Demontage übers Wochenende

Bahnchef Hartmut Mehdorn tritt zurück / Auf den Nachfolger warten große Herausforderungen

Teilen!

Von Wolfgang Mulke

31. Mär. 2009 –

Das Drehbuch für den wahrscheinlich letzten großen Auftritt von Bahnchef Hartmut Mehdorn ließ keine Abweichungen vom Zeitplan zu. Erst präsentierten der Vorstandsvorsitzende und sein Finanzvorstand in einem Berliner Hotel wie gewohnt die Bilanzzahlen für das Jahr 2008, dann durften die geladenen Journalisten Fragen zur Geschäftsentwicklung stellen. Draußen vor dem Saal baute das Servicepersonal derweil das Buffet zum Zahlenwerk auf. Alles war wie immer, nur interessierte es niemanden. Erst nach fast eineinhalb Stunden ergriff der umstrittene Manager erneut das Wort und lieferte die Schlagzeilen des Tages. „Vorverurteilungen, Verdächtigungen und Spekulationen haben ein Ausmaß angenommen, das selbst für mich schwer erträglich ist“, sagte Mehdorn und betonte, dass er eigentlich ein „harter Hund“ sei. Dann kündigte er seinen Rücktritt an.

Aber die Spitzelaffäre und ihre Folgen haben wohl zu großen Druck erzeugt. Von Einsicht geprägt sind die Abschiedsworte nicht. Er habe sich nichts vorzuwerfen, niemand habe gegen rechtliche Bestimmungen verstoßen und es handele sich um eine Kampagne gegen die Unternehmensführung und die Unternehmenspolitik. Der entscheidende Satz kam kurz vor Schluss. Ich habe dem Aufsichtsratsvorsitzenden daher die Auflösung meines Vertrages angeboten“, berichtete Mehdorn, „meine zehn Jahre bei der Bahn waren eine tolle Zeit.“ Der Rücktritt ist damit nur noch eine Formsache, bei der die Konditionen ausgehandelt werden müssen.

Innerhalb kürzester Zeit hat der kantige 66-jährige den letzten Rückhalt bei Kanzlerin Angela Merkel verspielt. Noch vor zwei Wochen hatte sich Merkel demonstrativ vor den obersten Bahner gestellt. Der letzte Akt begann mit einer Aufsichtsratssitzung am Freitag. Da stellten die Ermittler der Datenaffäre ihren Zwischenbericht vor. Heraus kam, dass der Konzern nicht nur systematisch die Daten von Beschäftigten und Lieferanten abgeglichen hat, sondern auch den Mailverkehr im Haus nach bestimmten Kontakten zu Journalisten, Gewerkschaftern, Politikern und Wissenschaftlern durchforstete. Die Gewerkschaften forderten daraufhin den Rücktritt und auch in der Politik fand sich nach der neuerlichen Enthüllung kein Fürsprecher mehr. Am Wochenende ließ das Kanzleramt schon durchblicken, dass der Vorstand nicht mehr gestützt wird. Mitten im Wahlkampf wollte wohl niemand Bilder von Bahnbeschäftigten sehen, die auf Großdemonstrationen die Ablösung ihres Chefs fordern. Daraufhin warf Mehdorn das Handtuch.

Die Datenaffäre war der Auslöser, aber sicher nicht alleiniger Grund für den Rückzug des in der Öffentlichkeit nicht gerade beliebten Ingenieurs. Bei der Konstruktion eines international schlagkräftigen Logistikkonzerns hat sich Mehdorn viele Feinde gemacht. Solange ihm dabei keine gravierenden Fehler unterliefen, war seine Position gesichert. Doch bei der Datenaffäre versagte der Instinkt, im richtigen Moment nachzugeben. Völlig uneinsichtig berief sich Mehdorn bis zuletzt allein auf die Rechtmäßigkeit der Schnüffelaktionen im Kampf gegen Korruption und kriminelle Mitarbeiter. Tatsächlich ist der Bahn nach dem bisherigen Kenntnisstand strafrechtlich nichts nachzuweisen. Abgeschlossen ist die Prüfung jedoch erst zur Hälfte. Aber darum ging es längst nicht mehr. Das Vertrauen in der Belegschaft schwand rapide. Und statt gleich zu Beginn der Affäre alle Fakten auf den Tisch zu legen, kommen immer neue Details scheibchenweise auf den Markt. Da bot Mehdorns nicht zu knapp bemessener Gegnerschar reichlich Munition.

Der Verkehrsminister steht schon länger mit Mehdorn auf Kriegsfuß. Im Bahntower lästerte die Führungsriege gerne über „den Mann aus Indien“, weil Tiefensee sich irgendwann einmal von einer Dienstreise auf den Subkontinent aus in Bahnangelegenheiten eingemischt hat. Im Fachausschuss des Bundestags gab es auch noch viele offene Rechnungen, nachdem Mehdorn die Politiker mal als „angebliche Verkehrsexperten“ abkanzelte. Linken und Grünen sind die Privatisierungspläne ein Gräuel, viele Landespolitiker sind sauer, weil die Bahn unrentable Verbindungen eingestellt hat. Die Liste der Feinde ist immer länger, die der Fürsprecher immer kürzer geworden.

