Deutschlands Wirtschaft schrumpft 2023

Bankenverband rechnet mit einem Minus von bis zu einem Prozent

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Von Björn Hartmann

31. Dez. 2022 –

2022 hat die Bundesbürger enorm gefordert: Wegen Russlands Angriff auf die Ukraine musste sich die Wirtschaft neu orientieren. Die Inflation erreichte ungekannte Höhen, Energie hat sich verteuert. Wie wird 2023? Christian Sewing, Präsident des Bundesverbands deutscher Banken, antwortet.

Konjunktur: Deutschlands Wirtschaft wird aus Sicht des Bankenverbands im kommenden Jahr schrumpfen. „Insgesamt rechnen wir für 2023 mit einem Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Leistung in Deutschland um bis zu ein Prozent“, sagt Bankenverbandspräsident Christian Sewing, der auch die Deutsche Bank führt. Der Bankenverband ist damit deutlich pessimistischer als etwa der Sachverständigenrat (-0,2 Prozent), die Bundesregierung (-0,4 Prozent), die EU-Kommission (-0,6 Prozent) und der Internationale Währungsfonds (-0,3 Prozent). Das Institut für Wirtschaftsforschung in Kiel rechnet sogar mit einem Plus von 0,3 Prozent. 2022 wird die deutsche Wirtschaft der Bundesregierung zufolge um 1,4 Prozent wachsen.

„Alle Zeichen deuten darauf hin, dass wir im Winterhalbjahr eine moderate Rezession in Deutschland sehen werden“, sagt Sewing. „Sie dürfte aber nicht so stark ausfallen, wie noch vor einigen Wochen befürchtet wurde, auch aufgrund der staatlichen Unterstützungsmaßnahmen wie der Gaspreisbremse. Ab dem Frühsommer sollte sich die wirtschaftliche Lage in Deutschland wieder stabilisieren.“ Allerdings bestehe das Risiko von Rückschlägen im zweiten Halbjahr, wenn eine Rezession in den USA und die verzögerte Wirkung der Geldpolitik in Europa zusammenträfen. „Außerdem wird der reale Kaufkraftverlust der Jahre 2022 und 2023 zu mehr Zurückhaltung beim Konsum führen“, sagt Sewing.

Dass jetzt viele ihre Jobs verlieren, ist dem Bankenpräsidenten zufolge eher unwahrscheinlich: „Wegen des zunehmenden Arbeitskräftemangels werden die Unternehmen auch in den kommenden Monaten nur vorsichtig Stellen abbauen“, sagt er. Zudem werde Kurzarbeit den Beschäftigten und den Unternehmen helfen. „Die Arbeitslosigkeit dürfte daher nur geringfügig steigen.“

Inflation: Nach mehr als zehn Prozent Teuerung in den vergangenen Monaten werden die Preise bald nicht mehr so stark steigen. „Es besteht berechtigte Hoffnung, dass die Inflationsrate in Deutschland wieder in den einstelligen Bereich zurückkehrt“, sagt Sewing. Dafür sprächen die kaum noch steigenden, teilweise sogar schon wieder etwas sinkenden Energiepreise. Die Gas- und Strompreisbremse der Bundesregierung könnte die Inflationsrate zudem um etwa ein bis zwei Prozentpunkte drücken.

„Im Jahresdurchschnitt 2023 halten wir eine Teuerungsrate von um die sieben Prozent für wahrscheinlich“, sagt der Bankenverbandspräsident. „Deutlich niedrigere Inflationsraten werden wir erst im Jahr 2024 sehen. Allerdings könnte die Rate dann, auch wegen des Auslaufens der Energiepreisbremsen, immer noch bei knapp vier Prozent liegen – bei allen Unsicherheiten, denen solche längerfristigen Prognosen gerade im aktuellen Umfeld unterliegen.“

