Die große Kluft zwischen Prognose und Wirklichkeit

Kunden von Lebensversicherungen erhalten am Ende häufig weniger Geld als einst vorhergesagt. Doch gegen verfehlte Prognosen lässt sich kaum etwas unternehmen.

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Von Wolfgang Mulke

10. Feb. 2017 –

Rund 90 Millionen Lebensversicherungsverträge gibt es in Deutschland. Die meisten laufen über Jahrzehnte. Wenn sie am Ende der Laufzeit zur Auszahlung kommen, erleben viele Kunden eine herbe Enttäuschung. Denn das vom Versicherungsvertreter beim Vertragsabschluss genannte

Schlussvermögen erweist sich oft als übertrieben. So überzeugte ein Verkäufer von Policen den Autor dieser Zeilen 1994 mit der Aussicht auf knapp 1.000 D-Mark, also fast 500 Euro Rente von seinem Angebot. In der jährlichen Zwischenrechnung der Versicherung ist heute nur noch von 360 Euro Monatszahlung im Alter die Rede.

Vielen Sparern geht es ähnlich, wie die Zeitschrift Finanztest vor genau einem Jahr ermittelte. Die Verbraucherschützer werteten mehr als 90 laufende Verträge von Versicherten aus. Zwischen der Modellrechnung und dem Ergebnis würden oft erhebliche Lücken klaffen, stellte Finanztest fest, „die Überschussangaben zu Beginn des Vertrags erwiesen sich meist als Fehlschluss.“ Den Kunden wurde am Ende der Laufzeit bis zur Hälfte weniger überwiesen als zuvor angekündigt. Das entgangene Vermögen kann sich schnell auf einen fünfstelligen Betrag summieren.

„Die Enttäuschung beruht meist auf einer falschen Erwartungshaltung“, sagte die Sprecherin des Bundes der Versicherten, Bianca Boss: Bei Vertragsabschluss werde nur selten vom Versicherungsvertreter darauf hingewiesen, dass es sich bei der Ablaufleistung um eine Zusammensetzung aus garantierter Summe und nicht garantierter Überschussbeteiligung handelt. Dabei ist das ein wichtiges Prinzip dieser Geldanlage. Die Anbieter sichern eine geringe Verzinsung zu. In sehr alten Verträgen waren es noch vier Prozent. Momentan sind es mickrige 1,25 Prozent. Alle darüber hinaus gehenden Erträge hängen von anderen Faktoren ab, zum Beispiel dem Anlageerfolg des Unternehmens oder der Sterblichkeit der Versichertengemeinschaft.

Die Politik trägt eine Mitschuld an den geringeren Auszahlungen. „Auch die weiteren Eingriffe der Regierung auf das Vermögen der Verbraucher – Bewertungsreserven und Zinszusatzreserven – führt zu einer weiteren Verringerung der Ablaufleistung“, erläutert Boss. Diese Gesetzesänderungen sollen die Versicherungsbranche stabilisieren. Denn in der aktuellen Niedrigzinsphase gelingt es den Unternehmen nur mit Mühe, ihre Zusagen für alte Verträge auch zu erwirtschaften.

Der Unterschied zwischen den garantierten und den zusätzlichen Erträgen erkennen nach Einschätzung der Verbraucherzentrale Hamburg nur die wenigsten Kunden. „Als Laie kann man das auch in den meisten Fällen nicht sehen oder verstehen“, sagt die Abteilungsleiterin für Altersvorsorge, Kerstin Becker-Eiselen. Den Betroffenen kann die Expertin kaum Hoffnung auf einen erfolgreichen Widerspruch bei einer Abweichung von Prognose und Realität machen. Wenn man tatsächlich mal Anhaltspunkte dafür finde, dass etwas nicht stimmt, könne man sich an den Ombudsmann der Versicherungen wenden.

Die Schlichtungsstelle nimmt Beschwerden von Versicherungskunden entgegen. Auf der Internetseite www.versicherungsombudsmann.de erklären die Fachleute, wie Verbraucher die Prüfung in die Wege leiten können. Auch bei der Bundesfinanzaufsicht BaFin können Verbraucher Eingaben machen, wenn sie sich unbotmäßig übervorteilt fühlen. Die Behörde informiert unter der Adresse www.bafin.de über die Rechte der Verbraucher gegen über ihrer Lebensversicherung.

Der Ombudsmann zeigt zwar Verständnis für den Ärger der Kunden, die weit weniger ausgezahlt bekommen als erwartet. Doch große Hoffnung auf einen erfolgreichen Widerspruch kann der Schlichter nicht verbreiten. „Die mitgeteilten Werte sind in der Regel weder hinsichtlich der Berechnung noch unter rechtlichen Gesichtspunkten zu beanstanden“, betont er. 2015 war nicht einmal jede vierte Beschwerde erfolgreich. Im Durchschnitt aller Versicherungssparten waren es immerhin 44 Prozent. Die BaFin bestätigt den Befund. In der Regel müsse die Abweichung von Prognose und Ergebnis hingenommen werden.

Einen laufenden Vertrag deshalb zu kündigen, ist nach Ansicht der Finanzexperten nicht ratsam, weil die Rückkaufwerte in der Regel viel zu gering sind. Auf eine Ausnahme weist die Hamburger Verbraucherzentrale hin. Bei Verträgen, die zwischen Mitte 1994 und 2007 abgeschlossen wurden, war die Widerspruchbelehrung in vielen Fällen fehlerhaft. Dann haben die Kunden zeitlich unbegrenzt den Anspruch auf die Rückzahlung aller eingezahlten Beträge nebst Zinsen. Nur den für die Versicherungsleistung im Todesfall aufgewendeten Beträge darf das Unternehmen einbehalten. Laut Verbraucherzentrale fahren kündigungswillige Kunden damit meist besser als bei einer einfachen Auflösung des Vertrags. Ob dieses Verfahren für einen Verbraucher in Frage kommt, kann auf der Webseite www.vzhh.de/versicherungen/325718/widerspruch-rechnen-pruefen-geld-zurueckholen.aspx geprüft werden.

 

Versicherungsverträge sind kompliziert. Ist ein Kunde nicht einverstanden mit den Leistungen seines Anbieters, kann sich eine professionelle Prüfung des Vertrags lohnen. Das bietet die Verbraucherzentrale Hamburg an. Der Vertrags-Check kostet zwar eine Gebühr von 85 Euro. Doch angesichts der oft hohen Summen, um die es bei Lebensversicherungen geht, kann sich der Aufwand lohnen.

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