• Enzo Weber, Foto: IAB

„Die Generation unserer Kinder wird wohlhabender sein als wir“

Wirtschaftsprofessor Enzo Weber ist optimistisch für Berufschancen, Fortschritt und Wachstum. Der Arbeitskräftemangel wirke „sich auch positiv auf die Einkommen aus“.

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Von Hannes Koch

06. Jan. 2023 –

Hannes Koch: „Die junge Generation wird die reichste sein, die es jemals gegeben hat“, sagten Sie kürzlich. Sie widersprechen damit dem allgemeinen Pessimismus. Wie kommen Sie zu Ihrer Einschätzung?

Enzo Weber: Zu Pessimismus gibt es zwar Grund genug. Der Krieg, die Energiekrise, die Inflation, die Spätfolgen von Corona, der Klimawandel, die Alterung unserer Gesellschaft – das ist eine kritische Mischung. Deswegen befürchten viele, dass unser Wohlstand abnehmen könnte.

Koch: Sie sehen das nicht so.

Weber: Wir müssen uns doch fragen: Woher kommt Reichtum wirklich? Billige Energie ist jedenfalls nicht entscheidend. Wohlstand entsteht durch die technologische Entwicklung und den verbesserten Einsatz von Arbeit – also durch die Steigerung der Produktivität. Dafür haben wir jetzt Hebel in der Hand, die früheren Generationen nicht zur Verfügung standen. Damit meine ich erstens die intelligente Digitalisierung, die menschliche Arbeit effektiver und gleichzeitig humaner machen kann. Und zweitens die Ökologisierung der Wirtschaft, die ganz andere Innovationen und Geschäftsmodelle hervorbringen wird, als wir sie bisher kannten.

Koch: Sie rechnen mit einer neuen industriellen Revolution?

Weber: Zumindest haben wir die Chance, das fossile Zeitalter zu beenden. Während der vergangenen 15 Jahre haben wir einen guten Teil unseres Wachstums erwirtschaftet, indem die Zahl der Beschäftigten stieg. Das war Wachsen durch Masse. Künftig werden wir mehr Wachsen durch Klasse erleben. Auch deshalb wird die Generation unserer Kinder wohlhabender sein als wir.

Koch: Produktivitätssteigerung bedeutet zum Beispiel, dass die Leute pro Arbeitsstunde mehr Wohlstand erwirtschaften. Im Falle von digitalisierten Fabriken, in denen immer weniger Beschäftigte arbeiten, kann man sich das gut vorstellen. Aber warum erhöhen Windräder die Produktivität im Vergleich zu fossilen Energien?

Weber: Wind- und Solaranlagen produzieren unter anderem deshalb sehr günstig, weil sie eine natürliche Energie nutzen, die kostenlos zur Verfügung steht. Außerdem verursachen sie kaum ökologische Schäden, die man teuer beheben müsste.

Koch: Die gigantischen Investitionen für den Aufbau des erneuerbaren Energiesystems könnten Ihrem Optimismus widersprechen. Und mit Ökostrom hergestellter Wasserstoff, den die Industrie später braucht, ist viel teurer als fossile Energie.

Weber: Eine statische Betrachtung verkennt die zukünftigen Entwicklungssprünge. Die Kosten werden sinken. Das Automobil um 1900 eignete sich ebenfalls noch nicht für den marktwirtschaftlichen Einsatz. Wirtschaftsentwicklung ist eine dynamische Angelegenheit. So wird die Dekarbonisierung ähnliche Fortschritte hervorbringen wie andere Technologien vor ihr.

Koch: Welche Rolle spielen Erbschaften für die materielle Zukunft der jungen Generation?

Weber: Tatsächlich vererben die Älteren den Jüngeren immer höhere materielle Privatvermögen, natürlich nicht gleich verteilt. Für wichtiger halte ich aber den öffentlichen Wohlstand, der von einer an die nächste Generation übertragen wird: das funktionierende Rechts- und Sozialsystem, Infrastruktur, Bildung und Forschung. Dieser gemeinsame Reichtum bildet die Basis dafür, dass die Arbeit auch künftig produktiver werden kann und die Individuen profitieren.

Koch: In meinem Jahrgang – 1961 – waren wir 1,3 Millionen Personen. Im Jahrgang meiner Tochter – 1997 – sind es 800.000. Die abnehmende Stärke der Geburtsjahrgänge führt jetzt zum Mangel an Arbeitskräften. Was bedeutet das für die späteren Einkommen der heute jungen Leute?

Weber: Mit diesem demografischen Wandel verbessern sich die Chancen vieler Beschäftigter, ihre Forderungen an die Arbeitgeber durchzusetzen. Diese wissen: Die Leute sind knapp; wenn ich jemanden entlasse, kann ich die Stelle vielleicht nicht mehr besetzen. Also sind sie eher geneigt, auf die Wünsche des Personals einzugehen. Das wirkt sich auch positiv auf die Einkommen aus. Wobei jetzt nicht sofort das goldene Zeitalter ausbricht. Noch haben wir einen Niedriglohnsektor, in dem etwa ein Fünftel der Beschäftigten arbeitet.

