Der Weltmeister und sein Konkurrent

China verkaufte im ersten Halbjahr 2009 mehr Waren ins Ausland als Deutschland. Steht deshalb das deutsche Exportmodell in Frage? Die Debatte hat begonnen

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Von Hannes Koch

26. Aug. 2009 –

Die ökonomisch und psychologisch wichtige Stellung Deutschlands als Exportweltmeister scheint gefährdet. Denn erstmals verkaufte China mehr Waren ins Ausland als die bundesrepublikanische Wirtschaft. Das haben Berechnungen der Welthandelsorganisation WTO für die ersten sechs Monate diesen Jahres ergeben. Neben der aktuellen Krise, die die exportorientierte deutsche Wirtschaft besonders hart trifft, ist dies ein weiteres Signal, dass das bisherige ökonomische Erfolgsmodell ins Wanken geraten und eine Neuorientierung notwendig werden könnte.


Die chinesischen Unternehmen belieferten den Weltmarkt von Januar bis Juni 2009 mit Waren im Wert von 521,7 Milliarden Dollar (365 Milliarden Euro). Deutschland exportierte im gleichen Zeitraum Güter und Dienstleistungen, die 521,6 Milliarden Dollar einbrachten. Der chinesische Vorsprung sei freilich minimal, sagte WTO-Chefvolkswirt Patrick Low. Auch lasse sich gegenwärtig nicht sagen, wer am Ende des Jahres die Nase vorne habe. Weil die weltmarktorientierte chinesische Wirtschaft aber schon seit Jahren viel stärker wächst, dürfte Deutschland seinen Spitzenplatz als Exportweltmeister mittelfristig in jedem Fall einbüßen.


2008 erzielten deutsche Firmen Einnahmen von 993 Milliarden Euro, indem sie Autos, Maschinen und andere Waren ins Ausland verkauften. Über 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts wurden im Export erwirtschaftet. Das Kopf-an-Kopf-Rennen mit China ist nun einer von mehreren Hinweisen auf die Probleme der gegenwärtigen Exportorientierung. So hat Deutschland durch den Einbruch der Weltmärkte im Zuge der aktuellen Krise besonders starke Einbußen hinnehmen müssen. 2009 könnte die Wirtschaftsleistung um bis zu sechs Prozent sinken. Daran knüpft sich jetzt die wirtschaftspolitische Debatte, ob es mit der Exportstrategie künftig so weitergehen kann wie bisher.


Eine „Abkehr von der Exportstrategie“ fordert Ökonom Gustav Adolf Horn, der das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie (IMK) leitet. Denn der hohe deutsche Exportanteil fördere die Verschuldung beispielsweise in den USA und bilde damit eine Ursache der Finanzkrise, so Horn. Ein Beispiel: US-Bürger kauften auf Kredit Fahrzeuge von BMW, Daimler, Porsche oder Volkswagen. Mit ihren hohen Gewinnen erwarben deutsche Unternehmen und Banken umgekehrt risikoreiche US-Wertpapiere und finanzierten damit die dortige Verschuldung.


IMK-Forscher Horn argumentiert außerdem, dass deutsche Firmen auch deshalb so erfolgreich im Export seien, weil sie die Lohnsteigerung der Beschäftigten in engen Grenzen hielten. Dadurch könnten die Arbeitnehmer weniger konsumieren, was im Inland Nachfrage und Arbeitsplätze koste.


Andere Akzente setzt dagegen Christian Dreger, der Abteilungsleiter für Konjunktur beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Er verweist auf die Vorteile, die die Exportstrategie biete. Deutschland werde durch die augenblickliche Schwäche des Weltmarktes zwar stark getroffen, könne aber auch überdurchschnittlich stark profitieren, wenn die globale Wirtschaft wieder anziehe. Dreger betont, dass der Verzicht auf zu hohe Lohnsteigerungen die Zunahme der Arbeitsplätze in Deutschland vor der Krise erst ermöglicht habe.


Angesichts der zunehmenden chinesischen Exporte müsse man sich keine allzu großen Sorgen machen, so Dreger. Schließlich verkaufe China vornehmlich Konsumgüter wie Textilien und Unterhaltungselektronik. Deutschland bediene dagegen einen anderen Markt, indem es seinen hohen Exportüberschuss in erster Linie mit Investitionsgütern wie Maschinen erziele. Die ökonomische Stellung der bundesrepublikanischen Firmen und des deutschen Wohlstandsmodells sei durch das chinesische Wachstum deshalb vorläufig kaum gefährdet, sagt Dreger.


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