Die letzte Fahrt des Atommülls

Finnland testet im August das erste Endlager der Welt. Besuch 450 Meter tief im Gestein.

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Von Björn Hartmann

18. Mai. 2024 –

Die letzte Fahrt des Atommülls

Es ist trocken hier unten, bei dauerhaft elf Grad. Obwohl die Lüftung brummt, riecht es leicht nach Abgasen der schweren Maschinen. Während die Wände der Haupttunnel mit Stahlnetz und grauem Beton verkleidet sind, tritt hier im Seitentunnel das rohe Gestein hervor, 1,9 Millionen Jahre alt. Am Boden sind im Licht der Leuchtstoffröhren etwa alle acht Meter grüne Kreuze zu sehen. Jedes markiert die Stelle für ein Loch, in dem vermutlich 2025 ein Behälter mit Atommüll versenkt wird. Denn was wie ein Bergwerk aussieht, ist das bisher einzige Endlager der Welt: Onkalo.

Knapp 450 Meter höher strahlt die Mai-Sonne auf das Gelände des finnischen Betreiberunternehmens Posiva. Rundherum drei Meter hohe Sicherheitszäune in zwei Reihen, an der Spitze Stacheldraht. Dahinter jenseits der Straße zum Atomkraftwerk Olkiluoto Birken, Fichten, Kiefern. Lynxe sollen herumstreifen, Elche, sogar Wölfe, die übliche finnische Natur an der Westküste. Das Besondere hier ist neben dem Tunnelsystem das verschachtelte graue Gebäude, auf das Pasi Tuohimaa zeigt. „Weltweit einmalig“, sagt er. Eine Fabrik, in der Atommüll endgültig eingedost wird.

Tuohimaa ist Kommunikationschef von Posiva und schon wegen seiner Funktion äußerst überzeugt. „Uran stammt aus Stein, wir geben es dem Stein zurück“, zitiert er einen Werbespruch des Unternehmens. Und: „Wir haben eine Lösung für das Atommüllproblem.“ Was stimmt. Kein anderes Land der Welt ist annähernd so weit wie Finnland. In Deutschland etwa dauert es bis mindestens 2046, bis ein geeigneter Standort gefunden ist, eher länger.

Derzeit lagert Finnlands hochradioaktiver Atommüll neben den Kraftwerken: nahe Lovissa, gut 80 Kilometer östlich von Helsinki, und eben in Olkiluoto, gut 230 Kilometer nordwestlich der finnischen Hauptstadt. Hier gibt es unterirdische Becken, in denen die gebrauchten Brennstäbe in Behältern auf das Endlager warten. Wohl im kommenden sollen die ersten dieser Behälter in das graue Gebäude wechseln.

Dort werden sie geöffnet, die Stäbe herausgenommen, getrocknet, in einen neuen Stahlbehälter gesteckt, der in eine etwa sechs Meter lange Kapsel aus mehreren Zentimetern dickem Kupfer geschoben wird. Sie wird mit einem Deckel verschlossen und zugeschweißt. Der Vorgang dauert je Kapsel etwa eine Woche. Alles läuft vollautomatisch, die inneren Räume sind geschützt wie die Reaktorkammer eines Atomkraftwerks. Von dort aus geht es dann mit einem Aufzug ins Endlager. Der Testlauf noch ohne radioaktives Material ist für August geplant.

Seit Anfang der Achtziger Jahre hat Finnland einen Standort gesucht. 150 Plätze schienen geeignet. Zuletzt stritten nur noch die beiden Gemeinden mit den Akw um Onkalo. Unter anderem ging es um Arbeitsplätze und das Geld, das das Endlager mit sich bringt. Bisher hat Posiva rund eine Milliarde Euro investiert. Die jährlichen Betriebskosten schätzt das Unternehmen auf 40 Millionen Euro. Das alles zahlt ein staatlich verwalteter Fonds, in den die Atomenergieunternehmen seit dem Start der Stromproduktion eingezahlt haben. Letztlich entschied sich der Staat für Olkiluoto. 2003 begann der Bau,. Die Lagerlizenz erwartet Posiva noch in diesem Jahr.

