Die neuen Krisen-Aktionäre

Die IG Metall fordert, die Beschäftigten am Besitz von Opel, Daimler und Schaeffler zu beteiligen. Eine mutige, aber auch risikoreiche Strategie.

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Von Hannes Koch

20. Mai. 2009 –

Die Finanz- und Wirtschaftskrise verändert vieles – auch das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit. In bislang unbekannter Deutlichkeit fordern jetzt deutsche Gewerkschafter den Mitbesitz der Beschäftigten an einzelnen Unternehmen ein.


„Verzicht gegen Besitz“, verlangte unlängst Detlef Wetzel, Vize-Chef der Industriegewerkschaft Metall. Wenn die Arbeitnehmer mit Lohneinbußen helfen sollten, Firmen wie Opel oder Schaeffler zu sanieren, müssten sie Anteile der Unternehmen erhalten. „Es gibt keine Schenkungen mehr“, so Wetzel.


„Wenn die Belegschaft Opfer bringt“, sagte auch IG-Metall-Chef Berthold Huber, „dann muss es Gegenleistungen geben. Die grundsätzliche Idee“ sei dabei die Beteiligung der Mitarbeiter an Opel.


Das ist nicht so unrealistisch, wie es klingen mag. Von der Not getrieben, hat US-Präsident Barack Obama die Zeitenwende für den Autokonzern Chrysler eingeläutet. Um das strauchelnde Unternehmen vor dem Bankrott zu retten, sollen Fonds der Autoarbeiter-Gewerkschaft künftig 55 Prozent der Chrysler-Aktien übernehmen.


Um Opel steht es nicht ganz so schlimm. Aber auch dort sind die Probleme groß. In den Verhandlungen zwischen Bundeswirtschaftsminister Theodor zu Guttenberg und möglichen Investoren geht es nun auch um einen Beitrag der Beschäftigten. Lohneinbußen und der Abbau von Arbeitsplätzen stehen auf der Tagesordnung.


Nicht nur Gewerkschafter machen sich deshalb Gedanken über die Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer. Auch Stefan Bratzel, Autoexperte der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch-Gladbach, sagt: „Die Beteiligung der Opel-Beschäftigten am Kapital könnte als Ausgleich für die Einbußen dienen“. Ähnlich sieht dies Heinrich Beyer von der „Arbeitsgemeinschaft Partnerschaft in der Wirtschaft: „Die Umwandlung von Lohn in Mitarbeiteraktien spart dem Unternehmen Geld“.


Den möglichen Vorteil für Opel zeigt ein Rechenbeispiel. Würden die rund 26.000 Opelianer auf jeweils 4.000 Euro pro Jahr verzichten – für viele eine Einbuße in der Größenordnung von zehn Prozent ihres Jahreslohnes – sparte der Konzern etwa 100 Millionen Euro jährlich. Dieser Beitrag der Beschäftigten wäre zwar viel zu klein, um Opel alleine zu retten. Denn das Unternehmen braucht angeblich bis zu drei Milliarden Euro als Überlebenshilfe. Trotzdem würde das Zugeständnis der Gewerkschaft eine deutliche Entlastung bei den Kosten bedeuten.


Und was haben die Beschäftigten davon, wenn sie als Gegenwert für diese Summe Aktien von Opel erhalten? Mit ihrem gegenwärtigen Lohnverzicht erkauften sie sich die Aussicht auf Beteiligung an zukünftigen Gewinnen. Sollte es Opel dereinst wieder gut gehen, würde das Unternehmen einen Teil der Dividende an die Mitarbeiteraktionäre ausschütten.


Die Kehrseite der Medaille: Die neuen Aktionäre tragen ein doppeltes Risiko. Nicht nur mit ihrem Arbeitsplatz, sondern zusätzlich mit größeren Geldsummen sind sie an das Schicksal des Unternehmens gebunden. Als Mitbesitzer eines Unternehmens müssen sie grundsätzlich auch den Verlust ihrer Kapitalbeteiligung einkalkulieren.


Doch es gibt einen weiteren Vorteil. Die Beschäftigtenaktionäre investieren in die potenzielle Sicherheit ihres Arbeitsplatzes. Läuft die Mitarbeiterbeteiligung einige Jahre, könnte die Belegschaft ein nennenswertes Aktienpaket besitzen und damit Einfluss auf der Hauptversammlung der Eigentümer ausüben. Unter einer Voraussetzung: Die neuen Aktionäre müssten ihre Stimmrecht in einer gemeinsamen Vertretung bündeln.


Bei Opel will sich zu einem derartigen Beteiligungsmodell noch niemand äußern. „Die Frage nach einer Mitarbeiterkapitalbeteiligung kommt zu früh“, sagt Wolfgang Nettelstroth, der Sprecher der nordrhein-westfälischen IG Metall, „zunächst werden Investoren und Konzepte für die Zukunft der Arbeitsplätze und Standorte bei Opel gebraucht“.


Bei Daimler sind die Diskussionen dagegen schon weiter. Weil der Autoabsatz zurückgeht, haben sich Gesamtbetriebsrat und Unternehmen verständigt, den Lohn zu kürzen und zu prüfen, wie die eigentlich geplante Gewinnbeteiligung in eine Kapitalbeteiligung der Beschäftigten transformiert werden kann.


Dazu sagt Silke Ernst, die Sprecherin des Daimler-Gesamtbetriebsrates: „Grundsätzlich streben wir ein Mitarbeiterkapitalbeteiligungsmodell an - auch um die Aktionärsstruktur zu verbessern, sprich einen verläßlichen Anteilseigner mehr zu haben“. Um ihre Macht im Unternehmen wirksam einzusetzen, könnten die Belegschaftsaktionäre ihre Anteile in eine gemeinsame Vertretung einbringen, meint der Betriebsrat.


Beim hochverschuldeten Kugellager-Hersteller Schaeffler existiert dafür schon ein konkretes Modell. Klaus Ernst, Vize-Chef der Linkspartei und gleichzeitig IG-Metall-Chef in Schweinfurth, schlägt vor, eine Stiftung zu gründen. Dort hinein könne das Geld fließen, mit dem der Staat das Unternehmen unterstützen werde. Zwei Vertreter der Belegschaft sollten als Abgesandte der Stiftung die Beschäftigteninteressen im Aufsichtsrat vertreten, sagt Ernst: „Damit könnten sie verhindern, dass künftig Werke geschlossen werden“.


Trotz allem steht aber die Debatte über den Kapitalbesitz der Beschäftigten noch sehr am Anfang. Zwar hat auch Bundespräsident Horst Köhler eine stärkere Beteiligung angemahnt. Doch die Zahlen sind bislang ernüchternd. Nur rund zwei Prozent der deutschen Unternehmen beteiligen ihre Mitarbeiter am Vermögen. Daran haben auch Mitarbeiter-Aktienfonds, die die große Koalition fördert, bisher nichts geändert.


Ein Grund: Sowohl auf der Seite der Unternehmen, als auch der Gewerkschaften herrscht große Skepsis über den Sinn gemeinsamen Eigentums. Viele Unternehmer und Manager haben kein Interesse, die Politik der Firma noch stärker als bisher mit den Beschäftigten abzustimmen.


Und viele Gewerkschafter fürchten, dass die ohnehin schon fließende Trennung zwischen Kapital und Arbeit noch weiter durcheinanderkommt. Beschäftigte, die Aktien ihres Unternehmens besitzen, zweifeln mitunter am Sinn traditioneller Gewerkschaftsmeinungen.

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