„Die armen Länder schaffen es nicht alleine“

Der Anbau von Gentech-Pflanzen sei notwendig, um die Ernährung von Milliarden Menschen zu sichern, sagt Agrarwissenschaftler Harald von Witzke

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Von Hannes Koch

14. Apr. 2009 –

Hannes Koch: Herr von Witzke, Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner hat den Anbau von gentechnisch verändertem Mais in Deutschland verboten. Halten Sie diese Entscheidung für richtig?


Harald von Witzke: Nein. Langfristig kommen wir auf dieser Welt nicht ohne den Anbau genetisch bearbeiteten Saatguts aus. Denn seit dem Jahrtausendwechsel erleben wir eine Trendwende auf den Weltagrarmärkten.


Koch: Was ändert sich?


Von Witzke: Von 1870 bis etwa zum Jahr 2000 sanken die Preise für Nahrungsmittel, weil die Produktion und die Produktivität der Landwirtschaft schneller stiegen als die Nachfrage. Nun aber ist es umgekehrt: Die Nachfrage wächst schneller als das Angebot. Das hat zwei Gründe: Einerseits nimmt die Weltbevölkerung weiter rasant zu. 2050 werden neun Milliarden Menschen auf der Erde leben. Außerdem verdienen viele Einwohner von Schwellenländern wie China und Indien mehr Geld und kaufen mehr Nahrungsmittel. Dadurch wird sich die Nachfrage nach Lebensmitteln in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts verdoppeln. Und schon im nächsten Jahrzehnt steigen auch die Preise um bis zu 100 Prozent.


Koch: Der Gentech-Anbau soll den Preisanstieg und die Knappheit mildern?


Von Witzke: Mit gentechnisch veränderten Pflanzen kann man die Ernteverluste verringern. Heute geht die Hälfte der weltweiten Ernte durch Pflanzenkrankheiten verloren. Aber das ist nur ein Weg, um die Produktivität der Landwirtschaft zu steigern. Wichtig ist auch eine bessere und schonendere Nutzung der Böden in den Entwicklungsländern.


Koch: Die Menschen in Deutschland sind wohlhabend. Höhere Nahrungsmittelpreise machen ihnen nicht viel aus. Wozu dann Gentechnologie in der Landwirtschaft?


Von Witzke: Für viele Europäer mag das eine Luxusfrage sein – wenn auch nicht für alle. Für die arme Hälfte der Weltbevölkerung aber haben steigende Preise dramatische Auswirkungen. Millionen Menschen in Asien, Afrika und Lateinamerika hungern. Ihre Zahl steigt. Unruhen und Aufstände nehmen zu.


Koch: Sie halten Gentech-Landwirtschaft für notwendig, um die Entwicklungsländer zu ernähren?


Von Witzke: Ja. Wo sollen die fehlenden Nahrungsmittel herkommen, wenn nicht aus den reichen Staaten? Weil das Bevölkerungswachstum so groß ist, können die Entwicklungsländer ihre Bevölkerung nicht komplett selbst ernähren. Die armen Länder schaffen es einfach nicht alleine.


Koch: Also geht es gar nicht um uns?


Von Witzke: Wir müssen die moralische Frage beantworten, ob wir dazu beitragen wollen, die Welternährung zu sichern.


Koch: Für Deutschland hätte der Einsatz von gentechnologischen Pflanzen demnach gar keinen Vorteil?


Von Witzke: Doch, wenn einheimische Landwirte genverändertes Saatgut verwenden, sichert das Arbeitsplätze in der Agrarforschung. Und zweitens könnten die hiesigen Betriebe dann vom Wachstum des Weltmarktes profitieren.


Koch: Der Verkauf biologischer und gentechnikfreier Lebensmittel nimmt aber schneller zu.


Von Witzke: Der Markt für organische Nahrungsmittel ist klein. Selbst in Deutschland liegt er weit unter zehn Prozent des Gesamtmarktes. Und das gilt erst recht im weltweiten Maßstab. Die einheimischen Bauern müssen sich entscheiden, ob sie für eine Minderheit oder die Mehrheit produzieren wollen.


Koch: Könnte Deutschland seinen Beitrag zur Welternährung auch dadurch leisten, dass wir die bewirtschaftete Fläche ausdehnen und die Produktivität auf konventionelle Weise erhöhen?


Von Witzke: Das reicht nicht. In der Europäischen Union könnten wir vier Millionen Hektar zusätzlich unter den Pflug nehmen. Das macht nur etwa 0,25 Prozent der weltweiten Agrarfläche aus.


Koch: Lässt sich nicht wenigstens die weltweite Produktionsfläche ausdehnen?


Von Witzke: Ja, aber bis 2020 nur um etwa fünf Prozent. Doch alleine die Nachfrage nach Getreide wird in diesem Zeitraum um 30 Prozent wachsen. Die besten Flächen sind bereits in Bearbeitung. Es gibt keine nennenswerten Bodenreserven mehr. Und wo es sie noch gibt, wollen wir sie nicht nutzen, um beispielsweise den tropischen Regenwald zu erhalten.



Harald von Witzke (59) lehrt und forscht als Professor für Agrarhandel und Entwicklung an der Berliner Humboldt-Universität

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