermann Söhne aus Wuppertal mit 33 MitarbeiterInnen, die unter anderem Schuhbänder fertigt.

 

Noch würden die wenigsten Firmen so etwas öffentlich sagen. Wenngleich vermutlich hunderttausende kleiner Betriebe wie Kioske und Friseure ohnehin kaum Chancen auf Wachstum haben. Die Stimmung aber wird von den großen Unternehmen geprägt, die oft für globale Märkte arbeiten. Ein Manager, der VW-Chef Martin Winterkorn vorschlüge, die Fahrzeugproduktion solle nicht mehr wachsen, würde ausgelacht oder rausgeworfen.

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