Die neuralgischen Punkte von Davos

Die Umverteilungsdebatte hat das Weltwirtschaftsforum berührt, aber nicht wirklich geführt

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Von Hannes Koch

23. Jan. 2015 –

Das rote Plastikarmband will nicht schließen. Vielleicht hätte die Schweizer Bank UBS doch etwas mehr Geld für das kleine Geschenk ausgeben müssen. Schließlich aber rastet der Mechanismus ein, und wird von nun an aufzeichnen, wieviele Kilometer der Korrespondent beim diesjährigen Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos zu Fuß zurücklegt. Von Zeit zu Zeit vibiriert es am Handgelenk. Dann ist klar, dass man wieder an einem der unsichtbaren Kontrollcomputer vorbeigekommen ist.

 

Mit dieser Aktion tut die UBS Gutes. Für jede sechs Kilometer, die eines der roten Armbänder durch die Gänge und Säle des Kongresszentrums in dem Schweizer Bergort transportiert wird, schenkt die Bank einem Schulkind in Südafrika ein Fahrrad. Die Idee der Kooperation mit der Organisation World Bicycle Relief (Weltfahrradhilfe): Kinder auf den Dörfern sollen leichter zu den oft weit entfernten Schulen kommen und dann besser lernen.

 

So ist das WEF in Davos. Weltkonzerne machen Werbung mit ihrer Wohltätigkeit. Beidem scheint gedient, dem Unternehmen und dem Fortschritt. Solche Aktionen passen gut zum Anspruch des Forums „den Zustand der Welt zu verbessern“. Wer jedoch die freundliche Mitarbeiterin am UBS-Stand im Kongresszentrum fragt, warum der Konzern mit seiner Bilanzsumme von 1.000 Milliarden Schweizer Franken nicht einfach allen südafrikanischen Schulkindern ein Rad schenkt, bekommt eine ausweichende Antwort.

 

So wurde auch beim WEF 2015 wieder klar, dass die Veranstaltung ihre Grenzen hat. Zwar laden die Organisatoren mittlerweile Kritiker ein. In diesem Jahr saß Winnie Byanyima, die Geschäftsführerin der Menschenrechtsorganisation Oxfam sogar im Vorstand des WEF. Und doch sind die zivilgesellschaftlichen Organisationen stark unterrepräsentiert. In den Debatten dominiert fast immer der Blick der Wirtschaft: Auf welchem Markt kann man wieviel Geld verdienen?

 

Ein gutes Beispiel dafür war in den vergangenen Tagen das Thema der zunehmende Ungleichheit zwischen Arm und Reich. Kurz vor dem Forum publizierte Oxfam einen neuen Bericht: Demnach besaßen die 80 reichsten Personen der Erde 2014 mehr Kapital als die gesamte ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Eine erstaunliche Zahl - damit hatten die Menschenrechtsorganisation und das WEF zusammen das Thema in der Öffentlichkeit besetzt.

 

Hinter den Türen des Kongresses haben die Debatten dann aber meist eine Schlagseite. Die Frage bei der Veranstaltung über „Inklusives Wachstum im digitalen Zeitalter“ formulierte Moderatorin Gillian Tett von der Financial Times so: „Was machen die Arbeitskräfte, wenn in den kommenden Jahrzehnten fast die Hälfte der Stellen in den USA durch den Einsatz neuer Kommunikationstechnologien wegfällt?“ Die gängige Antwort: Gute Schulen müssten die Kinder und Jugendlichen besser auf die Berufe vorbereiten und Einrichtungen für lebenslanges Lernen die Beschäftigten begleiten.

 

Weiter kommt die Analyse selten. Woher soll das Geld stammen? Ist es vielleicht ratsam, die Steuern zu erhöhen? Könnte man Subventionen für Unternehmen kürzen? Über Umverteilung öffentlicher oder privater Mittel zugunsten Benachteiligter will das Wirtschaftspublikum jedoch nicht nachdenken. Das ist der neuralgische Punkt, weil er jenseits der Logik des Marktes liegt. Als Moderatorin Tett die Zuhörer in ihrer Veranstaltung fragte, waren die Handzeichen eindeutig: Ja, die Mehrheit rechnet mit weiter zunehmender Ungleichheit auch in den Industrieländern.

 

Ein anderer wunder Punkt ist nicht ganz so beständig, begleitet das WEF aber auch schon länger. Die von der Bundesregierung in Europa durchgesetze Sparpolitik hat in Davos wenige Anhänger. Das war bereits während der Finanzkrise so – und mag mit der großen Zahl der anwesenden Ökonomen und Manager aus Großbritannien und Nordamerika zu tun haben, die einer eher pragmatischen Wirtschaftspolitik zuneigen.

 

So wurde Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank, am Donnerstag von einer Davoser Mehrheit unterstützt, die sein geplantes Anleihekaufprogramm in Höhe von 1,1 Billionen Euro begrüßte. Für diese Stimmung sprach beispielsweise Nariman Behvaresh, Chefökonom der Wirtschaftsanalysefirma IHS: „Die USA, Großbritannien, Kanada und Japan haben solche Programme ebenfalls aufgelegt. Sie sind gut damit gefahren und haben ein höheres Wirtschaftswachstum ausgelöst als der Euroraum.“ Behvaresh plädierte außerdem dafür, dass es nicht bei dem geldpolitischen Stimulus bleiben dürfe. Hinzukommen müsse noch „etwas mehr Flexibilität bei den Maastricht-Zielen. Verschuldete Euro-Staaten hätten dann zusätzliche Zeit, um ihre Haushalte in Ordnung zu bringen. Auch dadurch würden mehr Mittel zur Verfügung stehen, um etwas für das Wachstum zu tun.“

 

Andere wie Lawrence Summers, Finanzminister von US-Präsident Bill Clinton und Berater von Barack Obama, gingen weiter und forderten, die europäische Sparpolitik komplett zu revidieren. Stattdessen müssten die Euro-Staaten gegenwärtig mehr Geld ausgeben, um Nachfrage zu schaffen, Wachstum und Arbeitsplätze zu fördern und die deflationären Tendenzen zurückzudrängen.

 

Finnlands liberalkonservativer Regierungschef Alexander Stubb gehörte dagegen zur Minderheit. „Was die EZB tut, werden wir mit einem Lächeln willkommen heißen“, kommenierte er Draghis Anleihekauf-Programm. Auch der niederländische Premierminister Mark Rutte äußerte sich kritisch, und natürlich Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Rede im großen Saal des Kongresszentrums. In Anspielung auf die Entscheidung der Zentralbank sagte sie, dies sei eine Geldpolitik des „Zeitkaufens“. Die im Euroraum vereinbarte Spar- und Konsolidierungspolitik, sowie die „Strukturreformen“ müssten weitergehen. Die Maßnahmen der EZB dürften „nicht davon ablenken, dass die eigentlichen Wachstumsimpulse durch die Politik gesetzt werden müssen, und auch gesetzt werden können“.

 

Eines der umstrittenen Themen für das nächste Weltwirtschaftsforum im Januar 2016 ist damit schon klar. Dann wird man sich darüber streiten können, ob Draghis Programm dazubeigetragen hat, die Deflation im Euroraum zurückzudrängen und die Inflationsrate anzuheben. Auch das andere neuralgische Thema – die Ungleichheit – dürfte dem Forum erhalten bleiben.

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