Der Preis des Wassers

Früher war es oft ein Tabu, für Wasser Geld zu verlangen. Heute zeigt sich dagegen: Hat die wichtigste Ressource der Erde einen sozialverträglichen Preis, kommt die Entwicklung voran Von Hannes Koch und Wolfgang Mulke

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Von Hannes Koch

31. Jul. 2009 –

Die Wasseruhr beweist es. Jeder Tropfen Wasser wird abgerechnet. Das gilt nicht nur für die Bauern und Privathaushalte, sondern auch für den kommunalen Wasserversorger selbst. Hinter dem Verwaltungsgebäude des Water Supply Trusts am Kilimanscharo ragt ein Kupferrohr mit Wasserhahn aus dem Rasen. Darauf thront – sichtbar und demonstrativ – der blaue Wasserzähler. Wenn die Mitarbeiter der Wasserfirma im Ort Uroki ihren kleinen Park wässern, rotiert der Zeiger. Die Botschaft: Wasser hat seinen Preis, für jeden. Kostenlose Selbstbedienung und Korruption soll es nicht geben.


In Tansania, am höchsten Berg Afrikas, ist die Wasseruhr ein revolutionäres Instrument. In dem ehemals sozialistischen Land war die Ressource Wasser früher kostenlos. Deshalb lohnte es sich nicht, die Verschwendung zu bekämpfen. Riesige Wassermengen gingen verloren. „Das System war grauenhaft ineffizient“, sagt Geografie-Professor Wolfram Mauser von der Universität München, der die Gegend um den Kilimanscharo unlängst bereiste. Zu wenig Wasser kam auf den Bananen- und Tabakplantagen, auf den Mais-Feldern und in den Privathäusern an, die Leitungen waren marode oder nicht vorhanden, und Krankheiten an der Tagesordnung.


Wenngleich auch heute noch rund die Hälfte der tansanischen Bevölkerung keinen verlässlichen Zugang zu sauberem Trinkwasser hat, so verbesserte sich die Situation in den vergangenen Jahren doch entscheidend. So gibt es in Uroki und anderen Orten des Hai-Distrikts jetzt viele Leitungen und öffentliche Zapfstellen, die fast ausschließlich von Frauen verwaltet werden. Jeder Tropfen Wasser, den sich die Nutzer dort abholen, wird bezahlt und abgerechnet. Auch die Verwalterinnen selbst entrichten den festgesetzten Preis.


Dieser Mechanismus verbreitet sich mehr und mehr Tansania. Abgesichert wird er durch das neue Wassergesetz, das nach Beratung durch die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) 2009 in Kraft getreten ist. „Das Gesetz schreibt unter anderem vor, dass die Wasserversorger ihre Betriebskosten und die Aufrechterhaltung der Infrastruktur durch die Preise finanzieren, die die Nutzer zahlen“, sagt GTZ-Berater Dirk Schäfer, der früher im Wasserministerium der tansanischen Metropole Daressalam arbeitete.


Der Preis ermöglicht Investitionen


„Der Preis zeigt: Wasser hat einen Wert“, beschreibt Geograf Mauser die Wirkung des neuen Systems. Dieser Wert aber ist nicht abstrakt, sondern hat positive Auswirkungen. Erst durch die Festlegung eines sozialverträglichen Wasserpreises für alle Nutzer kann der Water Supply Trust in Uroki die Einnahmen erwirtschaften, die er braucht, um die Dienstleistung der Wasserver- und entsorgung in ausreichender Qualität für möglichst viele Einwohner zu erbringen.


Und das Wassergesetz trifft eine weitere Regelung, die heute allgemein als essenziell für die Verbesserung der Wasserversorgung betrachtet wird: Die Wasserversorger müssen im Besitz der Nutzer sein. Dieser Besitz kann unterschiedliche rechtliche Formen annehmen, darunter auch private, die Aktiengesellschaften ähneln. Der Water Supply Trust in Uroki gehört den Bauern, die er mit Wasser versorgt. Die Mitglieder kontrollieren das Management, lassen sich regelmäßig Bericht erstatten und legen gemeinsam die Preise fest. Neben dem Preismechanismus ist diese Partizipation die Basis dafür, dass die Nutzer das Funktionieren der Wasserversorgung als ihr Eigeninteresse betrachten. Die positiven Steuerungseffekte von Preis und Partizipation führen dazu, dass der Wasserversorger in Uroki wirtschaftlich arbeitet, das Netz aufrechterhält und Investitionen bezahlen kann. Die Qualität der Wasserversorgung nimmt zu und die Zahl der Anschlüsse wächst.


