Dann könnte man Washington D.C. in New Stockholm umbenennen

Naomi Kleins neues Buch über den Green New Deal erscheint als Kampagnenschrift im US-Wahlkampf. Zugleich versucht sie die Idee des Green New Deal zu internationalisieren.

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Von Hannes Koch

08. Nov. 2019 –

Im bullet train, dem supermodernen Hochgeschwindigkeitszug, sitzt die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez und reist von ihrem Wahlkreis New York zum Parlament in die US-Hauptstadt Washington. Während der Fahrt erklärt sie, wie es zu dieser gigantischen Reform kommen konnte, die die USA innerhalb eines Jahrzehnts zu einem ökologischen, klimaneutralen und gerechten Land gemacht hat, in dem es zudem kaum noch Diskriminierung gibt. Auch die neuen Schnellzüge, die jetzt sogar zwischen Ost- und Westküste verkehren, sind ein Teil des Green New Deal, des großen Sprungs in eine bessere Gesellschaft.

Das Sieben-Minuten-Video mit der Geschichte „Eine Botschaft aus der Zukunft“, im Comic-Stil gezeichnet, erschien im April 2019. Unter anderem die Geschichte dieses Films erzählt Naomi Klein in ihrem neuen Buch, das in diesen Tagen auf Deutsch erscheint. Es heißt „Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann“. Naomi Klein ist eine aus Kanada stammende Bestseller-Autorin, die an der Rutgers University in New Jersey, USA, lehrt. Bekannt wurde sie mit ihrem globalisierungskritischen Buch No Logo im Jahr 2000.

Im neuen Werk fasst Klein eigene Essays zur Klima-Thematik aus mehreren Jahren zusammen. Die überwölbende Idee des Green New Deal greift zurück auf das Programm von US-Präsident Franklin D. Roosevelt, mit dem dieser ab 1933 die Folgen der Weltwirtschaftskrise zu überwinden half. Der New Deal beinhaltete damals staatliche Arbeitsbeschaffung, öffentliche Investitionen in Talsperren, Stromnetze, Straßen, Naturschutzgebiete, die Einführung von Mindestlöhnen und Sozialversicherung, höhere Steuern für Firmen, Beschränkungen für Konzerne und vieles mehr. Aus dem Brutalkapitalismus sprangen die USA ins Zeitalter des Sozialstaats.

Die moderne Version dieses Programms hat nun im Februar 2019 unter anderem die demokratische Abgeordnete Ocasio-Cortez in den US-Kongress eingebracht. Naomi Klein findet das super. Der Green New Deal – die House-Resolution 109 - soll innerhalb von zehn Jahren dafür sorgen, dass sich die USA nur noch aus erneuerbaren Energie versorgen, insgesamt klimaneutral werden, die Kohle- und Ölindustrie abschaffen, allen Bürger*innen gute und ausreichend bezahlte Arbeitsplätze garantieren, eine vernünftige Krankenversicherung für alle einführen, ein sozial gerechtes Bildungssystem schaffen, sowie geschlechtliche und ethnische Diskriminierung abschaffen. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen. Würde sie verwirklicht, könnte man Washington D.C. In New Stockholm umbenennen.

In der amerikanischen Innenpolitik wird das Vorhaben, gelinde gesagt, kontrovers diskutiert. Für Klein, Ocasio-Cortez, den Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders und andere ist es das Regierungsprogramm zur Ablösung von Präsident Donald Trump. Zahlreiche Politiker*innen der Demokraten unterstützen den Green New Deal. Weitreichende Vorschläge zum Klimaschutz machten auch aussichtsreiche Kandidat*innen wie Elisabeth Warren und Joe Biden. Trumps Republikaner dagegen lehnten die Resolution 109 im Senat bereits ab – ohne Diskussion. So erscheint Naomi Kleins Buch einerseits als Kampagnenschrift im US-Wahlkampf. Andererseits versucht sie die Idee des Green New Deal zu internationalisieren.

Wobei das Label hierzulande nicht unbekannt ist. Bereits vor zehn Jahren, auch wegen der Finanzkrise, schmiedeten deutsche und europäische Grüne unter dieser Überschrift ein Programm, dass ebenfalls Wirtschaft, Soziales und Ökologie verband. Als visionäres, mobilisierendes Gesamtkonzept zündete es jedoch nicht richtig, was auch an dem englischen Begriff gelegen haben mag, dem hier der Resonanzraum fehlte. Dass DiEM25, die Organisation des umstrittenen griechischen Ex-Finanzministers Yanis Varoufakis, nun ein ähnliches Konzept propagiert, ist wahrscheinlich keine gute Voraussetzung für eine größere Attraktivität. Immerhin die Klimapolitik aber hat es in deutsches und europäisches Regierungshandeln geschafft. Sogar EU-Präsidentin Ursula von der Leyen spricht mittlerweile von einem Green Deal.

Naomi Klein schreibt vor allem aus US-Perspektive. Kostenlose Bildung und vernünftige Krankenversorgung muss man hierzulande ja nicht fordern. Es gibt sie bereits. Freilich wäre es wünschenswert, wenn sich zwischen den USA und Europa wieder ein größerer Gleichklang in der Klimapolitik herstellen ließe. Vielleicht liefert das Buch einen kleinen Beitrag dazu, dass die vernünftigen Leute jenseits und diesseits des Atlantiks ihre Strategien koordinieren.

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