Zinsen: Der Bankenverband rechnet mit einer härteren Geldpolitik. „Die Europäische Zentralbank wird auch im Jahr 2023 den Leitzins weiter anheben – Anfang Februar und Mitte März wohl erneut um jeweils 50 Basispunkte.“ Für Zentralbanken sind das vergleichsweise große Schritte. Und das ist Sewing zufolge noch nicht alles: „Der Einlagesatz der Banken bei der europäischen Notenbank, der aktuell bei zwei Prozent liegt, könnte bis auf 3,25 Prozent steigen. Und nach der letzten EZB-Sitzung dürfte klar sein, dass auch das noch nicht das Ende der Fahnenstange sein muss.“

In der Folge dürften Sparer profitieren. „Generell gehen wir davon aus, dass mit steigenden Leitzinsen der EZB auch die Guthabenzinsen steigen – das haben wir in den vergangenen Monaten bereits gesehen“, sagte Sewing. Aber: Die Zinsen für Tagesgeld- und Sparkonten seien stark vom Geschäftsmodell der einzelnen Institute abhängig.“

Natürlich beeinflusse das allgemeine Zinsniveau auch die Dispozinsen, sagte der Bankenpräsident, jene Zinsen, die für Kontoüberziehung bezahlt werden müssen. Wie sie sich ändern, kann  Sewing nicht sagen: „Deren Höhe wird von den einzelnen Banken und Sparkassen individuell und abhängig vom Marktumfeld festgelegt. Hier kann man keine allgemeinen Aussagen treffen – das ist eine Frage des Wettbewerbs.“

Immobilien: Wer ein Haus oder eine Wohnung kaufen möchte, kann erstmals seit Jahren auf niedrigere Preise hoffen. „Der seit zwölf Jahren anhaltende Preisanstieg bei Immobilien ist erst einmal beendet“, sagt Sewing. „Die Baukosten steigen, die Bauwirtschaft leidet unter Material- und Fachkräftemangel. Zusätzlich steigen die Zinsen für Immobilienkredite. Seit Herbst ist deswegen die Nachfrage nach Immobilienfinanzierungen deutlich gesunken.“ Das wiederum wirke sich auf die Immobilienpreise aus.

„2023 könnten Immobiliennachfrage und -preise weiter moderat sinken. Einen kräftigen Preisrutsch auf dem Immobilienmarkt befürchten wir aber nicht. Da die Zahl der Neubauten nicht so stark steigt wie wirtschaftspolitisch angestrebt, wird strukturell weiterhin die Nachfrage das Angebot am deutschen Immobilienmarkt übersteigen. Das gilt vor allem für Ballungszentren.“ In begehrten Städten wie Berlin, Frankfurt, Hamburg, Köln oder München bleibt es also teuer.

Filialen: „Die Zahl der Bankfilialen in Deutschland wird weiter abnehmen, weil sich das Kundenverhalten ändert“, sagt Bankenpräsident Sewing. 2021 schlossen die Kreditinstitute fast zehn Prozent aller Filialen, 2022 könnte die Zahl erstmals unter 20.000 gefallen sein. „Aber wir werden in Deutschland auch weiterhin über ein umfangreiches Filialnetz verfügen“, ist Sewing sicher. „Dabei verändert sich das Bild der Filiale: War diese früher Anlaufpunkt, um Geld zu überweisen, einen Dauerauftrag einzurichten oder Bargeld abzuheben, so suchen Kunden hier heute vor allem die individuelle Beratung – etwa beim Immobilienkauf oder bei der Altersvorsorge. Solange Kunden persönliche Beratung in der Filiale wünschen, wird es dieses Angebot natürlich weiter geben.“

Geldanlage: Steigende Zinsen, schwankende Aktienmärkte, Bitcoin-Absturz: Wie würde der Bankenpräsident derzeit 10.000 Euro anlegen? Das komme immer auf die eigene Lebenssituation an“, sagt Sewing, gerade deshalb sei eine individuelle Beratung entscheidend. „Eine Grundregel hat sich immer ausgezahlt: nicht alle Eier in einen Korb legen, sondern Risiken streuen.“ Und mit der aktuellen geldpolitischen Entwicklung würden auch klassische Zinsprodukte bis hin zur Bundesanleihe wieder attraktiver, als sie es in der Zeit der Negativzinsen waren.

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