Der bedrohliche Ausstieg

Beim Ende der Kohleenergie geht es um mehr als Strom. In Ostdeutschland stehen tausende gut bezahlte Arbeitsplätze auf dem Spiel. Die Regierungskommission startet in Kürze.

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Von Hannes Koch

25. Mai. 2018 –

Energie Cottbus trägt den Bezug zur Kohle im Namen. Das Braunkohle-Unternehmen LEAG ist auch einer der Sponsoren des Regionalliga-Vereins. Wer vom Stadion am Stadtrand hinaus auf´s Land fährt, schaukelt auf schnurgerader Straße durch einen riesigen Truppenübungsplatz oder streift die Parkanlagen des Fürsten Pückler. In die andere Richtung kommt bald der Spreewald mit seinen Kanälen, Kanus und der Gurkenproduktion. Ein ökonomisches Zentrum ist die Lausitz im Südosten Brandenburgs eher nicht. Abgesehen von der Braunkohle.

Und die soll bald weg. Das verlangen die Grünen, das fordern Umweltschützer, und selbst die Bundesregierung beginnt nun den Kohleausstieg vorzubereiten. Möglicherweise schon in der kommenden Woche will das Kabinett die Kommission für „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ beschließen. Der Entwurf des Arbeitsauftrages liegt dieser Zeitung vor. Die zwei wichtigsten Ziele: „Schaffung einer konkreten Perspektive für neue, zukunftssichere Arbeitsplätze in den betroffenen Regionen“ sowie „ein Plan zur schrittweisen Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung, einschließlich eines Abschlussdatums“.

Zum ersten Ziel sollen schriftliche Ergebnisse bis Ende Oktober diesen Jahres vorliegen, für die energiepolitischen Empfehlungen wird Anfang Dezember angepeilt. Als Vorsitzende der Kommission sind die frühere Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, Ursula Heinen-Esser (CDU), der ehemalige brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) sowie der EX-Regierungschef von Sachsen, Stanislaw Tillich (CDU), im Gespräch.

Der Bergbau von Stein- und Braunkohle, sowie die Energieerzeugung mit ihrer Hilfe spielen noch in einigen Regionen Deutschlands eine gewisse Rolle. Nirgendwo aber sind sie so wichtig wie in der Lausitz. Hier bieten die gigantischen Tagebaue und Kraftwerke rund 8.000 gut bezahlte Arbeitsplätze – in einer Gegend, wo es daran mangelt. Knapp 3.000 Beschäftigte arbeiten in Kraftwerken wie Jänschwalde und Schwarze Pumpe, etwa 5.000 holen den schwarzbraunen Heizstoff aus der Erde. „Die Bezahlung der Arbeitnehmer in den Energieunternehmen liegt beträchtlich über dem Niveau vieler anderer Firmen“, sagt Oliver Holtemöller vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle.

Rechnet man die Jobs bei Zulieferern hinzu, außerdem die Stellen, die Energiearbeiter mit ihrer Nachfrage finanzieren, kommt man auf geschätzte 20.000 Arbeitsplätze. Damit darf man die Braunkohle als strukturprägend für die Lausitz bezeichnen. Deswegen geht es in der Debatte über den Kohleausstieg um mehr als Energie. Viele Leute sehen die Entwicklung ihrer ganzen Region bedroht. Wohl deshalb wird auch Heimat- und Innenminister Horst Seehofer (CSU) in der Kohlekommission mitwirken.

Der Druck in Richtung Ausstieg kommt aus der Klima-Debatte. Die Bundesregierung verspricht, den Ausstoß klimaschädlicher Gase – zum guten Teil verursacht durch die Verfeuerung von Braun- und Steinkohle – so zu reduzieren, dass die Erderwärmung in Grenzen bleibt. Wobei Grünen-Chefin Annalena Baerbock kritisiert, dass die Bundesregierung ihren eigenen Klimaschutzplan nicht mehr ernstnehme, weil sie das einst formulierte Ziel der Kohlendioxidminderung bis 2020 inzwischen für nicht erreichbar hält. Trotzdem weiß auch die Regierung, dass sie irgendwann die meisten oder gar alle Kohlekraftwerke stilllegen muss. Es handelt sich um einen klassischen Zielkonflikt. Wie lässt sich Ökologie in Einklang bringen mit Regional- und Wirtschaftspolitik?

Insgesamt freilich geht es um ein vergleichsweise kleines Problem. In seinem Gutachten vom Oktober 2017 zählte der Sachverständigenrat für Umweltfragen bundesweit noch 18.000 direkte Beschäftigte in der Braunkohle-Industrie. Rechnet man die indirekten Arbeitsplätze hinzu, kommt man in den drei Revieren – Lausitz, Sachsen-Anhalt und Rheinland – auf vielleicht 45.000 Stellen. Für viele von ihnen sollten die Politik und andere Branchen in einem Zeitraum von beispielsweise 15 Jahren Ersatz bereitstellen können. Das ist normaler Strukturwandel.

In der Steinkohle-Industrie geht es um noch kleinere Zahlen. Die letzten beiden Bergwerke in Ibbenbüren und Bottrop, an denen etwa 6.000 Jobs hängen, werden Ende 2018 ohnehin geschlossen. Dann laufen bundesweit noch gut 60 Steinkohle-Kraftwerke, die rund 7.000 Leuten Arbeit bieten. Inklusive der indirekten Effekte stehen vielleicht gut 30.000 Stellen durch den Abschied von der Steinkohle auf dem Spiel. Wenn man diesen Prozess bis Mitte der 2030er Jahre streckt, werden sich die negativen Begleiterscheinungen bewältigen lassen. Zum Vergleich: Derzeit schafft die bundesdeutsche Wirtschaft jedes Jahr über 400.000 neue Arbeitsplätze.

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