Das perfekte Fahrzeug
Die US-Firma Local Motors will in Berlin eine Mischung aus Auto und öffentlichem Bus auf die Straßen bringen – elektrisch, fahrerlos, ausgedruckt
25. Aug. 2015 –
Nach kurzem Warten summt der gläserne Minibus heran. Vier Passagiere haben Platz und werden zu ihren individuellen Zielen gebracht – elektrisch und fahrerlos. Es die ideale Mischung aus privatem Auto und öffentlichem Nahverkehr.
Berlino heißt diese Studie, die die US-Firma Local Motors unlängst in ihrem Ideen-Wettbewerb für den Berliner Verkehr mit dem ersten Preis prämierte. Man soll die Busse per Smartphone-App rufen können. Nach dem Prinzip des Google-Autos suchen sie sich computergesteuert ihren Weg durch die Stadt.
Bisher ist das nur ein Plan. In einer Etage für Firmengründer in Berlin-Kreuzberg hat Damien Declercq, Deutschland-Repräsentant von Local Motors, zwei Schreibtische gemietet. Dort sitzt man auf Holzpaletten. Der gebürtige Franzose sprüht vor Optimismus: „Wir suchen gerade einen Platz für die Produktion des Berlino in Berlin.“
Die Firma, in deren Hauptquartier in Phoenix/ Arizona ein paar Dutzend feste Mitarbeiter sitzen, will nichts weniger als den Fahrzeugmarkt revolutionieren. Ihr Konzept: Abschied von den Riesenfabriken, die hunderttausende identische Pkw produzieren. Stattdessen soll ein Netzwerk von freischaffenden Designern und Ingenieuren Fahrzeuge für Spezialbedürfnisse und regionale Märkte entwickeln - deswegen „Local Motors“. Besondere Attraktion: Große Teile der Fahrzeuge werden aus 3D-Druckern kommen, die man mit einigen Containern transportieren und schnell auf- und abbauen kann.
Das klingt alles fantastisch und unrealistisch? Immerhin kann das Unternehmen einige praktische Erfahrungen vorweisen. Bei der Automesse in Detroit hat Local Motors innerhalb von zwei Tagen die Karosserie eines kleinen Elektrofahrzeugs gedruckt und auf ein Fahrgestell montiert. Nur ein Prototyp, aber fahrbereit. Außerdem stellt die Firma das Fun-Mobil Rally Fighter her, das aus einem Netzwerk-Entwurfsprozess entstanden ist.
Dieser Offroad-Rennwagen für reiche Leute bringt keinen ökologischen Vorteil. Berlino aber schon, sollte er jemals realisiert werden. Ein solches Fahrzeug würde „das Gesamtsystem Öffentlicher Nahverkehr stärken“, sagt Susanne Henckel, die Geschäftsführerin des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg (VBB). Sie saß in der Wettbewerbsjury, die Berlino auswählte. Die Minibusse wären bestens geeignet „auf der sogenannten letzten Meile, zur Sicherung der Anschlussmobilität im ländlichen Raum“, so Henckel. Wenn man also abends vom Konzert in der Stadt mit der S-Bahn zurück in den Vorort fährt, bräuchte man am Bahnhof nicht mehr ins eigene Auto zu steigen. Stattdessen würde der kleine Berlino die Passagiere nach Hause bringen.
Peter Buchner, Chef der Berliner S-Bahn, der ebenfalls an der Jury teilnahm, sieht das ähnlich: „Mich hat an dem selbstfahrenden Kleinbus beeindruckt, dass dieser die wichtigste Lücke im ÖPNV-Konzept großer Städte schließen könnte.“ Er stelle eine mögliche Lösung dar „in weniger dicht besiedelten Vororten als Zubringer zur S-Bahn - flexibel und kostengünstig“, so Buchner. Die S-Bahn ist eine Tochter der Deutschen Bahn AG.
Soweit die Theorie. In der Praxis gibt es aber noch haufenweise unbeantwortete Fragen. Beispielsweise: Ist die Reichweite der Minibusse nicht zu gering, weil heutige E-Auto-Batterien nur Energie für um die 200 Kilometer speichern können? Außerdem sind fahrerlose Vehikel auf deutschen Straßen noch gar nicht unterwegs. Bevor das möglich ist, muss man viele rechtliche und technische Probleme lösen. Das weiß auch Local Motors, weshalb man den Berlino zunächst von Fahrern lenken lassen will – was die Kosten erhöht und den ökonomischen Vorteil schmälert.
Selbst für fahrerlosen öffentlichen Nahverkehr auf Schienen sind die Hürden extrem hoch. Es muss jede Menge Sicherheitstechnik eingebaut werden, damit die Bahnen samt Passagieren nicht verunglücken. Deswegen gibt es bis heute kaum S-, U- oder Straßenbahnen ohne mitfahrendes Personal. Eine Ausnahme macht der Verkehrsbetrieb der Stadt Nürnberg (VAG). Seit 2008 beziehungsweise 2010 fahren dort die Wagen auf zwei U-Bahnlinien automatisch. „Dennoch ist es interessant, auch über Lösungen“ wie den Berlino „für eine nahe Zukunft nachdenken zu können“, sagt VBB-Chefin Henckel.
Foto-Link
localmotors.com/eddie_mauro/berlino-30-smart-mini-bus-system/