Der Leitzins und die Folgen

Fed-Entscheidung wirkt in Europa

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Von Björn Hartmann

07. Mai. 2022 –

Seit Wochen haben Jerome Powell und sein Team die Wirtschaft der USA darauf vorbereitet: Die US-Notenbank Fed, deren Präsident Powell ist, wird die hohe Inflation von 8,5 Prozent im Land eindämmen. Das Mittel dazu: höhere Zinsen. Sie verteuern Kredite – Unternehmen werden prüfen, ob sie wirklich investieren wollen, wenn sie dazu einen Kredit benötigen. Und Verbraucher werden sich Käufe auf Pump auch genauer überlegen. Gleichzeitig steigen die Sparzinsen, weshalb der ein oder die andere Geld zurücklegt, statt es auszugeben. So soll die Nachfrage sinken. Bleibt das Angebot gleich, so die Theorie, steigen die Preise zumindest nicht weiter. Bisher hat das meist sehr gut funktioniert.

Jetzt hob die Fed den Leitzins von 0,25 bis 0,5 auf 0,75 bis 1,0 Prozent an. In der Finanzwelt ist das ein kräftiges Zeichen. Und Powell kündigte weitere solcher Schritte in den kommenden Monaten an. Die Fed meint es also sehr ernst. Was wie eine rein amerikanische Entscheidung aussieht, hat auch Folgen für andere Notenbanken wie die Europäische Zentralbank (EZB) und beeinflusst die Weltwirtschaft. Denn der Dollar ist die wichtigste Leitwährung.

Was bedeutet die Zinserhöhung in den USA also…

... für die AmerikanerInnen?

Zunächst einmal sollte die Teuerung gebremst werden. Zurzeit leiden vor allem jene unter den steigenden Preisen, die wenig Geld zur Verfügung haben. Wer reicher ist, kann sich auch höherer Preise eher leisten. Schwierig wird es für all jene, die ein Haus oder eine Wohnung gekauft haben und sie mit Hypothek finanziert haben. Sie müssen mehr zahlen, könnten sogar finanzielle Probleme bekommen. Denn Immobilienkredite in den USA sind nicht wie in Deutschland für eine bestimmte Laufzeit an einen festen Zinssatz geknüpft, sondern orientieren sich an den jeweiligen Marktzinsen. Und die steigen mit der Leitzinserhöhung. Immerhin wird Urlaub in Europa, ein Besuch von Neuschwanstein oder des Eiffelturms, billiger.

... für die EZB?

Mit dem Vorgehen der Fed wächst der Druck auf die EZB, auch zu handeln. Die Inflation in der Euro-Zone liegt seit Juli 2021 über den zwei Prozent, die als optimal gelten, zuletzt bei 7,4 Prozent. Der Leitzins verharrt seit 2016 bei 0,0 Prozent.

Unterscheiden sich die Zinsen zwischen den USA und der Euro-Zone sehr, wandert Kapital ab. Ein Zeichen: In den vergangenen Wochen mussten immer mehr Euro für die gleiche Menge Dollar ausgegeben werden. Offenbar steigt die Nachfrage nach der US-Währung.

Lange sträubte sich die EZB, die Leitzinsen anzuheben. Jetzt sieht es anders aus. EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel deutete an, es könne im Juli soweit sein. Wie hoch der Zinsschritt ausfällt, ob es weitere geben wird – alles unklar. Denn es gibt ein großes Aber, das die EZB abwägen muss: die Gefahr, die Wirtschaft zumindest in einzelnen Ländern der Euro-Zone abzuwürgen.

Die US-Wirtschaft brummt als Ganzes, die Fed hält die Gefahr, sie auszubremsen, für geringer als die Probleme der Inflation. In Europa ist die Lage anders, die Länder der Euro-Zone stehen wirtschaftlich unterschiedlich da. Auch sind einige stärker verschuldet als andere. Und die Folgen des Kriegs in der Ukraine belasten die einzelnen Staaten unterschiedlich. Geht die EZB zu robust vor, könnte sie einige Länder in die Rezession stoßen.

... für die deutsche Wirtschaft?

Schon seit einiger Zeit verschieben sich die Gewichte. Geld fließt in die USA, der Dollar wird teurer. Das wird sich nach der Fed-Entscheidung verstärken, bis die EZB auch handelt. Unternehmen, die Teile aus den USA, zum Beispiel Computerchips, importieren, müssen deshalb mehr bezahlen. Gleichzeitig profitieren jene Firmen, die viel in die USA ausführen. Denn ihre Produkte werden dort in Dollar billiger. Das betrifft zum Beispiel die Autoindustrie oder Maschinenbauer. 2021 exportierte Deutschland Waren im Wert von 122 Milliarden Euro, aus den USA kamen Waren im Wert von 72 Milliarden Euro.

Dass der Dollar aus Euro-Sicht teurer wird, trifft auch alle, die viel Energie verbrauchen oder Gas und Öl als Rohstoff benötigen. Denn Gas, Kohle, Öl werden in der Regel in Dollar gehandelt. Selbst Firmen, die langfristige Öllieferverträge mit festen Dollar-Preisen vereinbart haben, zahlen so mehr. Schließlich müssen sie Dollar beschaffen und dafür mehr Euro bezahlen. Auch wenn sich Firmen gegen die Wechselkursänderungen absichern können, mittelfristig wird es teurer.