London – die größte Aktion lizensierten Raubes


Dass Wasser einen Preis hat, reicht aber alleine nicht aus, um positive Steuerungseffekte zu erzielen. Die britische Hauptstadt London liefert ein gutes Beispiel dafür, dass auch moderne Metropolen der westlichen Hemisphäre schnell Probleme mit der Wasserversorgung bekommen können, wenn die Politik nicht aufpasst.


Die Geschichte vom schalen Wasser Londons reicht in die achtziger Jahre zurück. Die damalige Premierministerin Margaret Thatcher setzte auf die Privatisierung öffentlicher Unternehmen, zehn regionale Wasserversorger wurden verkauft, darunter auch Londons Unternehmen Thames Water.


Thatcher erhoffte sich von den Investoren frisches Kapital zur Sanierung des aus dem 19. Jahrhundert stammenden, maroden Leitungsnetzes in der Hauptstadt. Doch statt zu investieren, sahnten Aktionäre und Management ab. Die Wasserpreise stiegen, die Investitionen blieben indessen aus. Die Tageszeitung Daily Mail schrieb von „der größten Aktion lizensierten Raubes in unserer Geschichte“.


Eine Fehlkonstruktion bei der Privatisierung ermöglichte dem Unternehmen außergewöhnliche Gewinne. Eine Behörde sollte die Preise der regionalen Monopolisten kontrollieren. Die Versorger mussten ihre Preiskalkulationen einreichen. Als Basis dienten die erwarteten Kosten sowie die Investitionen. Aufgrund angeblich hoher Sanierungsanstrengungen genehmigte das Amt höhere Preise. Doch die Modernisierung stand nur auf dem Papier. Tatsächlich schöpften die Eigentümer die zusätzlichen Erträge ab und das Leitungsnetz verfiel weiter.


1999 übernahm der deutsche Konzern RWE Thames Water und wollte damit den Grundstein für ein weltweites Wasserimperium legen. Mit den gewohnt sprudelnden Gewinnen finanzierte RWE die Expansion in andere Länder. Die Kundenzahl stieg von 15 Millionen auf 70 Millionen an. Für das gewaltige Leitungsnetz Londons mit einer Länge von fast 100.000 Kilometern für Wasser und Abwasser taten die neuen Besitzer nur das Nötigste.


Dies bekamen die Londoner schnell zu spüren. 30 Prozent des frischen Wassers versickerte im Erdreich. In Hamburg gehen, zum Vergleich, nur fünf Prozent verloren. Der Wasserdruck veränderte sich ständig, mitunter kam nur ein dünnes Rinnsal aus dem Hahn. Auch die Wasserqualität ließ zu wünschen übrig. Zeitweilig pumpte die Londoner Firma Themsewasser aus dem Unterlauf ins Netz, um den Wasserverlust auszugleichen. So gelangten etwa Rückstände aus Krankenhausabfällen ins Trinkwasser, weil sie nicht herausgefiltert werden können. Erst als Bürgermeister Ken Livingston die Einwohner ironisch aufforderte, auf die Toilettenspülung zu verzichten und das Wasser lieber zum Teekochen zu verwenden, war das Maß voll. Der damalige Premierminister Tony Blair richtete eine neue Regulierungsbehörde ein, zwang die Wasserunternehmen zu hohen Investitionen und begrenzte die Renditen. 2006 trennte sich RWE von Thames Water.


