„Die Saat der nächsten Krise“

Vor dem G20-Gipfel fordert US-Ökonom Nouriel Roubini die Regierungen auf, die Finanzmärkte „aggressiv zu regulieren“. Denn die Banker „gewinnen neue Kraft“. Er warnt: „Jetzt beginnt die nächste Welle riskanter Geschäfte“

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Von Hannes Koch

18. Sep. 2009 –

Hannes Koch: Prof. Roubini, Sie haben die Finanzkrise vorhergesagt und damit ins Schwarze getroffen. Können Sie auch den privaten Geldanlegern einen Rat geben? Was soll man in diesen unsicheren Zeiten mit seinen Ersparnissen machen – Aktien kaufen, ein Haus erwerben, das Geld schlicht ausgeben?


Nouriel Roubini: Man sollte sehr vorsichtig sein. Ich warne davor, sich an der Rallye der Aktienkurse zu beteiligen. Wir sehen zwar Zeichen einer wirtschaftlichen Erholung, aber man weiß nicht, wie sich die Dinge weiterentwickeln. Ich rate zu möglichst sicheren, risikolosen Anlagen. Eine gute Möglichkeit sind beispielsweise Staatsanleihen. Die bringen zwar wenig Zinsen, doch auch die Gefahr des Wertverlustes hält sich in Grenzen.


Koch: Sie sind skeptisch, was den gegenwärtigen leichten Aufschwung betrifft. Anfang des Jahres haben Sie vor einer langen Stagnation gewarnt. Wie beurteilen Sie die Aussichten jetzt?


Roubini: Glücklicherweise hat sich die Lage besser entwickelt, als wir vor Monaten annahmen. Das liegt zum Teil am entschlossenen Eingreifen der Regierungen, die schnell hunderte Milliarden mobilisierten, um die Talfahrt zu stoppen. Mit 50- bis 60-prozentiger Wahrscheinlichkeit nehmen wir nun an, dass die mittelfristige Entwicklung der Form des Buchstaben U ähnelt. In den nächsten Jahren werden wir zunächst eine blutleere und kraftlose Erholung erleben. Ein starker Aufschwung dürfte noch länger auf sich warten lassen.


Koch: Das klingt nicht sehr hoffnungsvoll. Wie lange werden wir am Boden des U leben müssen?


Roubini: Wahrscheinlich ein paar Jahre. Die Wachstumsrate wird in den entwickelten Ländern, etwa in Europa, um durchschnittlich ein Prozent pro Jahr schwanken. Außerdem beginnt das bescheidende Wachstum auf einem sehr niedrigen Niveau. Am Arbeitsmarkt dürfte es deshalb in absehbarer Zeit keine Entspannung geben. Eher im Gegenteil – die staatlichen Konjunkturprogramme, die bisher eine hohe Arbeitslosigkeit verhindert haben, laufen ja bald aus.


Koch: Welche Gründe lassen Sie an einem starken Aufschwung zweifeln?


Roubini: Vor allem, dass die USA vorerst als Wachstumslokomotive ausfallen. Denn die US-amerikanischen Verbraucher müssen mehr sparen als früher. Dieser negative Nachfrage-Effekt macht sich auf der ganzen Welt bemerkbar und wird von Deutschland, Japan oder China nicht ausgeglichen. Außerdem ist das Finanzsystem durch hohe Verluste und Abschreibungen beschädigt. Die Banken sind deshalb zurückhaltend mit Krediten an Unternehmen und Bürger.


Koch: Trotzdem geht es auch Banken und Investoren wieder besser. Institute wie die Citigroup wollen deshalb die Rettungsmilliarden an die US-Regierung zurückzahlen. Könnte das dazu führen, dass die Reformbemühungen für die Finanzmärkte nachlassen?


Roubini: Diese Sorge habe ich durchaus. Viele Banker gewinnen neue Kraft, um die staatlichen Versuche der Regulierung zurückzuweisen. Gleichzeitig tun die Regierungen weniger als notwendig. Damit sähen wir möglicherweise die Saat der nächsten Krise. Eine neue Spekulationsblase könnte zu einem wirklichen Zusammenbruch des Weltfinanzsystems führen.


Koch: War das vergangene Jahr ein verlorenes Jahr für die Bemühung, den Finanzmärkten einen stärkeren Rahmen zu geben?


