• DIW-Chef Marcel Fratzscher |Foto: DIW
    DIW-Chef Marcel Fratzscher |Foto: DIW

„Die Idee des Hubschraubergeldes ist sinnvoll“

Soll die Europäische Zentralbank jedem Bürger Geld schenken, um die Wirtschaft anzukurbeln? Ökonom Marcel Fratzscher sagt: „Der Vorschlag ist logisch“

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Von Hannes Koch

13. Apr. 2016 –

Hannes Koch: 5.000 Euro als Geschenk für jeden Haushalt von der Europäischen Zentralbank – wie aus dem Hubschrauber abgeworfen. Darüber diskutieren Ökonomen. Ist das nicht extrem unrealistisch?

 

Marcel Fratzscher: Augenblicklich scheint das tatsächlich weit hergeholt. Aber es ist auch nicht ausgeschlossen. Auf jeden Fall brauchen wir die Debatte darüber. In Deutschland werden neue Gedanken manchmal zu schnell vom Tisch gewischt und als Quatsch bezeichnet. Die Idee des sogenannten helicopter money ist durchaus sinnvoll. Wir müssen offen bleiben und überlegen, wie wir aus der gegenwärtigen Wirtschaftskrise herauskommen.

 

Koch: Kürzlich hat auch Ihr Kollege Reint Gropp, der Chef des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, für Hubschraubergeld plädiert. Welche sind Ihre Argumente?

 

Fratzscher: Der Vorschlag ist logisch. Denn in Europa sinken in vielen Branchen und bei zahlreichen Produkten die Preise. Diese Deflation ist schlecht für die Unternehmen, sie nehmen zu wenig Kredite auf und halten sich mit Investitionen zurück. Gleichzeitig leiten die Banken das Geld, das ihnen die europäische Zentralbank (EZB) zur Verfügung stellt, in zu geringem Maße an die Firmen und die Bürger weiter. Seit der Finanzkrise funktioniert das Banksystem nicht mehr so, wie es soll. Daher kommt die Idee, die Banken zu umgehen und Zentralbankgeld direkt den Bürgern zur Verfügung zu stellen. Die damit finanzierte Nachfrage könnte einen Impuls für höhere Preise und mehr Wachstum darstellen.

 

Koch: Sie sagen, das Bankensystem funktioniere nicht mehr. Was heißt das?

 

Fratzscher: Große Problem gibt es in Südeuropa, beispielsweise in Italien. Dort sitzen die Banken auf faulen Krediten von mindestens 200 Milliarden Euro. Weil sie weiteres Risiko scheuen, geben die Institute besonders kleinen und mittleren Unternehmen kaum Kredite. Diese beschäftigen aber 70 Prozent der Arbeitnehmer. Die Banken kommen also ihrer ureigensten Aufgabe, wirtschaftliche Aktivitäten zu finanzieren, kaum nach. Und das nährt die Sorge, dass wir über viele Jahre aus der Krise nicht herauskommen und in eine Deflationsspirale hineingeraten könnten.

 

Koch: Das Wirtschaftswachstum in der EU soll dieses Jahr 1,5 Prozent betragen. Ist die Krise wirklich so tief, dass unorthodoxe Maßnahmen wie Verschenken von Zentralbankgeld gerechtfertigt sind?

 

Fratzscher: Drei bis vier Prozent wären notwendig und auch normal nach einer Finanzkrise, wie wir sie hatten. Und man darf die erträgliche Lage in Deutschland nicht mit EU insgesamt verwechseln. Die italienische Volkswirtschaft ist heute neun Prozent kleiner als 2008. Die Arbeitslosenquote liegt bei zwölf Prozent.

 

Koch: Hat irgendeine Notenbank die Idee des Hubschraubergeldes schon mal ausprobiert?

 

Fratzscher: Wir reden hier über ein neues Instrument. Aber es wäre nicht das erste Mal während der vergangenen zehn Jahre, dass in der Geld- und Fiskalpolitik Dinge passierten, die man vorher für undenkbar hielt. Um die US-Banken zu stabilisieren, zwang ihnen die dortige Notenbank Staatskapital auf. Ein anderes Beispiel: die negativen Einlagenzinsen der EZB.

 

Koch: Wie würde es in der Praxis ablaufen, wenn die EZB die Bürger mit zusätzlichen Euros versorgte?

 

Fratzscher: Die Notenbank müsste mit den staatlichen Behörden kooperieren. Beispielsweise die Finanzämter könnten die Mittel an die Steuerzahler weiterleiten.

 

Koch: Überschritte die EZB mit den Geschenken nicht ihre Kompetenzen?

 

Fratzscher: Nein, laut ihrem Mandat muss sie Preisstabilität gewährleisten. Dieses Ziel verfehlt sie jedoch zur Zeit bei weitem. Sie muss deshalb alle legalen Instrumente nutzen.

 

Koch: Das Zentralbankgeld würde zuerst an den Staat gehen, von dort weiter an Bürger. Das kann man als Staatsfinanzierung betrachten, die der EZB verboten ist.

 

Fratzscher: Das wäre keine Staatsfinanzierung, denn es würde und sollte keine Staatsausgaben finanzieren.

 

Koch: Die EZB-Politik des billigen Geldes und ihr Schutz für verschuldete Staaten wie Griechenland ist ohnehin sehr umstritten. Würde sie mit dem Hubschraubergeld ihren Ruf nicht weiter beschädigen?

 

Fratzscher: Die Glaubwürdigkeit der EZB in Deutschland hat tatsächlich Schaden genommen. Das ist ein Problem für die EZB. Denn Glaubwürdigkeit ist für jede Zentralbank das wichtigste Gut. Wenn die Märkte, Firmen und Bürger nicht mehr daran glauben, dass die Zentralbank die Stabilität der Preise garantieren kann, dann ist ihr Mandat in Gefahr. Die Hauptverantwortung für den Schaden der Glaubwürdigkeit liegt jedoch bei denen, die von der EZB fordern, sie solle über ihr Mandat der Preisstabilität hinausgehen und entweder Staaten disziplinieren oder andere politischen Funktionen übernehmen.

 

Koch: Hier und da ist schon die Forderung nach regelmäßigen Geldgeschenken der EZB zu hören – einer Art Grundeinkommen.

 

Fratzscher: Das ist ein Kurzschluss. Hubschraubergeld wäre ein einmaliger geldpolitischer Impuls, keine längerfristige soziale Sicherung.

 

Bio-Kasten

Marcel Fratzscher (45) ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Zuvor arbeitete er bei der Europäischen Zentralbank in Frankfurt. Im Auftrag die Bundesregierung leitete er die Kommission, die ein Konzept für verstärkte öffentliche und private Investitionen ausarbeitete.

 

Info-Kasten

Kritik an der EZB

Jüngst ist in Deutschland wieder laute Kritik an der Europäischen Zentralbank (EZB) zu hören. Ein Grund: EZB-Präsident Mario Draghi bezeichnete die Idee des sogenannten Hubschrauber-Geldes als „interessantes Konzept“. Was die EZB gegen die drohende Deflation macht (Null-Zinsen, Anleihekäufe) betrachten manche Bürger und Politiker als Angriff auf Sparkonten und Renten. Martin Jäger, der Sprecher von Finanzminister Wolfgang Schäuble, sagte kürzlich, diese Debatte sei „legitim“.

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