Die Rente ist sicher

Nur die Rentengarantie verhindert 2010 eine Kürzung der Altersgelder

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Von Wolfgang Mulke

30. Okt. 2009 –

Im Frühjahr setzte der frühere Sozialminister Olaf Scholz ein moralisches Ausrufezeichen. „Es wäre unanständig“, sagte der SPD-Politiker, „die Rente zu kürzen.“ Flugs brachte der Minister mit Billigung der Kanzlerin und kurz vor Toresschluss im Bundestag noch eine Gesetzesänderung auf den Weg, die als Rentengarantie in die Geschichte eingehen wird. Die Altersbezüge der gesetzlich Versicherten dürfen niemals sinken, lautet der Beschluss. Offiziell ging Scholz davon aus, dass diese Sicherheitsleine nie gezogen werden muss. Doch im Herbst deutet sich der Ernstfall an.

 

Die jährliche Rentenanpassung hängt von der Entwicklung der Löhne ab. Bekommen die Arbeitnehmer mehr Geld, erhalten auch Rentner mit zeitlicher Verzögerung im darauf folgenden Sommer einen Aufschlag. In diesem Jahr gab es am 1. Juli gut zwei Prozent mehr für die rund 20 Millionen Empfänger. Die Rechnung galt ursprünglich auch umgekehrt. Verdienen die Beschäftigten in Industrieunternehmen, im Handel und bei den Dienstleistungsfirmen im Durchschnitt weniger, sollten auch die Ruhegelder reduziert werden. In der Geschichte der Bundesrepublik gab es allerdings kein Jahr, in dem die Bruttoentgelte zurückgegangen sind. 2009 könnte das erste Jahr werden, in dem die Statistik dieses Phänomen ausweist.

Im ersten Halbjahr gingen die Arbeitnehmerentgelte um 0,4 Prozent zurück. Auch für das Gesamtjahr erwartet die Bundesregierung, das will die Süddeutsche Zeitung herausgefunden haben, ein Minus von 0,5 Prozent bei der maßgeblichen Lohnsumme. Ohne die Garantie käme auf die Rentnerhaushalte im kommenden Jahr eine Kürzung der Bezüge um ein halbes Prozent zu. Die Deutsche Rentenversicherung will die Entwicklung nicht kommentieren. „ Es fehlen noch ein paar Daten, die eine Prognose ermöglichen“, sagt eine Sprecherin. Tatsächlich wissen die Experten erst im nächsten Frühjahr genau Bescheid. Bis dahin sind alle Annahmen Spekulation, zwar wahrscheinlich, doch nicht gewiss.

 

Das sinkende Lohnniveau ist eine Folge der Wirtschafts- und Finanzkrise. In der Statistik der Arbeitsagentur spiegelt sich die konjunkturelle Flaute zwar noch nicht wider. Doch das liegt vor allem an der neuen Kurzarbeiterregelung. Mehr als eine Millionen Beschäftigte fallen darunter. Sie erhalten weniger Lohn. Dazu kommt, dass Entgeltsteigerungen in schlechten Zeiten naturgemäß karg ausfallen und Firmen bei Neueinstellungen knauserig sind. Auch werden in vielen Betrieben übertarifliche Leistungen zumindest zeitweilig abgebaut. Unter dem Strich haben die Beschäftigten in Deutschland in diesem Jahr daher trotz einiger bemerkenswert hoher Tariflohnzuwächse als Gesamtheit vermutlich weniger im Portemonnaie.

 

Die Rentengarantie stand von Anfang an in der Kritik. Selbst der frühere Finanzminister Peer Steinbrück, wie Scholz Sozialdemokrat, bemängelte die einseitige Schutzerklärung zugunsten der Älteren. „Die Gekniffenen sind die 25- bis 35-jährigen“, ließ Steinbrück kein gutes Haar an der Garantie. Jüngere Politiker geißelten das Gesetz über die Parteigrenzen hinweg als ungerecht.

 

Wie teuer das Versprechen stabiler Renten tatsächlich wird, lässt sich nur schwer abschätzen. Es gibt eine Faustformel der Rentenversicherung. Danach entspricht eine Veränderung der Bruttoentgelte um einen halben Prozentpunkt einem Betrag von 750 Millionen Euro. Die Summe selbst kann von den Rentenkassen ohne große Probleme bezahlt werden. Deren Rücklagen summieren sich geschätzt auf gut 14 Milliarden Euro, weit mehr als die vorgeschriebene Mindestreserve, die hier Nachhaltigkeitsrücklage genannt wird.

 

Doch am Ende werden die Jüngeren doch zur Kasse gebeten. Denn eigentlich sollten die Beiträge zur Rentenversicherung im nächsten Jahrzehnt sinken. Das wird wohl nicht möglich sein. Brisant könnte das Thema werden, wenn das laufende Jahr kein Ausrutscher ist, sondern die Bruttolöhne mehrfach zurückgehen. Damit rechnet bisher allerdings kein Experte.

 

Auf die Rentner kommt in den kommenden Jahren auch bei leicht steigenden Löhnen ein Verlust an Kaufkraft zu. Denn denkbare Rentensteigerungen werden durch verschiedene Faktoren vermindert. Da ist einerseits der so genannte Nachhaltigkeits-Faktor, der für eine allmähliche Absenkung des Rentenniveaus sorgt. So sollen die Altersgelder auch für die nächste Generation noch bezahlbar bleiben. Dann gibt es noch einen Nachholfaktor, mit dem frühere zu hoch ausgefallene Rentenerhöhungen wieder ausgeglichen werden.

 

Wenn es nicht zu deutlichen Lohnsteigerungen bei den Arbeitnehmern kommt, drohen den Rentnern gleich mehrere Nullrunden oder höchstens karge Zuschläge. Da die Beiträge zur Krankenkasse und zur Pflegeversicherung aller Voraussicht nach in den nächsten Jahren steigen werden, bleibt den Alten weniger zum Ausgeben übrig. Die Teuerungsrate sorgt ebenfalls für eine sinkende Kaufkraft.

 

Diese Sorge treibt auch den Sozialverband Deutschland (VdK) um. „Auch wenn die Rentengarantie der Bundesregierung das Schlimmste verhindert, nämlich eine Kürzung der Renten, so drohen doch mehrere Nullrunden oder Minierhöhungen in Folge“, warnt VDK-Chefin Ulrike Mascher. Der Verband fordert die Aussetzung aller dämpfenden Faktoren bei der Rentenberechnung. Die Rentner würden schon jetzt zu den größten Verlierern der Krise. Wenigstens für die Zukunft müssen den Älteren wieder eine Rentensteigerung analog der Lohnentwicklung garantiert werden.

 

 

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