„Der Wettlauf um die besten Strategien hat begonnen“

In Deutschland und Europa wird eine Energiewende sichtbar

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Von Wolfgang Mulke

27. Jul. 2009 –

Der Transformator AT 02 geht womöglich in die Geschichte ein, weil er ausfiel. Das Aggregat stand bis vor kurzem im Kernkraftwerk Krümmel vor den Toren Hamburgs. Der Reaktor musste wegen der eher harmlosen Panne schnell abgeschaltet werden. Der Störfall hatte weit jedoch reichende Folgen. Zunächst brach das Stromnetz in der Hafenstadt teilweise zusammen. Ampeln fielen aus, Fabriken konnten nicht arbeiten und Einkaufszentren lagen im Dunkeln. Der Betreiber des Meilers, der schwedische Versorger Vattenfall, erlitt über Nacht einen gravierenden Imageverlust. „Wir sind uns bewusst, dass wir erneut Vertrauen verloren haben“, gab sich der Chef des Europa-Geschäfts, Tuomo Hatakka, anschließend aus guten Gründen kleinlaut. Denn Krümmel war erst zwei Wochen zuvor wieder hochgefahren worden, nachdem ein Brand beim Trafo AT 01 im Jahr 2007 schon einmal zur Stilllegung führte. Die Pannen sind keine Einzelfälle. Auf mehr als 300 meldepflichtige Störfälle kommt das mittlerweile 25 Jahre alte Kraftwerk bisher.

Der Vorfall ist trifft die Atomindustrie als Ganzes. Deren Lobby arbeitet seit Jahren mit wachsendem Erfolg gegen den vereinbarten Ausstieg aus der Kernenergie. Die Unionsparteien sowie die FDP, die zusammen vermutlich die nächste Regierung stellen, wollen die Laufzeiten der Meiler verlängern. Da passt der Branche die durch den Störfall in Krümmel wieder belebte weit verbreitete Angst vor einem schweren Unfall mitten im Bundestagswahlkampf ganz und gar nicht ins Konzept. Die Debatte um die Zukunft der Meiler ist seither wieder in vollem Gange und die Akzeptanz der Atomkraft in der Bevölkerung nimmt wieder rapide ab.  

Zum Amtsantritt 2005 hatte sich die Regierungskoalition ein großes Ziel gesetzt. Es sollte ein Gesamtkonzept die zukunftssichere Energieversorgung entwickelt und die Frage nach einem Endlager für radioaktiv schwer belastete Stoffe beantwortet werden. Nichts davon ist gelungen. Womöglich ist aber auch die Vorstellung eines für lange Zeit fixierten Energiekonzeptes zu hoch gegriffen. „Das wäre eine energiepolitische Planwirtschaft“, glaubt jedenfalls der SPD-Bundestagsabgeordnete und Präsident der Organisation Eurosolar, Hermann Scheer. Weder ließen sich künftige Wahlergebnisse und daraus möglicherweise folgend veränderte Präferenzen vorhersagen, noch verlässliche Prognosen über die Preisentwicklung der Rohstoffe oder technologische Sprünge bei der Energieerzeugung erstellen.

Nur auf grobe Richtlinien kann sich die Politik also festlegen, zum Beispiel auf einen Energiemix ohne Kernkraft. An diesem abgespeckten Anspruch gemessen hat Deutschland erstaunlich pragmatisch eine Energiewende eingeleitet. Der Ölpreisschock der vergangenen Jahre und die Klimaschutzverpflichtungen haben das Umdenken befördert. Drei Ziele werden verfolgt. Die Energie soll bezahlbar bleiben. Sie soll möglichst klimaschonend erzeugt und die Versorgung damit langfristig gesichert werden.

Über diese Vorgaben besteht auch in der Europäischen Union (EU) Einigkeit. Brüssel hat die Formel 20 – 20 – 20 ausgegeben. Der Anteil der erneuerbaren Energien soll im kommenden Jahrzehnt auf ein Fünftel am Gesamtstromverbrauch angehoben, die Energieeffizienz um 20 Prozent verbessert und der CO2-Ausstoß in gleichem Maße verringert werden.

