Die Ampel soll es richten
Die Deutschen sollen gesünder leben und schlanker werden / Die Kennzeichnung ist umstritten
01. Jun. 2008 –
In Großbritannien gibt es dieses Frühwarnsystem für den Supermarktkunden bereits. Vor allem bei Mischprodukten, also zum Beispiel der Tiefkühlpizza oder anderen Fertigwaren, weiß kaum ein Kunde, was wirklich drin ist. Auf der Rückseite der Packungen findet der Käufer zwar viele Angaben. Doch das Zahlenwerk ist vielen zu kompliziert und unverständlich. Das ist in Deutschland nicht anders, wie eine Studie des Verbraucherministeriums ermittelte. Nur jeder fünfte Mann und jede zweite Frau können einschätzen, wie viel Fett, Kalorien oder Zucker oder gar gesättigte Fettsäuren ihre Lebensmittel enthalten. Beim Salz sind die Kenntnisse noch deutlich geringer. Nur eine Minderheit achtet bei der Kaufentscheidung auf die Nährwerte. Eine gute Kennzeichnung könnte das Verhalten ändern. Vier von fünf Verbrauchern halten Informationen über die wichtigsten Bestandteile der Nahrung für wichtig. Eine Mehrheit plädiert für die Ampelkennzeichnung, bei der jeder sofort sieht, wenn etwas im roten Bereich liegt. Der Mehrheitswille hat schließlich auch den Verbraucherminister überzeugt. So sagt er es jedenfalls.
Die vermeintlich einfache Lösung ist aber umstritten, weil sie womöglich über das Ziel hinausschießt. Denn weder Zucker noch Fett oder Salz gefährden die Gesundheit, solang sie in angemessener Menge konsumiert werden. Der Körper braucht sogar von allem etwas. Es ist wie beim Wein. Ein Glas davon ist gesund, bei einem Eimer droht das Koma. Selbst die Meinung der Verbraucherschützer ist geteilt. Während sich die Verbraucherzentralen im Kampf gegen das Übergewicht für die Ampel stark machen, hält die Stiftung Warentest von der plakativen Darstellung nichts.
Die Nahrungsmittelindustrie will über eine freiwillige Angabe oder Farbkennzeichnung nicht hinausgehen, weil viele Hersteller Angst vor Umsatzeinbrüchen haben, wenn sie rote Punkte auf ihre Verpackungen drucken müssten. Insbesondere die Süßwarenhersteller lehnen den Vorschlag ab. Aber auch bei manchen Limonaden, Grillsoßen oder Joghurtdrinks würden die Kunden plötzlich feststellen, dass sie einen Dickmacher in den Händen halten. Manche Hersteller verschleiern den tatsächlichen Nährwert ihrer Produkte geschickt. Auf den Verpackungen steht beispielsweise der Fettgehalt pro Portion oder der Anteil des Zuckers am Tagesbedarf eines Menschen. Da kann eine handvoll Chips schon zur gesundheitlich harmlosen Portion erklärt werden, obwohl der übliche Snackfreund schnell eine halbe Tüte davon verspeist, was er selbst für eine Portion hält. Auch der Tagesbedarf ist umstritten, zum Beispiel beim Zucker. 90 Gramm hält die Industrie für angemessen, 60 Gramm die Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Je nach Annahme fällt der prozentuale Anteil des Zuckers in der Brause am Tagesbedarf sehr unterschiedlich aus. Auf einem halben Liter Cola werde suggeriert, dass man 29 Prozent des Tagesbedarfs zu sich nimmt, kritisiert die stellvertretende Fraktionschefin der Grünen, Bärbel Höhn, „eigentlich müsste das aber rund 110 Prozent für Erwachsene und 140 Prozent für Kinder stehen.“
Hintergrund des Streites ist das große gesellschaftliche Thema Übergewicht. Die Deutschen werden immer fetter. Zwei Drittel der Männer und jede zweite Frau zwischen 18 und 80 Jahren tragen zuviel Gewicht mit sich herum. Der Anteil der übergewichtigen oder gar fettleibigen Kinder ist mit 15 Prozent schon erschreckend hoch. Die Zahlen dienen als Grundlage für den Nationalen Aktionsplan Ernährung (NAP), den die Bundesregierung Mitte Juni beschließen will. Die Ursachen der zunehmenden Verfettung finden sich nicht nur beim Essen. Immer mehr Menschen arbeiten sitzend und bewegen sich auch in der Freizeit wenig. Zusammen mit einer falschen Ernährung sind schwere, und für die Gesellschaft teure Folgekrankheiten oft vorprogrammiert.
Dagegen will der NAP vorgehen. Mit vielen Kampagnen sollen die Bürger über gesunde Ernährungsweisen aufgeklärt werden. Information ist ein wesentliches Element des NAP. Auch die Nährwertkennzeichnung zielt in diese Richtung.