• Hartmut Rosa | Foto: juergen-bauer.com.
    Hartmut Rosa | Foto: juergen-bauer.com.

„Die Menschen sind nicht von Gier getrieben, sondern von Angst“

Vordenker der Wirtschaft: Hartmut Rosa

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Von Hanna Gersmann

23. Dez. 2013 –

Mit Hartmut Rosa einen Termin zu vereinbaren ist schwierig. Der Zeittheoretiker hat wenig Zeit. Er ist gefragt. Denn der 48 Jahre alte Professor für Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität analysiert das beschleunigte Leben und trifft damit einen Nerv. Er ist einer der wenigen, dessen Habilitation zu so etwas wie einem Bestseller wurde. Titel: "Soziale Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne" Sein neuestes Buch heißt:„Weltbeziehungen im Zeitalter der Beschleunigung". Rosa gilt als Vordenker der Entschleunigung. Langsamkeit sei aber kein Wert an sich, sagt er. - „Eine langsame Achterbahn ist mir eine Greuel. Eine langsame Internetverbindung auch“.

Hanna Gersmann: Hartmut Rosa, was ist wichtiger: Zeit oder Geld?
Hartmut Rosa: Eindeutig Zeit. Geld kann man ansparen kann, Zeit aber nicht. Die Zeit ist der knappste Rohstoff moderner Gesellschaften überhaupt.

Gersmann: Das ist die Antwort eines wohlhabenden Professors! Andere müssen jeden Cent umdrehen.
Rosa: Sie müssen die individuelle und die gesamtgesellschaftliche Sicht unterscheiden! Wer kein Geld hat, ist natürlich abgeschnitten von der Gesellschaft. Man hat Zeit im Überfluss, kann nichts mit ihr machen, hat keinen Status, keine Anerkennung, keine Privilegien. Dann wird Zeit entwertet. Ich rede aber von der wertvollen Zeit für das gute Leben an sich.

Gersmann: Gutes Leben?
Rosa: Wir haben doch die Frage des guten Lebens privatisiert. Wir müssen immer alles etwas besser machen, ein bisschen gebildeter, gesünder, fitter, reicher sein und auch noch die attraktiveren Lebenspartner haben.

Gersmann: Was soll daran schlecht sein?
Rosa: Wir müssen uns permanent steigern und lassen dabei eins außer acht: Die Dinge, die ich tue, müssen mich auch bewegen und mir wichtig sein. Das macht Menschen krank.

Gersmann: Woran merke ich, dass etwas falsch läuft?
Rosa: Ich gehe zur Arbeit, aber es kommt nichts zurück, die Anerkennung fehlt. Ich sitze mit der Familie am Frühstückstisch, frage mich aber, was ich mit ihr eigentlich zu tun habe, außer sie zu versorgen. Oder noch ein Beispiel: Ich gehe ins Konzert, leiste mir die große Oper, und stelle fest, dass mich das gar nicht berührt. Sie erkennen, wenn Ihnen die Resonanz fehlt.

Gersmann: Sie verorten die Menschen in einer Steigerungsfalle, die dann gar zu Naturkatastrophen, Finanzkrisen und sozialen Unruhen führt – Sie mögen die Übertreibung?
Rosa: Nein, Logik. Moderne Gesellschaften müssen wachsen, sich beschleunigen und permanent erneuern – allein, um den Status Quo zu halten. Sonst kommt die Krise, verlieren Leute ihre Jobs, machen die Firmen dicht und sinken die Staatseinnahmen. Dann steigen die Ausgaben, es kommt zur Schuldenkrise und das Vertrauen in das politische System schwindet. Alles bricht zusammen. Nur: Es lässt sich nicht alles unendlich steigern. Wir holzen Bäume schneller ab und fangen Fische schneller weg, als sie nachwachsen. Zudem belasten wir die menschliche Psyche stärker als sie es verträgt.

Gersmann: Kann ich der Steigerungsfalle als einzelner entfliehen? Oder muss sich alles ändern: Arbeitszeiten und Ladenschlüsse zum Beispiel.
Rosa: Als einzelner kann ich mich dem Problem vielleicht entziehen, aber lösen kann ich es nicht. Wir brauchen die beschleunigte Entwicklung grüner Technologien oder der Krebsbekämpfung. Da muss die Dynamik erhalten bleiben. Das heißt: Wir müssen die Fähigkeit zur Innovation erhalten, aber den Zwang dazu abstellen, der sich nicht mehr an politischen und sozialen Wunschvorstellungen koppelt. Lebensqualität darf sich nicht nur am Zuwachs messen.

Gersmann: Wo fangen wir an zu entschleunigen?
Rosa: Menschen wollten immer mehr haben, seien von Gier getrieben – so heißt es....

Gersmann: ...das kann ja auch Neugier sein?
Rosa: Nach allem, was wir aus der Sozialforschung wissen, ist es die Angst, die sie hetzt und treibt. Das Gefühl nämlich, das man immer schneller, effizienter, produktiver sein muss.

Gersmann: Was tun?
Rosa: Diese existenzielle Angst muss aus dem System genommen werden, etwa durch ein Grundeinkommen. Jeder Bürger bekäme vom Staat eine Zahlung, die über dem Existenzminimum liegt. Dann kann ich immer noch nach oben laufen, um einen Mercedes zu kaufen oder eine Weltreise zu machen, aber ich wäre abgesichert.

Gersmann: Niemand ginge mehr arbeiten, Gutverdiener profitierten auch – das Grundeinkommen wird von den meisten Parteien mit solchen Argumenten abgelehnt. Wie viel Zeit geben Sie sich, dass Ihre Ideen umgesetzt werden.
Rosa: Ich bin Wissenschaftler, nicht Politiker. Dieser Gesellschaft fehlt eine Vision, eine Vorstellung davon, wann unser Leben gelingt. Ich will an dieser Neuorientierung mitarbeiten. Die kann – so wissen wir aus der Kulturgeschichte – schon ein paar hundert Jahre brauchen.

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