Der neue Mindestlohn von Union und FDP

Analyse: Schwarz-Gelb will sittenwidrige Löhne gesetzlich verbieten. Die unterste Schmerzgrenze liegt dann bei zwei Drittel der üblichen Bezahlung

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Von Hannes Koch

15. Okt. 2009 –

Viele Menschen können von ihrer Arbeit kaum mehr leben. Extrem niedrige Bezahlung nimmt zu. Um diesen Missstand einzudämmen, wollen Union und FDP nun ein Verbot sittenwidriger Löhne ins Gesetz schreiben. Das berichtete CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla am Donnerstag aus den Koalitionsverhandlungen.


Mit dem neuen Lohn-Gesetz würde die schwarz-gelbe Regierung die aktuelle Rechtsprechung bestätigen. 2008 klagten beispielsweise zwei Verkäuferinnen gegen die Textil-Discount-Kette KiK, die ihnen nur 5,20 Euro Stundenlohn zahlte. Das Landesarbeitsgericht im nordrhein-westfälischen Hamm gab den beiden Recht – KiK musste den Lohn bis zu einer Höhe von 8,21 Euro nachzahlen. Das Bundesarbeitsgericht vertritt diese Linie ebenfalls. Ein Lohn sei dann sittenwidrig, erklärten die Richter im April 2009, wenn er mehr als ein Drittel unter der üblichen Bezahlung in der Branche oder Region liege.


Wozu aber braucht man angesichts dieser Klarheit ein neues Gesetz? Mit einer unmissverständlichen Formulierung zum Verbot würde es den Beschäftigten künftig leichter fallen, sich gegen Niedriglöhne in den Unternehmen zu wehren, heißt es bei den Sozialexperten der Union. Denn schließlich würden heute manche Unternehmen nicht bloß versuchen, ein Drittel weniger zu bezahlen, sondern gleich den Lohn auf die Hälfte reduzieren. Diesem Lohndumping wollen die Koalitionäre mit einer besseren Formulierung im Gesetz beikommen. Solche Extremfälle seien allerdings sehr selten, heißt es beim Bundesarbeitsgericht in Erfurt.


Der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Linkspartei und die Grünen kritisierten die schwarz-gelbe Initiative massiv. DGB-Vorstandsmitglied Claus Matecki sprach sogar von „Verordnung der Armut per Gesetz“. Sein Argument: Die neue Koalition unternehme nichts gegen die tatsächlich stattfindenden „Lohndrift“ nach unten, im Gegenteil leiste sie der Abwärtsspirale Vorschub. Die Definition einer Untergrenze bei zwei Drittel des üblichen Lohnes wirke für manche Unternehmer als Anreiz, die Bezahlung ihrer Beschäftigten auf eben dieses Niveau zu senken.


Was diese Befürchtung, in Euro und Cent ausgedrückt, bedeutet, lässt sich an Beispielen illustrieren. Laut Tarif-Archiv der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung erhalten Beschäftigte im brandenburgischen Einzelhandel beispielsweise minimal 7,70 Euro brutto pro Stunde. Wollte ein tariflich nicht gebundener Betrieb den Lohn drücken und gleichzeitig die Drittel-Regel berücksichtigen, könnte er auch 5,50 Euro zahlen. Der Bruttomonatsverdienst für die Vollzeittätigkeit betrüge dann rund 840 Euro. Rechtlich wäre das in Ordnung. Aber wer soll davon noch leben? Ein anderes Beispiel: das Bewachungsgewerbe. Mitarbeiter von Sicherheitsdiensten in Nordrhein-Westfalen erhalten laut Tarif mindestens 9,07 Euro. Sittenwidrig wäre es demnach nicht, 25 Prozent weniger zu zahlen, wodurch der Stundenlohn auf rund 6,80 Euro sänke. Monatsverdienst: 1.088 Euro.


Ralf Brauksiepe, der arbeitsmarktpolitische Sprecher der Union, hält diese „Befürchtungen für unplausibel“. Der Niedriglohnsektor wachse nicht dadurch, dass die Regierung eine absolute Untergrenze definiere. Beim Bundesarbeitsgericht bestätigt man diese Sicht: Durch die Festlegung werde sich praktisch nicht viel ändern.


Sicher ist freilich, dass sich die gegenwärtige Lage auch nicht bessert. Und genau das ist es, was DGB, Linke, Grüne und SPD wünschen. Jahrelang hat die SPD in der großen Koalition mit der Union um höhere Mindestlöhne gerungen, die irgendwo bei sieben, acht oder neun Euro pro Stunde liegen sollten. Nun, von der Kooperation mit den Sozialdemokraten befreit, definiert die Union zusammen mit der FDP ihren eigenen Mindestlohn – jeweils ein Drittel unter dem, was üblicherweise bezahlt wird.


Monatsverdienste von 800 Euro, die bald als Schmerzgrenze gelten, liegen auf Hartz-IV-Niveau, also etwa auf der Höhe des Existenzminimums. Weil Beschäftigte mit solch miesen Löhnen oft einen Anspruch auf ergänzende Sozialleistungen des Staates haben, kann man hier von „Kombi-Löhnen“ sprechen: Einen Teil des zum Leben Notwendigen zahlt der private Arbeitgeber, den anderen Teil die Gemeinschaft der Steuerzahler.

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