Auch in Europa gilt Scheers Devise von wenigen für alle gültige Grundlinien. Wie die Nationalstaaten die Ziele erreichen, bleibt ihnen selbst überlassen. Die einzelnen Länder gehen dabei unterschiedliche Wege. Frankreich setzt traditionsgemäß stark auf Kernkraft. Auch Großbritannien und Polen wollen neue Meiler errichten. Deutschland verabschiedet sich dagegen nach und nach von der Nukleartechnologie.

Eine einheitliche europäische Energiepolitik scheitert im Detail auch an den unterschiedlichen Interessen der Mitgliedsstaaten. So wehren sich Polen, die baltischen Staaten sowie Schweden und Finnland zum Beispiel gegen den geplanten Bau der Ostsee-Pipeline North Stream, der vor allem von deutschen und russischen Firmen vorangetrieben wird und Gas nach Mitteleuropa bringen soll.  

Es gibt allerdings auch gemeinsame Interessen. Dazu gehört die langfristige Sicherung der Gas- und Ölversorgung. Kürzlich wurde die so genannte Nabucco-Pipeline von mehreren Staaten besiegelt. Durch die 3000 Kilometer lange Leitung wird spätestens ab 2014 asiatisches Gas nach Europa transportiert und so die Abhängigkeit von russischen Lieferungen vermindert. Moskau lehnt das Vorhaben ab und will eine parallele Röhre verlegen. Ein pikantes Detail belegt die diplomatischen Schwierigkeiten dieser Großprojekte. Der deutsche Exkanzler Gerhard Schröder ist für das North Stream Konsortium aktiv, sein damaliger Außenminister Joschka Fischer befördert Nabucco.

Die visionären Pläne für ein gewaltiges Sonnenkraftwerk in Nordafrika könnten in einigen Jahrzehnten zur Energieversorgung Europas auf neue Füße stellen. Desertec heißt das von einem Dutzend Unternehmen wie Siemens, RWE, ABB oder der Münchner Rück geplante Projekt, das insgesamt 400 Milliarden Euro kosten soll. Der Wüstenstrom soll zunächst die dortigen Städte, in einem zweiten Schritt die südeuropäischen Länder mit Strom versorgen. Dazu müssen vor allem die technischen Probleme beim Transport der Elektrizität über große Strecken gelöst werden.

Die Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Claudia Kemfert, begrüßt das Vorhaben. „Es ist richtig, heute in Sonnenenergie zu investieren, damit die Kosten sinken“, sagt die Forscherin. Solar-Lobbyist Scheer lehnt Desertec dagegen vehement ab. Sein Verdacht: Die Stromwirtschaft zementiere mit dem Auslandseinsatz lediglich die bestehenden Branchenstrukturen und verhindere so den Ausbau dezentraler erneuerbarer Energien im Inland.

Im weltweiten Vergleich sieht Kemfert die Deutschen und die Europäer gut gerüstet für die Ära nach dem Öl. „Die EU ist heute schon sehr energieeffizient, zudem haben wir den Weg hin zu erneuerbaren Energien bereits begonnen“, stellt die Wissenschaftlerin fest. Die Expertin rechnet allerdings mit einer Aufholjagd der Amerikaner, Asiaten und der Ölstaaten. „Der Wettlauf um die besten Strategien und Konzepte hat begonnen“, ist sich Kemfert sicher.

Der Wandel ist, wie das deutsche Beispiel zeigt, keineswegs konfliktfrei. Nur aus der Ferne erscheint die Entwicklung harmonisch. Eine kräftige finanzielle Förderung unterstützt des Ausbau der Ökoeneergie. Die Versorger arbeiten an Technologien zur Abspaltung von CO2 bei der Stromerzeugung in Kohlekraftwerken. Die potenziell gefährlichen Kernreaktoren werden nach und nach abgeschaltet und umfangreiche Förderprogramme helfen Unternehmen wie Privathaushalten bei der Einsparung von Energie.  

Aus der Nähe betrachtet ist das Bild weniger harmonisch. Der Streit um die Laufzeiten der Atommeiler ist noch nicht entschieden. Zudem sitzt Deutschland auf einem Berg von schwer verstrahlten Atommüll. Ein Endlager dafür existiert noch nicht.  



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