Roubini: Nein, das würde ich nicht sagen. Nach dem Kollaps der Investment-Bank Lehman Brothers im September 2008 musste man das Finanzsystem erst einmal stabilisieren. Zu starke regulierende Eingriffe hätten den Absturz möglicherweise beschleunigt. Aber jetzt ist die richtige Zeit gekommen, um mehr Regulierung durchzusetzen. Doch das politische Momentum für die Reform schwindet schnell. Die großen Banken lehnen sich zurück. Sie wissen: Einen weiteren Bankrott wie Lehman kann sich niemand leisten, sie werden in jedem Fall vom Staat gerettet. Die Manager meinen also, wieder freie Hand zu haben. Und deshalb beginnt jetzt die nächste Welle riskanter Geschäfte.


Koch: Warum setzen sich die Politiker nicht durch, haben sie Angst vor den Banken?


Roubini: Das ist das falsche Wort. Der Finanzsektor übt einen erheblichen Einfluss auf die Politik aus. Man kennt sich persönlich, die Lobbyorganisationen und Verbände sind allgegenwärtig. Davon sollte sich die Politik jetzt distanzieren. Sie muss bei der Regulierung aggressiver vorgehen. Die globale Erholung wäre genau der richtige Zeitpunkt, um die Reform-Agenda voranzutreiben.


Koch: US-Präsident Barack Obama und sein Finanzminister Timothy Geithner haben in ihren jüngsten Reden wirksame Reformschritte versprochen. Das klang aber auch ein bisschen hilflos.


Roubini: Obama spricht die richtigen Punkte an. Und das Programm der Wirtschaftsnationen der G20-Gruppe ist ebenfalls gut. Wenn es tatsächlich umgesetzt würde, wären wir einen großen Schritt weiter. Die Politik muss die Banken verpflichten, ihren Kredithebel zu verringern. Die Institute sollen künftig weniger geliehenes Kapital, sondern mehr eigenes Geld verwenden. Dadurch sänke das Risiko nicht nur für die Institute, sondern auch für die Gesellschaft insgesamt. Außerdem brauchen wir ein neues Insolvenzrecht für systemrelevante Banken. Sie sollten zwei Vorschriften erfüllen: Der Finanzaufsicht einen Organisationsplan vorlegen, damit diese im Notfall weiß, welche Teile der Banken für das Funktionieren der Wirtschaft existenziell sind und welche nicht. Zweitens müssen die Institute genug Kapital zurücklegen, um einen größeren Teil der möglichen Verluste selbst zu tragen. Sind beide Voraussetzungen erfüllt, könnte die Regierung ein Institut im Notfall geordnet aufspalten und abwickeln. Bei Lehman war all das nicht gegeben.


Koch: Die Regierungen sind in einer paradoxen Situation: Einerseits können sie die großen Banken nicht pleitegehen lassen, andererseits überfordern sie die enormen Summen für die Bankenrettung. Wäre es da nicht ein folgerichtiger Schritt, große Banken in kleinere aufzuspalten?


Roubini: Einer der negativen Effekte der Krise besteht darin, dass einige der großen Banken noch größer geworden sind. Weil sich die Regierung nicht anders zu helfen wusste, hat sie JP Morgan gedrängt, Bear Stearns zu übernehmen. Die Bank of America schluckte die Institute Countrywide und Merill Lynch, Wells Fargo besitzt nun die ehemals unabhängige Wachovia. Um diesen Prozess langfristig rückgängig zu machen, muss die Politik finanzielle Anreize setzen.


Koch: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy diskutieren darüber, die Eigenkapitalregeln progressiv auszugestalten. Je größer das jeweilige Institut ist und je mehr Risiko es eingeht, desto mehr eigenes Geld müsste es in Reserve halten. Richtig oder falsch?


Roubini: Eine progressive so genannte capital surcharge vorzuschreiben, ist eine sehr gute Idee. Dies würde gefährliches Wachstum im Bankensektor bremsen. Dies könnte langfristig dazu führen, dass schiere Größe für die Institute keinen Sinn mehr hat, weil sie zu teuer wird. Das Ergebnis wäre die Aufspaltung in Teil-Banken. So verstehe ich auch die neue Eigenkapitalregelung, die die Schweizer Nationalbank für die Institute Credit Suisse und UBS angekündigt hat. Die beiden Institute müssen bald nicht mehr acht Prozent Eigenkapital nachweisen wie bisher, sondern das Doppelte – 16 Prozent.


Nouriel Roubini (51) lehrt und forscht als Professor für Ökonomie an der Stern School of Business der New York University. Seine private Firma Roubini´s Global EconoMonitor (www.rgemonitor.com) analysiert täglich die Weltlage. Weil er früh auf die Gefahr einer Finanzkrise hinwies, ist er einer gefragtesten Ökonomen der Gegenwart. Geboren in Istanbul, lebte er im Iran, in Israel und Italien. Nun wohnt er in den USA. Als Sprachen, die er spricht, gibt er an: Englisch, Französisch, Italienisch, Hebräisch, Persisch.

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