Koch: Kann der Niedriglohnbereich schrumpfen?

Weber: Der Wind hat sich etwas gedreht. Während in den 2000er Jahren mehr und mehr Leute für geringe Gehälter arbeiteten, profitieren seit 2010 auch untere Einkommen von Lohnerhöhungen. Ein Mindestlohn von 12 Euro pro Stunde kommt hinzu.

Koch: Verbessert sich auch die Qualität der Arbeitsplätze, wenn die jungen Leute mehr Forderungen stellen können?

Weber: Davon gehe ich aus, das begann schon vor Corona. Wobei es die Einzelnen mit ihren Forderungen nach flexiblen Arbeitszeiten damals noch schwerer hatten. Während der Pandemie aber wurde Flexibilität zum kollektiven Standard.

Koch: Das Homeoffice ist also gekommen, um zu bleiben?

Weber: Ja, wenn auch nicht auf dem Lockdown-Niveau. Die Ansprüche und Erfahrungen sind ja jetzt in der Welt. Da gibt es keinen Weg zurück. Und auch die technischen Möglichkeiten schreiten voran.

Koch: Für die Beschäftigten bedeutet Homeoffice einen Zugewinn an Freiheit, für die Unternehmen und die Gesellschaft aber eventuell einen Produktivitätsverlust, weil sich manche Leute in ihre heimische Bequemlichkeit zurückziehen.

Weber: Dazu zeigte die Forschung schon vor Corona: Wenn sich Beschäftigte zurückziehen, hat das eher mit anderen Problemen im Betrieb zu tun, weniger mit dem Homeoffice. Verspüren die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hingegen Motivation, bekommt die Firma mehr zurück, wenn sie ihren Leuten mehr Freiheit gibt. Um unerwünschte Nebeneffekte zu vermeiden, brauchen die Unternehmen jetzt gute Konzepte für die mobile Arbeit. Sie sollten die Regeln, die Verantwortlichkeiten und das Feedback transparent machen.

Koch: Im Prinzip steigt die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland seit den 1950er Jahren an, besonders deutlich während des vergangenen Jahrzehnts. Kann das auch in den kommenden Jahrzehnten so weitergehen?

Weber: Wahrscheinlich nicht. Das Wachstum mittels einer steigenden Zahl von Beschäftigten ist wohl vorbei. Wenn die Geburtenrate deutlich unter zwei Kinder liegt wie in Deutschland, nimmt die Zahl der jungen Leute ab, die in den Arbeitsmarkt eintreten. Wir können die Schrumpfung aber aufhalten, wenn wir gleichzeitig mehrere Hebel betätigen. Einer davon: Wenn wir in die Qualifizierung und Betreuung von Langzeitarbeitslosen investieren und die Arbeitslosigkeit noch weiter sinkt, gewinnen wir eine Million Beschäftigte zusätzlich.

Koch: Und die anderen Hebel?

Weber: Bei Älteren gibt es noch viel Potenzial im Arbeitsmarkt, gerade, wenn wir systematisch die geeigneten Tätigkeitsprofile finden und Menschen rechtzeitig in diese Richtung qualifizieren. Umfassende Kinderbetreuung und flexible Arbeitszeiten sind wichtig, um den Knick in der beruflichen Entwicklung von Frauen zu vermeiden. Eine offene Zuwanderungspolitik, bessere Integration, berufsbegleitende Qualifizierung und Sprachförderung würde es Zugewanderten leichter machen, hier Fuß zu fassen und sich im Arbeitsmarkt weiterzuentwickeln. Gerade die Erwerbsquote ausländischer Frauen ist heute sehr niedrig. Schließlich würde eine klare Familienfreundlichkeit dabei helfen, dass unsere Geburtenrate wieder steigt.

Koch: Würden Sie sagen, dass es unsere Kinder besser haben werden als wir?

Weber: Absolut betrachtet, ja – gemessen am Wohlstand pro Kopf der Bevölkerung. Aber ich halte nicht viel von solchen Vergleichen. Jede Generation ist in einer anderen Situation, hat ihre Herausforderungen und kann das Beste daraus machen.

Koch: Das Aufstiegs- und Fortschrittsversprechen der sozialen Marktwirtschaft gilt also noch?

Weber: Einen sozialen Aufstieg zu schaffen, ist für viele Bürgerinnen und Bürger schwierig. Denn der familiäre Bildungshintergrund entscheidet noch immer stark über die Chancen der Kinder; oft wird Bildungsarmut vererbt. Wobei wir das mit einem integrativeren Bildungssystem durchaus ändern könnten. Die Mittel dafür müssen zur Verfügung stehen – auch das meine ich, wenn ich auf den Wohlstand der jungen Generation hinweise. Fortschritt und Wachstum bleiben ebenfalls weiterhin möglich, aber anders. Ökologisch nicht nachhaltige Wirtschafts- und Konsummuster, inklusive der Verfeuerung fossiler Brennstoffe, werden wir ablegen müssen.

Enzo Weber (Jahrgang 1980) arbeitet am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg. Außerdem lehrt er als Professor an der Universität Regensburg.

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