Kein privates, sondern ein öffentliches Gut


Die Ressource Wasser gehört grundsätzlich allen Menschen. Fast immer ist sie im Besitz der Allgemeinheit. Privatbesitz an Wasser gibt es in der Realität kaum – auch nicht, wenn missverständlich von der „Privatisierung des Wassers“ die Rede ist. Wenn Gruppen von Menschen, Kooperativen, öffentliche Betriebe oder auch Privatunternehmen Wasser verteilen, verkaufen sie meist nicht die Ware Wasser, sondern sie bieten lediglich die Dienstleistung der Wasserver- und entsorgung an. Das Recht, diese Dienstleistung zu verkaufen, wird den Versorgern in der Regel von Staaten, Ländern oder Gemeinden für eine gewisse Zeit übertragen. Weil es so wichtig und grundlegend für das Wohlergehen von Menschen, Tieren und Natur ist, bezeichnet man Wasser als „öffentliches Gut“.


Für nutzbares Süßwasser aus Flüssen, Seen, Quellen und tieferen Erdschichten gibt es meist auch keinen Markt wie beispielsweise für Autos oder Nahrungsmittel. Wasser steht fast immer im Rang eines natürlichen Monopols: Es existiert nur ein Bach, ein Grundwasserspiegel, ein See, aus dem sich die Menschen bedienen können. Ein Netz zur Wasserverteilung mit Tausende Kilometer langen Rohren und Millionen Hausanschlüssen zu bauen, ist zudem extrem teuer.


Die Folge: Eine Konkurrenz zwischen mehreren Anbietern ist meist nicht möglich. Ein funktionierender Markt existiert in der Regel nicht. Damit fallen auch die Steuerungseffekte weg, die der Wettbewerb mit sich bringt. Beispielsweise sind weit überhöhte Monopolpreise möglich.


Was aber bedeutet dies für den Zugang zur Ressource Wasser und ihren Preis? Weil es in der Regel keinen funktionierenden Markt mit Wettbewerb geben kann, muss die Wasserversorgung politisch reguliert werden. Während man früher isolierte Anstrengungen – Brunnenbau, Privatisierung – unternommen hat, um der vielfältigen Probleme Herr zu werden, hat sich mittlerweile der Ansatz des Integrated Water Ressources Managements (IWRM) herauskristallisiert. Man versucht, einen systemischen Ansatz zu finden, der beispielsweise den Bau von Wasserleitungen beinhaltet, aber auch die Partizipation der Nutzer, die Wirtschaftlichkeit und Transparenz der Wasserversorger, die Sozialverträglich des Preismechanismus, sowie die Wirksamkeit des gesetzlichen und regulatorischen Rahmens.


Das Prinzip der politischen Steuerung gilt auch für die Preisbildung. Der Preis des Wassers ist kein Marktpreis, sondern ein politischer Preis. Darin müssen die Interessen aller Nutzer einfließen, damit es nicht zu sozialen, wirtschaftlichen und politischen Konflikten kommt. Die Festlegung eines politischen Preises für Wasser bringt zwei große Vorteile mit sich. Zum einen kann man die Höhe so definieren und staffeln, dass alle potenziellen Nutzer Zugang zum Wasser erhalten. Und zweitens dient der Preis als Instrument des Ressourcenmanagements. Er deutet an, dass Wasser nicht in unendlicher Menge vorhanden ist und setzt den Anreiz, es nicht zu verschwenden. Ein sozialverträglicher Preis gilt mittlerweile als eines der wichtigsten Steuerungsinstrumente, um die globalen Wasserprobleme in den Griff zu bekommen.


Die Armen bekommen das Wasser kostenlos


Ein wichtiges Prinzip, das in Tansania praktiziert wird, nennt GTZ-Mitarbeiter Schäfer: „Die Tarife müssen armutsorientiert sein“. Wie Geografie-Professor Mauser berichtet, legt die Mitgliederversammlung des Water Supply Trusts in Uroki fest, welche Einwohner das Wasser kostenlos erhalten, weil sie zu arm sind, um den Preis zu entrichten. Solventere Nutzer müssen an den öffentlichen Zapfstellen höhere Preise zahlen. Ähnliches gilt für das Wasser, das per Leitung nach Hause geliefert wird. Der niedrigste Preis liegt in der Größenordnung von 200 tansanischen Schilling pro Kubikmeter, was gegenwärtig etwa 11 Euro-Cent entspricht. Dies sei ein spürbarer Preis, „aber auch für tansanische Verhältnisse nicht teuer“, sagt Mauser.

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