Deutsche leben über ihre Verhältnisse

Living Planet Report 2014: Deutschland verbraucht Ressourcen von umgerechnet 2,6 Erden – und sei alles andere als „vorbildlich“.

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Von Hanna Gersmann

30. Sep. 2014 –

Plötzlich bricht der Turm aus Holzklötzen zusammen. Eberhard Brandes, der Chef des Umweltverbandes WWF, springt zur Seite. Er hat den Turm aufbauen lassen – als Bild für das Ökosystem. Es ist eine Demonstration. Brandes zieht erst einen Klotz raus – nichts passiert. Beim zweiten auch nicht. Dann der dritte. Zack, fällt alles zu Boden. „Keiner weißt, wann das System zusammenbricht“, sagt er. Darum sei es entscheidend für jeden Baustein, also für jedes Tier und für jede Pflanze zu kämpfen.  
Dienstag in Berlin - die Umweltschützer versuchen in Zeiten, in denen die Ebola-Epidemie, die Ukraine-Krise, der IS-Terror, die Bundesregierung und die Menschen beschäftigt, Aufmerksamkeit zu bekommen. Denn, so sagen sie: Man kann rechnen, wie man will, es reicht nicht. Die wohlhabenden Staaten leben über ihre Verhältnisse.

Hätte jeder Mensch auf der Welt den Lebensstil der Deutschen wären 2,6 Planeten nötig. Für den der US-Amerikaner sogar vier. Schon heute verbraucht die Menschheit insgesamt jedes Jahr 50 Prozent mehr Ressourcen als die Erde langfristig bieten kann. Homo sapiens holzt etwa Bäume schneller ab als sie nachwachsen. Er gefährde so seine eigene Zukunft, Hungersnöte oder extreme Wetterereignisse nähmen zu, warnte Brandes: „Wir müssen endlich verstehen: Nur wenn wir ein funktionierendes Ökosystem haben, können wir uns sozial entwickeln“, also „vernünftige Volkswirtschaften aufbauen“, und „Frieden sichern“.


Brandes beruft sich auf den 180 Seiten starken „Living Planet Report 2014“, der Dienstag herausgekommen ist. Alle zwei Jahre misst der WWF gemeinsam mit internationalen Wissenschaftlern, wie die Menschen mit ihrem Konsum von Fleisch oder Fisch, von Energie oder anderen Ressourcen, von Waren und Dienstleistungen die Umwelt beanspruchen.


Demnach hat der Mensch die Zahl von Land- und Meerestieren auf der Erde in nur vier Jahrzehnten halbiert, weil er jagt, fischt oder die Lebensräume zerstört. Forscher haben die Populationen von 3100 Arten an Säugetieren, Vögeln, Reptilien, Amphibien und Fische Wirbeltierarten zwischen 1970 und 2010 beobachtet.


Die Umweltexperten fürchten das Artensterben, aber freilich auch den Klimawandel. Und sie sehen noch ein anderes Problem: Überdüngung. Das Zuviel an Stickstoff, dass auf die Äcker gelange, damit etwa das Getreide gut gedeiht, wird in Bäche und Seen und am Ende ins Meer gespült. Dort lässt es Algen sprießen, die Sauerstoff brauchen. Für Fische und andere Meeresbewohner wird der Sauerstoff knapp. Diese Todeszonen in der Ostsee sind schon oft beschrieben worden.


Deutschland sei „weit davon entfernt vorbildlich zu sein“, meinte Brandes. Der WWF plädiere nicht dafür, sich zu kasteien und sich graue Säcke anzuziehen. Die Regierung müsse aber die Energiewende beherzter angehen, die Landwirtschaft stärker ökologisieren. Auch die Wirtschaft trage „große Verantwortung“. Und jeder einzelne müsse sein Verhalten prüfen, etwa „weniger Fleisch essen“. Jeder Baustein zählt.

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