• Kirsten Westphal |Foto: SWP
    Kirsten Westphal |Foto: SWP

„Der Westen schneidet sich ins eigene Fleisch“

Sanktionen gegen Russland könnten dazu führen, dass weniger Öl und Gas geliefert wird, sagt Expertin Westphal. Höhere Rechnung für Haushalte

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Von Hannes Koch

16. Sep. 2014 –

Hannes Koch: Als Reaktion auf die westlichen Sanktionen droht die Regierung in Moskau ebenfalls mit weiteren Handelsbeschränkungen. Angeblich strömte Ende vergangener Woche weniger russisches Erdgas nach Deutschland. Wie ernst nehmen Sie das?

 

Kirsten Westphal: Das ist ein Warnzeichen. Moskau zeigt, welche Möglichkeiten man hat. Für die Versorgung in Deutschland besteht vorläufig aber keine ernste Situation. Der vergangene Winter war warm, unsere Speicher sind voll.

 

Koch: Selbst während des Kalten Krieges lieferte Russland verlässlich Energie nach Westen. Könnte sich das grundsätzlich ändern?

 

Westphal: Die verlässlichen Beziehungen, das große Mantra der deutschen Energiepolitik, lösen sich zunehmend auf. Dabei kommen mehr als ein Drittel unserer Ölimporte aus Russland, außerdem 38 Prozent der Gaseinfuhren. Diese Mengen lassen sich aber nicht von heute auf morgen ersetzen. Es würde teuer werden und lange dauern, eine komfortable Energieversorgung ohne Russland aufzubauen. Die Gemengelage ist so schwierig, dass die Politik vor einem Dilemma steht.

 

Koch: Aufgrund der neuen Sanktionen dürfen russische Energieunternehmen keine Schuldscheine mehr in Europa verkaufen. Werden sie deshalb an Kapitalmangel leiden?

 

Westphal: Ja, das zeichnet sich bereits ab. Der russische Staat wird die Unternehmen mit öffentlichen Mitteln unterstützen müssen. Das trifft beide - die russische Energiewirtschaft und die Regierung.

 

Koch: Zudem dürfen europäische und US-Konzerne vorläufig keine Technik mehr nach Osten liefern, die für die Ölförderung gebraucht wird. Was bedeutet das für die russischen Energieunternehmen?

 

Westphal: Es fällt ihnen schwerer, neue Vorkommen beispielsweise in der Arktis zu erschließen, die sie dringend benötigen. Die russischen Firmen können die Sanktionen jedoch teilweise ausgleichen, indem sie Fördertechnik andernorts wie etwa in China kaufen - wobei die nicht so hochwertig ist. Auch der Iran konnte das US-Embargo auf diese Weise teilweise umgehen.

 

Koch: Welche Auswirkungen haben die Probleme bei Öl und Gas für die russische Wirtschaft insgesamt?

 

Westphal: Etwa die Hälfte der russischen Staatseinnahmen stammt aus dem Energiesektor. Sinken diese Erlöse, steht dem Staat insgesamt weniger Geld zur Verfügung, beispielsweise für soziale Anliegen oder den Bau von Infrastruktur. Auch das dürfte dazu beitragen, dass die Konjunktur und das Wachstum in Russland leiden. Die negativen Auswirkungen der westlichen Sanktionen für Europa sollte man angesichts dessen aber nicht aus den Augen verlieren.

 

Koch: Welche Nachteile befürchten Sie?

 

Westphal: Der Westen schneidet sich ins eigene Fleisch. Man erschwert den russischen Unternehmen, neue Lagerstätten für Schiefergas und unkonventionelles Erdöl zu erschließen. Parallel dazu erschöpfen sich die konventionellen Felder. Mittelfristig könnte Russland weniger Öl und Gas fördern, dann fehlen bestimmte Mengen auf dem Weltmarkt. Das könnte dazu führen, dass die Preise steigen. Nicht zuletzt bei der Energiewende spielt das eine Rolle, denn eigentlich wollen wir preisgünstiges Erdgas als Übergangsenergie beim Abschied von Kohle und Atom einsetzen. Zusätzlich sollte man nicht unterschätzen, dass europäische und amerikanische Unternehmen es zunehmend schwerer im russischen Markt haben werden, während etwa China bei neuen Projekten zum Zug kommt.

 

Bio-Kasten

Kirsten Westphal (45) beobachtet die europäische Energiepolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Diese berät die Bundesregierung. Promoviert hat Westphal über Russische Energiepolitik.

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