Die Krise lässt sich nicht wegzaubern
Dem Weltwirtschaftsforum in Davos fällt es schwer, eine Antwort auf die Turbulenzen an den Finanzmärkten zu finden
01. Feb. 2009 –
Wenn Klaus Schwab spricht, klingt es ein bisschen, als wolle er die Welt neu erschaffen. Als ließe sich, wäre man nur guten Willens, eine Art Paradies auf Erden einrichten. Alle Menschen würden sich an den Händen fassen und endlich das tun, was getan werden muss, um den Planeten zu einem besseren Ort zu machen.
Schwab (70), der hochgewachsene, hagere Gründer und Organisator des World Economic Forums im Schweizer Bergort Davos, liebt eine Sprache, in der es von allumfassenden Vokabeln nur so wimmelt. In seiner Eröffnungsrede zum diesjährigen informellen Weltgipfel der Wirtschaftselite forderte er die 2.500 teilnehmenden Vorstände, Manager, Wissenschaftler und Spitzenpolitiker auf, einen „ganzheitlichen Ansatz“ zu wählen, die „wirkliche Kooperation aller Stakeholder“ anzustreben und die „Weltwirtschaft wieder aufzubauen“.
Kein leichtes Programm für fünf Tage – am Sonntag endete das 39. WEF. Gerade in diesem Jahr zeigten sich deutlich die Grenzen, die Schwabs Herangehensweise gesetzt sind. Wenn er versuchte, die Finanzkrise wegzureden und hinfortzuzaubern, wollte das nicht funktionieren.
Anders als das Motto des diesjährigen Forums - „die Welt nach der Krise gestalten“ - suggeriert, sind die Turbulenzen nicht vorbei. Es kann sogar sein, dass sie noch zunehmen. So schätzt unter anderem Nouriel Roubini die Lage ein. Der Ökonomie-Professor aus New York sagt: „Ich sehe eine Wahrscheinlichkeit von 30 Prozent, dass es zu einer langen Depression kommt“. Bisher lag Roubini mit seinen Annahmen richtig. Als einer der ersten hatte er vor zwei Jahren das heraufziehende Unheil prognostiziert.
Zudem gibt es innerhalb der Business-Community keinen Konsens, wie man reagieren soll. Noch nicht einmal eine Mehrheitsmeinung existiert. Allenfalls deutet sich schemenhaft an, dass internationale Zusammenarbeit angesichts der aktuellen Malaise für wichtiger gehalten wird als früher.
Einen „Mangel an Kooperation“ beklagte etwa Ferit Sahenk, der Chef der türkischen Dogus Gruppe. Er forderte „mehr Multilateralismus“, um in der Zusammenarbeit zwischen Staaten zu einem die Ökonomie stabilisierenden Rahmen zu kommen. „Und wie bitte soll dieser Multilateralismus aussehen?“, fragte Stephen Roach, Asien-Chef der in der Krise gestrauchelten früheren Investmentbank Morgan Stanley. „Wir brauchen einen Hund, der beißt und nicht nur bellt“, verlangte Roach mit Blick auf die fehlenden Institutionen, die eine gemeinsame Aufsicht über die Finanzmärkte ausüben könnten. „Haben Sie denn diesen Hund schon mal getroffen?“, hakte der Moderator nach. Antwort des Morgan-Stanley-Managers: „Nein, nirgendwo“.
Die Bankchefs wissen nicht weiter. Sie sind tief verunsichert. Ihre Institute stehen vielfach am Abgrund. Es bleibt ihnen nichts übrig, als die verhasste Intervention des Staates zu akzeptieren – in der Hoffnung, baldmöglichst wieder auf sie verzichten zu können. Ein positives oder produktives Verhältnis zur neuen Regulierung durch die Politik zu entwickeln, gelingt nur den wenigsten.
Zu den wenigen Augenblicken, in denen eine Perspektive sichtbar zu werden schien, gehörte der kurze Auftritt von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Unter großen Beifall entwarf sie ihre Vision einer neuen internationalen Kooperation. Merkel schlug vor, die großen Industrie- und Schwellenländer der G-20-Gruppe sollten die gemeinsame Charta einer globalen sozialen Marktwirtschaft entwerfen. Diese Dokument könnte in die Gründung eines neuen UN-Wirtschaftsrates zur Beaufsichtigung der Weltwirtschaft münden, regte die Kanzlerin an.
Momente wie dieser waren freilich die Ausnahme. Die Interessengegensätze zwischen den wichtigen Staaten blieben trotz aller Harmonie-Bestrebungen – natürlich – bestehen blieben. Zwar kamen aus den großen Schwellenländern Russland und China die Regierungschefs Wladimir Putin und Wen Jiabao nach Davos und stellten sich der Debatte. Doch auch die Grenzen des neuen Multilateralismus waren nicht übersehen. So wollten weder Wen Jiabao, noch Putin darauf verzichten, auf der US-Regierung herumzuhacken. Die chinesische Premier merkte süffisant an, dass es ein Problem darstelle, wenn ein Land zu viel konsumiere und zu wenig spare. Zwischen den Zeilen war zu hören: Dieses Problem habe China ja nicht. Und Wladimir Putin spottete, wie US-Außenministerin Condoleezza Rice vor einem Jahr im Kongresszentrum von Davos die Aussichten der amerikanischen Wirtschaft schöngeredet habe. „Nur zwölf Monate später existiert die Wallstreet nicht mehr“, amüsierte sich der russische Ministerpräsident mit gewohnt starrer Miene.
Vollends scheiterte Schwabs Friedensmission am Donnerstag Abend. In der Diskussion über den Nahost-Konflikt hielt Israels Präsident Schimon Peres eine leidenschaftliche Rede über die Notwendigkeit des Krieges in Gaza. Als der türkische Ministerpräsident Tayyib Erdogan antworten wollte, drehte ihm der unglückliche Moderator das Mikrofon ab - aus Zeitgründen, wie er sagte. Das ließ sich Erdogan nicht bieten und verließ den Saal mit den Worten: „Ich komme nicht mehr nach Davos“.
Und schließlich liegt es am Charakter des Forums selbst, dass Schwabs Weltbeglückungsfantasien nur mäßigen Widerhall fanden. Viele Unternehmensvertreter stehen dem, was der Spiritus Rector als „unser aller Agenda“ bezeichnet, eher gleichgültig gegenüber. Sehr viele Teilnehmer nutzen das WEF als eine Plattform für ihre eigenen Interessen. Vor morgens bis abends rennen sie von einem Business-Meeting zum nächsten. Wenn es normalerweise heißt „business as usual“, so lautete das inoffizielle Motto in diesem Jahr eher „crisis as usual“. Es wird schon irgendwie weitergehen.