... für die deutschen Häuslebauer?

Die aktuelle Zinsentscheidung in den USA hat für den deutschen Wohnungsmarkt direkt erst einmal keinen Effekt. Wichtig ist vor allem, was noch kommt. Weil in Deutschland Immobilienkredite meist über zehn oder fünfzehn Jahre abgeschlossen werden, sind hier die Zinserwartungen der Branche wichtig. Und die rechnet angesichts der klaren Aussagen der Fed schon länger mit höheren Leitzinsen auch in der Euro-Zone – obwohl die EZB bisher bremst. So wurde es in den vergangenen Monaten bereits teurer, eine Hypothek aufzunehmen. Das wird so weitergehen, weil die Kreditgeber bereits jetzt die nächste Zinserhöhung einpreisen.

... für Menschen ohne Geld?

Wer wenig Geld hat und beim Wocheneinkauf genau rechnen muss, leidet besonders unter der Inflation. Die einzige Lösung bei steigenden Preisen bleibt, weniger zu kaufen. Wirkt die Leitzinserhöhung der EZB wie geplant, entspannt sich die Lage etwas. Einzelne Produkte werden sicher auch wieder günstiger. Dass die Preise in der Breite sogar wieder sinken können, ist allerdings wenig wahrscheinlich.

... für Menschen mit Geld?

Wer etwas gespart hat, Wertpapiere besitzt, eine Immobilie und jeden Monat etwas zurücklegen kann, kann auch höhere Preise bezahlen, ohne den Lebensstil zu sehr einzuschränken. Wohlhabende Menschen können die Inflation deshalb besser wegstecken. Und wer in den vergangenen Jahren Geld übrig hatte, konnte an den Börsen der Welt das Vermögen ordentlich mehren. Daran ändert sich auch mit der Zinswende wenig. Etwas allerdings wird erst einmal teurer: ein USA-Urlaub.

… Sparer?

Fans von Sparbüchern, Tages- und Festgeldkonten können sich freuen, sollte die EZB der Fed folgen. Denn nicht nur die Kreditzinsen steigen, wenn die Notenbank den Leitzins erhöht, auch die Sparzinsen. Und die EZB deutete schon an, dass die Strafzinsen wegfallen könnten, die zahlreiche Banken von denen verlangen, die viel Bargeld auf der Bank liegen haben.

Derzeit bringen Tagesgeldkonten in Deutschland eher mikroskopische Erträge. Grundsätzlich sind diese Anlageformen sehr sicher, aber eher nicht geeignet, um größere Summen zu sparen. Experten empfehlen da eher Aktien oder – weniger risikobehaftet – Fonds, die breit gestreut in Aktien investieren. Deren Kurse dämpft eine Leitzinsanhebung, weil Anleger bei einer Zinserhöhung neu kalkulieren, ob und wie viel sie anlegen, wo sie etwas abziehen sollten und wo investieren. Nach einem ersten Hoch ging es nach der Zinsentscheidung in den USA an den Weltbörsen abwärts.

… Autofahrer?

Schlechte Nachrichten für all jene, die viel und oft tanken müssen: Den Preis für Sprit können die Notenbanken kaum beeinflussen. Zum einen, weil eine Zinserhöhung recht grob ist und sich in der Gesamtschau auf die Inflationsrate auswirkt, die wiederum viele verschiedene Produkte im sogenannten Warenkorb betrachtet. In Deutschland sind das allein rund 650, Diesel und Benzin sind zwei davon. Zum anderen, weil der Ölpreis auf dem Weltmarkt entsteht. Und diese Marktkräfte sind stärker als einzelne Notenbanken, auch als die Fed. Auf dem Ölmarkt ist eher wichtig, ob die Organisation Erdöl fördernder Länder (Opec) mehr oder weniger fördern will. Das Kartell kontrolliert 35 Prozent der weltweiten Mengen. Die blieben recht konstant, auch als im vergangenen Jahr die Nachfrage stieg, unter anderem, weil die Industrie weltweit nach der Corona-Pandemie wieder durchstartete. Und die drastisch steigenden Preise der vergangenen Wochen für Energie hängen auch mit dem russischen Angriff auf die Ukraine zusammen und der damit verbundenen Unsicherheit.

… die Türkei?

Präsident Recep Tayyip Erdogan versucht sein Land mit einem Kurs aus der wirtschaftlichen Krise zu retten, der allen Expertenmeinungen widerspricht. Steigende Preise ließ er seinen Notenbankchef mit Zinssenkungen in mehreren Schritten bekämpfen. Bisher läuft es schlecht für den Präsidenten. Die Inflationsrate legte zu. Derzeit beträgt sie 70 Prozent, der Brotpreis hat sich binnen Monatsfrist gar verdoppelt. Erdogan hat bisher wenig auf Fachleute gehört. Dass er sich an der Fed und Jerome Powell ein Beispiel nimmt, ist eher unwahrscheinlich. Die Krise im Inland wird weitergehen.

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