Deutschland hat auf Sand gebaut

Weltweit wird der für viele Wirtschaftszweige wichtige Rohstoff Sand knapp. Der drohende Engpass schlägt auch auf die Baupreise durch. Die Industrie befürchtet nun, dass sich durch eine neue Verordnung auch das Recycling von Baustoffen verringert.

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Von Wolfgang Mulke

08. Okt. 2018 –

„Des heiligen römischen Reiches Streusandbüchse“, lästerten die alten Preußen über Brandenburgs reichlich vorhanden Sand im Boden. Rein rechnerisch wären die Brandenburger heute wohl genau dadurch ein reiches Land. Denn Sand wird überall gebraucht, die Nachfrage wächst, das Angebot nicht in gleichem Maße. Engpässe sind für die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) daher absehbar. „Für 2018 wird eine Verstärkung der Lieferengpässe vorausgesagt“, warnte BGR-Experte Harald Elsner in einer Studie zu Jahresbeginn.

Dabei ist der Rohstoff hierzulande reichlich vorhanden. Sand, Kies und Schotter gibt es in den verschiedensten Qualitäten im Boden. Laut BGR reichen die Vorkommen an Quarzsand noch Jahrzehnte, Bausand hat die Eiszeit praktisch über das gesamte Land verteilt. Nur die Mittelgebirge und Alpen, in denen Felsgestein dominiert, sind davon ausgenommen. Doch der Rohstoffreichtum hat einen Haken. „Ein Großteil der Sand-, Kies- und Natursteinvorkommen ist durch konkurrierende Nutzungen nicht nutzbar“, heißt es in Elsners Studie. Die Flächen sind bebaut, dienen dem Gewerbe, der Landwirtschaft oder dem Naturschutz. In Baden-Württemberg sind demnach beispielsweise 85 Prozent der Flächen anderweitig verplant. Und da Ackerland immer wertvoller wird, stellen auch Bauern ihre Flächen seltener für den Abbau von Sand zur Verfügung.

Gleichzeitig wächst der Bedarf an den Mineralien, die in vielen Branchen zum Einsatz kommen. Quarzsande benötigt die Industrie zum Beispiel für Computerchips, speziellen Sand für die Glasherstellung. Auch in Kosmetika oder Zahnpasta, in Klebstoffen und Bindemitteln wird der Rohstoff verwendet. Und natürlich beim Bau. Es ist schon überraschend, wie viel Sand in einem Gebäude steckt. Für ein Einfamilienhaus mit Keller werden nach Angaben des Bundesverbands Mineralische Rohstoffe (MIRO) 208 Tonnen Sand benötigt, ein Kilometer Autobahn schlägt mit 216.000 Tonnen zu Buche. Allein für die Sanierung zweier Magistralen braucht die Deutsche Bahn 700.000 Tonnen Schotter.

Fast 250 Millionen Tonnen Bausand und knapp zehn Millionen Tonnen Quarzsand und Kies wurden 2016 in Deutschland verkauft. Der Umsatz daraus ist gemessen an der Menge mit rund 1,8 Milliarden Euro gering. Eine Tonne Sand kostete durchschnittlich 6,43 Euro, Quarzsand 21,38 Euro. Doch die Preiskurve zeigt nach oben, „Wir sehen einen Anstieg“, sagt die Sprecherin des Bauindustrieverbands, Iris Grundmann. Um fünf Prozent sei der Preis für Bausand seit Jahresbeginn gestiegen. Diese Kosten müsse die Industrie an die Bauherren weitergeben. Der weitaus größere Preistreiber sei jedoch der Stahl, der sich im gleichen Zeitraum um gut 19 Prozent verteuerte.

Immerhin ist es bisher nicht zu den von der BGR befürchteten Lieferengpässen bei Sand gekommen. Ob dies auch so bleibt, bezweifelt der Branchenverband MIRO. Engpässe könne es bei sämtlichen in heimischen Steinbrüchen und Gruben geförderten Rohstoffen geben. Die Nachfrage steige, die Kapazitäten der Werke sei begrenzt. Der Verband sieht vor allem die Politik in der Pflicht, die neue Abbaufelder nur schleppend genehmige. „Gut zwölf Jahre muss man im Schnitt von der ersten Antragstellung bis zum Bescheid warten“, klagt MIRO-Sprecherin Gabriela Schulz.

Auch das Recycling von Baustoffen könnte durch eine neue Verordnung zurückgehen. Bisher werden über 90 Prozent der mineralischen Baustoffe wiederverwertet. Die Kriterien für aus altem Beton hergestellten neuen Produkten werden den bisherigen Plänen nach aber so verschärft, dass nur noch ein Teil der Recyclingware verkauft werden kann. Der überwiegende Anteil des Bauabfalls werde auf den ebenfalls knapp bemessenen Deponien landen, warnt Grundmann. „Das würde das gesamte Recyclingsystem in die Krise stürzen“, fürchtet die Sprecherin und sagt für diesen Fall weiter steigende Baupreise voraus. Wann die Verordnung in Kraft tritt, ist noch offen. Zunächst muss sich der Bundesrat mit dem Entwurf befassen.

Trotz wachsender Nachfrage und schwindender Abbaukapazitäten ist von einer Sandkrise in Deutschland noch nicht die Rede. International sieht es ganz anders aus. Weltweit wird immer mehr gebaut. Doch die für den Beton benötigten Sandqualitäten gibt es längst nicht in jedem Land. Das von Wüste umgebene Dubai importiert für seine Wolkenkratzer beispielsweise Sand aus Australien. Der eigene Wüstensand ist für die Verarbeitung ungeeignet. Wie auch in der Sahara sind die Sandkörner von Wind und Wetter zu rund geschliffen.

Der weltweite Bedarf explodiert durch die Bautätigkeit in den Schwellenländern. Aus einer Anfrage der Grünen im Bundestag geht hervor, dass allein China zwischen 2008 und 2010 mehr Zement verbraucht hat, als die USA im gesamten 20. Jahrhundert. Das knappe Gut samt hat längst auch die organisierte Kriminalität auf den Plan gerufen. In Indien und Indonesien tragen Kriminelle über Nacht ganze Strandpartien ab. Auch in Afrika wird, etwa aus dem Victoriasee in Uganda, illegal Sand für den Schwarzmarkt abgegraben. Dieses Schicksal hat die märkische Streusandbüchse noch nicht teilen müssen. Hier verschwinden zwar mal Tierherden, doch den Sand ließen Gauner bisher links liegen.

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