Ingenieurin Marianna Hanni steigt in den Personenaufzug, drückt einen Knopf und es geht abwärts – von plus 13 auf minus 433 Meter in knapp einer Minute. Unten geht es durch zwei weiß gestrichene Räume vorbei an der Cafeteria. Hanni ist eine der rund 90 Mitarbeiter von Posiva. Sie öffnet eine weitere Tür in eine große Halle, die in den Fels getrieben ist. Von hier aus geht es mit dem Auto nach links in einen Tunnel. Sie fühle sich jedes Mal an eine Tiefgarage erinnert, sagt Hanni, während sie Gas gibt. Es gilt Tempo 20.

Der Wagen stoppt. Hanni parkt in einer Nische, damit die schweren Maschinen im Haupttunnel genug Platz haben. Hier auf der untersten Ebene bei etwa 450 Metern unter Null liegen jene fünf Tunnel, in denen die ersten Kapseln mit Atommüll eingelagert werden sollen. Die Gänge sind jeweils 350 Meter lang, 4,5 Meter breit, 5,5 Meter hoch. In Tunnel zwei steht auf halber Strecke ein blauer VW-Bus. Dahinter dröhnt es. Mehrere Arbeiter in leuchtenden Westen und Schutzhelmen bohren Löcher in den Stein. Fertig werden sie acht Meter tief sein und einen Durchmesser von gut zwei Metern haben, so dass die Kapseln gut hineinpassen.

Wenn es soweit ist, wird eine Spezialmaschine etwas Bentonit einfüllen, vulkanischen Lehm, der auch in Katzenstreu verwendet wird und die wenige Feuchtigkeit, die aus dem Gestein kommt, langsam aufsagen soll. Darauf wird ein anderes Fahrzeug eine Kapsel rutschen lassen. Dann werden die Hohlräume mit dem Lehm aufgefüllt, die Kapsel damit abgedeckt. Sind alle Löcher bestückt, verfüllt eine weitere Maschine den Tunnel mit Bentonit. Am Ende wird er mit einem Betonpropfen geschlossen. „Die Fahrzeuge sind einmalig, wurden extra angefertigt“, sagt Hanni. Und sie werden aus einem geschützten Raum praktisch per Joystick ferngesteuert.

Die fünf Tunnel reichen Kommunikationschef Tuohimaa zufolge bis 2035, neue würden vermutlich von 2035 an gebohrt. Im Einsatz ist deutsche Technik  des Bohrspezialisten Herrenknecht. Insgesamt können bis zu 6500 Tonnen Atommüll eingelagert werden. Viel mehr finnischen Atommüll wird es wohl nicht geben, weitere Atomkraftwerke sind nicht geplant. Und der Import radioaktiven Abfalls aus dem Ausland ist verboten. Für Deutschland schätzt das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung die hochradioaktive Abfallmenge auf 27.000 Tonnen.

Jetzt zischt der Aufzug wieder nach oben gen Tageslicht. Derzeit liefern Finnlands Atomreaktoren etwa 40 bis 45 Prozent des benötigten Stroms, allein ein Drittel kommt aus den drei Reaktorblöcken von Olkiluoto, die oben etwa zwei Kilometer entfernt hinter den Bäumen stehen. Knallrot mit weißen Kanten heben sie sich markant vom blauen Himmel ab. Dahinter die offene Ostsee. Die Reaktorblöcke 1 und 2 laufen seit 1979 und 1982. Sie sollen 2039 und 2042 heruntergefahren werden.

Block 3 ist der erste eines neuen europäischen Typs, bisher der leistungsstärkste europäische Reaktor, gebaut von der französischen Firma Areva. Siemens lieferte die Turbinentechnik. Er ging 2023 ans Netz, 14 Jahre verspätet und mit elf Milliarden Euro fast viermal so teuer wie geplant. Die Laufzeit ist auf 60 Jahre ausgelegt. Dazu kommen dann noch etwa 40 Jahre Abkühlzeit im Spezialbecken nahe des Reaktors, bevor die Brennstäbe unten in einem der Tunnel eingelagert werden können. Der letzte Atommüll dürfte dann Mitte der 2120er Jahre eingelagert werden. Dann werden die Tunnel komplett gefüllt, die Anlage oben abgebaut. Über Onkalo wachsen dann wahrscheinlich wieder Birken, Fichten und Kiefern.

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