Der Boden geht aus

Kein anderer Kontinent ist so sehr auf Äcker außerhalb seiner Grenzen angewiesen wie Europa.

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Von Hanna Gersmann

08. Jan. 2015 –

Weinkenner sprechen vielleicht vom Geschmack des Bodens, vom „Terroir“. Sie meinen die Aromen, die durch die Sonne und die im Weinberg gespeicherten Nährstoffe entstanden sind. Aber sonst? Wer denkt schon an Boden. Das hält Klaus Töpfer, einst Bundesumweltminister und heute Direktor des Instituts für Nachhaltigkeitsstudien, IASS, in Potsdam für einen Fehler.

Er hat den Bodenatlas 2015 mit herausgegeben, der am Donnerstag im Vorfeld der Internationalen Grünen Woche veröffentlicht wurde. Der Atlas ist ein Projekt von ihm und der Umweltorganisation BUND, der Heinrich Böll Stiftung sowie der Zeitschrift Le Monde Diplomatique.

Ihre Warnung: „Der Boden geht uns aus“. Ohne gesunde Böden gebe es aber keine gute Nahrung. In jeder Kartoffel, in jedem Brot, aber auch in jedem Brathähnchen und Schnitzel steckten Nährstoffe aus dem Boden. Obendrein filterten Böden Regenwasser und regulierten das Klima. Nach den Ozeanen sind sie der größte Kohlenstoffspeicher der Erde.

Doch statt die Böden zu schützen, lauge der Mensch sie aus oder pflastere sie zu, für Straßen und Parkplätze, für Häuser und Fabriken. Töpfer: „Allein in Deutschland werden jeden Tag 77 Hektar Fläche verbaut, das sind mehr als hundert Fußballfelder.“ Ein Viertel aller Ackerflächen, also rund drei Millionen Hektar, seien zudem von Wind- und Bodenerosion bedroht.

Zugleich brauche jeder EU-Bürger, die Deutschen liegen dabei ganz vorn, in einem Jahr 1,3 Hektar, damit die von ihm konsumierten Produkte hergestellt werden können. Das ist, so zeigen die neuen Daten, sechsmal so viel wie ein Einwohner aus Bangladesch nutzt. So leben die Menschen hierzulande längst von Äckern jenseits ihrer Grenzen.

Deutschland braucht etwa das Doppelte seiner Landfläche, Anbaugebiete liegen in China, in der Mongolei, in Russland oder in Brasilien. Darunter seien auch Staaten, die ihre eigenen Bürger nicht einmal mit Grundnahrungsmitteln versorgen können, heißt es im Atlas.

In der Europäischen Union sieht es demnach nicht viel anders aus: Der sogenannte „Land-Fußabdruck“ der EU-Bürger beträgt pro Jahr gut 640 Millionen Hektar - eineinhalb mal so viel wie die Fläche aller 28 Mitgliedstaaten. Allein für den Fleischverzehr in der EU wird in Lateinamerika Futter, vor allem Soja, auf einer Fläche in der Größe Englands angebaut.

Kein anderer Kontinent sei so abhängig von Land außerhalb seiner Grenze wie Europa, erklärte Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. Sowohl Staaten als auch Konzerne versuchten Land zu kaufen. Mit dem Hunger auf Land wachse auch der Wert. In Deutschland habe sich der Preis für Ackerland von 2002 bis 2012 in Deutschland verdoppelt, in Rumänien sei er gar um 1800 Prozent gestiegen. Das Gut Boden wird rar.

„Bislang ist es nicht gelungen, den Boden in den Mittelpunkt der Umweltpolitik zu stellen“, monierte der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger. Tatsächlich hat die deutsche Bundesregierung, zusammen mit Frankreich und Großbritannien, eine geplante Bodenrichtlinie der Europäischen Kommission zum Schutz der Böden blockiert. Nach gut acht Jahren Verhandlungen zog die Kommission den Entwurf dann im Mai letzten Jahres zurück.

Die Vereinten Nationen haben nun das Jahr 2015 zum „Internationalen Jahr des Bodens“ ausgerufen. Für Anfang dieses Jahres hat die EU ein Strategiepapier mit dem Titel "Land als Ressource" angekündigt.

Ideen, wie der Bodenfraß eingedämmt werden kann, gibt es zuhauf. Ortskerne wiederbeleben, Baulücken schließen, Industrie- und Handwerkshallen als Region planen, damit nicht jede Kommune ihr eigenes Gewerbegebiet aufmacht. Oder: umweltverträgliche Landwirtschaft stärken.  Umweltschützer Weiger fällt da eine Menge ein.
 

Kasten: Boden mehr als Dreck
Von Biodiversität über Landgrabbing bis zu Ökolandbau und Tierhaltung informiert der „Bodenatlas 2015" auf 52 Seiten mit zahlreichen Grafiken und Schaubildern, aktuellen Daten und Fakten über den Zustand der Böden in Deutschland, Europa und dem Rest der Welt. Der Atlas ist kostenlos. www.boell.de/bodenatlas (hg)

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