„Das geballte Problem der Inflation“

Die Steigerung der Energiekosten trifft Bürger mit niedrigen Einkommen besonders

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Von Hannes Koch

21. Jul. 2008 –

Schuldnerberater registieren in diesen Wochen ein neues Phänomen. Ihre Klienten geraten durch hohe Nachzahlungen für Heizung, Strom und Betriebskosten der Wohnung zusätzlich in finanzielle Bedrängnis. „Das ist ein starkes Betätigungsfeld“, sagt Frank Wiedenhaupt, der als Schuldnerberater beim Arbeitskreis Neue Armut im Berliner Bezirk Neukölln tätig ist.

Wiedenhaupt und seinen Kollegen begegnen zunehmend Fälle wie dieser. Der 40jährige Bürokaufmann Peter Richter* hat durch Spielsucht Schulden von 60.000 Euro angehäuft. Weil ihm die Belastung über den Kopf wuchs, beantragte er die Privatinsolvenz: Von seinem Bruttoeinkommen von rund 1.800 Euro pro Monat darf der Vater eines Sohnes nun noch 1.578 Euro behalten, die übrigen 222,05 Euro werden gepfändet und an die Gläubiger überwiesen.

Im vergangenen April allerdings kam ein neues Problem hinzu: Der Stromversorger schickte Richter eine Nachforderung für 2007 über 578 Euro. Aus eigener Erfahrung weiss Richter nun, was „Inflation“ bedeutet: Seine Stromrechnung hat sich nahezu verdoppelt. Im Bundesdurchschnitt ist der Strompreis von Mai 2007 bis Mai 2008 zwar nur um 7,4 Prozent angestiegen, wie das Statistische Bundesamt ermittelt. Bei vielen Stromversorgern geht die Preiserhöhung jedoch weit darüber hinaus.

Die aktuelle Inflation trifft Bürger mit geringen Einkommen besonders hart, vermutet Stefan Weick vom sozialwissenschaftlichen Institut Gesis-ZUMA in Mannheim. Aktuelle Zahlen für das Jahr 2008 liegen zwar noch nicht vor, aber Weick vertritt die Hypothese, „dass ärmere Menschen von der Preissteigerung relativ stärker betroffen sind als Wohlhabende“. Der Hintergrund: Wer wenig Geld hat, muss einen großen Teil davon für seine Grundversorgung ausgeben: Miete, Energie, Lebensmittel, Mobilität. Und gerade bei diesen Gütern und Dienstleistungen macht sich die gegenwärtige Preisentwicklung besonders bemerkbar. Nach Berechnungen des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) belastet diese Preisentwicklung besonders Geringverdiener und Familien mit Kindern. So ist der Einkommensanteil, den niedrig verdienende Vier-Personen-Haushalte für Benzin, Heizöl, Gas und Strom aufwenden, seit Jahresbeginn von gut 14 Prozent auf 18 Prozent gestiegen.

Ein Blick ins Haushaltsbuch des überschuldeten Peter Richter zeigt: Nach Abzug der Fixkosten bleibt ihm wenig Geld übrig. Von den pfändungsfreien 1.578 Euro zahlt Richter 700 Euro Miete, 100 Euro für zwei Nahverkehrstickets, 50 für Strom, 100 für Telefon, Internet und Fernsehen, für Gas 45 und für die Haftpflicht 15 Euro. Die Restsumme beträgt 568 Euro. Damit muss Richter sich und seinen Sohn einen Monat über die Runden bringen. Setzt man die Heizkostennachzahlung für 2007, umgerechnet auf zwölf Monatsraten, zu dieser Summe ins Verhältnis, so ergibt sich: Richter soll 48 Euro oder acht Prozent seines verbleibenden Einkommens zusätzlich für Strom entrichten. Mit anderen Worten: Die Preissteigerung beim Strom raubt ihm acht Prozent seiner restlichen Kaufkraft.

„Das ist das geballte Problem der Inflation“, sagt Schuldnerberater Wiedenhaupt, „und diese Fälle sind erst der Anfang. Die große Welle kommt nächstes Jahr“. Dann rechnen die Hausbesitzer die drastischen Preissteigerungen für die Energie ab, die im Jahr 2008 verbraucht wurde.

Hinzu kommen Preissteigerungen, die in der Öffentlichkeit bislang kaum eine Rolle spielen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes erhöhten sich die Kosten für Bildung innerhalb des vergangenen Jahres um durchschnittlich 5,9 Prozent. Die Ursache ist vor allem, dass mehrere Bundesländer Studiengebühren einführten. Wer schulpflichtige Kinder hat und gleichzeitig über wenig Geld verfügt, gerät aber auch aus einem anderen Grund in die Bredouille: Viele Städte verlangen inzwischen 50 Euro oder mehr Büchergeld pro Kind und Schuljahr. Zusätzlich kostet das Mittagessen im Hort Extragebühren, die Klassenkasse will gespeist werden, und auch Ausflüge ins Museum sind nicht billig. Da können schnell 30 Euro im Monat zusätzlich zusammenkommen.

* Name geändert

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