Nun ist die zehnjährige Ära Mehdorn wohl vorbei. Kein anderer Manager in Deutschland stand so oft im Rampenlicht wie der gebürtige Berliner, dessen Vertrag eigentlich erst 2011 mit einem gelungenen Börsengang enden sollte. Wirtschaftlich hat der Manager das Unternehmen weit nach vorne gebracht. Aus einem Milliardenverlust 1999 wurde ein Milliardengewinn im vergangenen Jahr. Die Bahn ist international wettbewerbsfähig und wird wohl zu den wenigen in Europa überlebenden Großunternehmen der Branche gehören. Zwar gab es immer wieder auch Negativschlagzeilen über Verspätungen, Preiserhöhungen oder Achsbrüche. Doch unter dem Strich ist aus dem einstigen Sanierungsfall ein moderner Konzern geworden. Das bestreiten nicht einmal die Kritiker der Bahn.

Nach der Bundestagswahl im Herbst wäre Mehdorn vermutlich abgelöst worden, wenngleich aus ganz anderen Erwägungen. Neue Aktionäre wollen gerne wissen, wer langfristig an der Spitze eines Unternehmens steht. Nachdem der Börsengang wegen der Finanzkrise geplatzt ist, kommt der scheidende Vorstand aus Altersgründen für einen zweiten Anlauf nicht mehr in Frage. Bis dahin wollte vor allem die Union an Mehdorn festhalten. Im Falle eines Wahlsiegs könnte Merkel den Posten dann problemlos an einen der CDU nahe stehenden Manager vergeben. Nun müssen sich die Koalitionäre auf einen Nachfolger einigen. SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier kündigte eine Entscheidung noch in dieser Woche an. Zeitungsberichten zufolge hat Merkel einen Favoriten, den jetzigen Airbus-Chef Thomas Enders. In der Vergangenheit wurden auch immer wieder andere Namen genannt, auch aus dem Unternehmen selbst. Der Streit darum ist vorprogrammiert.

Denkbar ist allerdings auch eine Doppellösung. Denn genau genommen hinterlässt Mehdorn zwei Lücken, einmal als Chef des Gesamtkonzerns, einmal als Vorstand der Verkehrssparte. Womöglich beendet die Koalition die Personalunion. Dann könnten beide großen Parteien je einen Kandidaten mit einem der schwierigsten Positionen in der Wirtschaft betrauen.

Auf jeden Fall steht der Neue an der Bahnspitze vor großen Herausforderungen. Der Streit um die Privatisierung entbrennt gerade wieder neu und die weltweite Krise schlägt auf die so wichtige Güterverkehrssparte durch. Dazu hat Mehdorn den Konzern strikt auf seine Person ausgerichtet. Vermutlich werden daher noch weitere Führungskräfte ihren Hut nehmen und die Leistungsebene neu strukturiert werden müssen.

Die angesichts der Rücktrittsofferte zur Nebensache geratene Bilanz verdeutlich die Größenordnungen der Bahn, die jährlich zwei Milliarden Passagiere befördert und täglich 27.000 Züge bewegt.. Im vergangenen Jahr stieg der Konzerumsatz um 6,8 Prozent auf über 33 Milliarden Euro. Beim Amtsantritt vor zehn Jahren war nicht einmal die Hälfte. Als Gewinn blieben 1,3 Milliarden Euro bei der Bahn hängen. 1999 stand ein Verlust von 1,5 Milliarden Euro in den Büchern. Mit den Erträgen kann das Unternehmen auch ohne Börsengang seine Eigenkapitaldecke aufstocken. Auch der Schuldenabbau schritt 2008 voran. Der Konzern steht mit fast 16 Milliarden Euro in der Kreide.

Die Bahn ist mit rund 240.000 Beschäftigten eines der größten Unternehmen Deutschlands. Der Personentransport auf Nah- und Fernverkehrstrecken ist mit gut zwölf Milliarden Euro Umsatz längst nicht mehr der stärkste Geschäftszweig. Die weltweiten Logistikleistungen erbringen mit nahezu 15 Milliarden Euro inzwischen weit mehr ein. Dazu kommen noch Trassengebühren, das Bahnhofsgeschäft, die Energieproduktion und andere Dienstleistungen.

Doch die Wirtschaftskrise hat auch die Bahn teilweise erfasst. Im Personenverkehr merkt das Unternehmen noch keine großen Veränderungen. Dafür brechen der Güterverkehr und das weltweite Logistikgeschäft derzeit ein. 35.000 Cargowaggons stehen derzeit still, weil sie nicht gebraucht werden.

In dieser schwierigen Zeit muss die Bahn nun einen Wechsel an der Spitze bewerkstelligen. Glaubt man Mehdorn ist der Job trotz allen Ärgers toll. „Manchmal ein wenig verrückt, immer aufregend. Meine fast zehn Jahre bei der Bahn waren eine tolle Zeit“, schloss der scheidende „Bahnchef“ seine Rücktrittsrede.



« Zurück | Nachrichten »