Die Rakete warnt ihre Passagiere

Zalando und Rocket Internet gehen an die Börse. Kehrt die Übertreibung des Börsenhypes der 1990er Jahre zurück?

Teilen!

Von Hannes Koch

30. Sep. 2014 –

Es waren wilde Zeiten. Internetfirmen wie Pixelpark verkauften Aktien für wenige Euro an Leute, die erstmals in ihrem Leben an der Börse spekulierten. Manche Kurse verzehnfachten sich innerhalb von zwei Jahren. Privatanleger machten schöne Gewinne – wenn sie ihre Anteile rechtzeitig wieder verkauften. Und einige Firmengründer wurden hundertfache Millionäre.

 

Im März des Jahres 2000 jedoch brach der Börsenboom der Internet-Ökonomie zusammen. Viele Privatleute, die kurz vorher die sogenannten Volksaktien der Deutschen Telekom AG erworben hatten, leiden noch heute unter ihren Verlusten. Solche Geschichten kommen wieder hoch, weil in dieser Woche zwei deutsche Internet-Firmen an die Börse gehen: der Online-Händler Zalando am Mittwoch, die Gründungsfabrik Rocket Internet (Internet-Rakete) am Donnerstag.

 

In der Fachwelt gehen die Meinungen darüber auseinander, was von diesen Aktienverkäufen zu halten ist. „Die Bewertungen von Unternehmen sind heute sehr viel realistischer als zu Zeiten des Internetbooms“, sagt Christoph Gruss, Partner bei der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers. Tobias Kollmann, Professor für Internetwirtschaft an der Universität Duisburg-Essen, pflichtet bei: „Eine Hysterie bei Börsengängen gibt es gegenwärtig noch nicht. Es ist deutlich mehr Kompetenz im Spiel als vor 15 Jahren.“ Dagegen kritisiert Daniel Bauer von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger, die Preise für Internet-Aktien seien gegenwärtig „sehr, sehr hoch“.

 

Die Zalando-Aktie soll für anfangs 21,50 Euro an die Frankfurter Börse kommen. Die angebotenen elf Prozent der Firmenanteile würden damit gut 600 Millionen Euro bringen. Das gesamte Unternehmen wäre rund sechs Milliarden Euro wert. Ist dieser Wert gerechtfertigt? Die Firma könnte wohl einen noch höheren Preis verlangen, denn die Nachfrage besonders von Fonds und Banken ist groß. Andererseits hat die Firma bislang nur einmal, im ersten Halbjahr 2014, einen kleinen Gewinn verbucht. Davor machte sie Verluste. Ob das Geschäftsmodell von Zalando tragfähig sein und langfristig Profite abwerfen kann, um den Börsenkurs zu rechtfertigen und Dividenden an die Aktionäre zu zahlen, wissen nur die Götter.

 

In Deutschland steht das Unternehmen zur Zeit auf Platz drei hinter den Online-Händlern Amazon und Otto. Der Umsatz betrug hierzulande rund 700 Millionen Euro in 2013. Die Firma ist außerdem aktiv in 14 weiteren europäischen Ländern. Rund 13 Millionen Kunden kaufen angeblich Schuhe, Kleidung und andere Produkte bei Zalando. Für das Geschäftsmodell spricht, dass der Markt für Verkäufe im Internet wächst und noch lange nicht an seine Grenzen kommen dürfte. Die Frage aber ist, welchen Anteil Zalando gegen übermächtige Konkurrenten wie Amazon erobern kann. Experten sind auch skeptisch, weil zahlreiche Kunden die bestellten Waren unbezahlt an den Online-Händler zurückschicken – das kostet die Firma viel Geld.

 

Bislang 17 Prozent des Online-Händlers gehören dem Fonds Global Founders Capital, hinter dem die Brüder Oliver und Marc Samwer stehen. Zur Gruppe dieser Investoren gehört zum Teil auch die Firma Rocket Internet, die am Donnerstag erstmals ihre Aktien anbietet. Die Internet-Rakete fliegt mit zwei Triebwerken: Einerseits bringt sie immer wieder neue Internetfirmen auf den Markt, die teilweise die Geschäftsmodelle anderer Anbieter kopieren. Andererseits verwaltet man die Neugründungen. Der Börsenprospekt verzeichnet mehr als zwei Dutzend Ableger unter anderem in Südamerika und Afrika. „Nahezu alle Unternehmen machen derzeit bedeutende Verluste“, warnt die Rakete ihre künftigen Passagiere. Das hindert Banken wie die Schweizer UBS, J.P.Morgan und Citigroup nicht daran, die Aktien auf den Markt zu bringen.

 

Ein Grund dafür: Die Institute verfügen über jede Menge Kapital, für das sie kaum Zinsen zu zahlen brauchen. Denn unter anderem die Europäische Zentralbank stellt hunderte Milliarden Euro zu günstigen Konditionen zur Verfügung, damit die Wirtschaft nicht in Deflation und Rezession abrutscht. Wenn dieser Liquiditätsüberschuss in fragwürdige Geschäftsmodelle fließt, kann daraus eine gefährliche Finanzblase entstehen.

 

Ob sich dieses Phänomen gegenwärtig in der Internetwirtschaft abzeichnet, weiß man nicht. Dagegen spricht, dass Firmen wie Zalando und Rocket Internet reale Umsätze erwirtschaften und grundsätzlich Chancen auf dem Markt haben. Viele der Stars der sogenannten New Economy vor 15 Jahren hatten dagegen noch nicht einmal Produkte, die sie verkauften, sondern nur Pläne.

« Zurück | Nachrichten »