Die Schlichtung ist die Zeit des Schweigens

Ab Mittwoch suchen die Schlichter von Bahn und Lokführern einen Kompromiss im Tarifstreit. Noch sind keine Streiks in Sicht. Die Bahn ist momentan Vorreiter einer Tarifpolitik, bei der es um mehr geht als nur den Lohn.

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Von Wolfgang Mulke

11. Jan. 2017 –

Lange haben Bahn und Lokführergewerkschaft GDL sich öffentlich mangelnde Kompromissbereitschaft vorgeworfen. Auch nach sechs Verhandlungsrunden kamen die Gesandten beider Seiten im Dezember einander nicht näher. Trotzdem hat die kampfeslustige Spartengewerkschaft bislang noch keinen Zug zum Stoppen gebracht, sondern lieber zur Schlichtung gerufen. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow und der frühere brandenburgische Landeschef Matthias Platzeck sollen am Mittwoch einen letzten Versuch starten, den Konflikt friedlich lösen. Das ist ihnen vor zwei Jahren schon einmal gelungen. Doch diese Tarifverhandlungen haben einen besonderen Charakter.

Mehr Geld oder mehr Zeit? Vor diese Frage gestellt, kommen viele Arbeitnehmer ins Grübeln. Längst ist ein besserer Verdienst alleine nicht mehr das wichtigste Ziel. Das hat auch die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) festgestellt. 15.000 Mitglieder beteiligten sich im vergangenen Jahr an einer Umfrage zu den Wünschen für die anstehende Tarifrunde. Ein Teil wollte vor allem mehr verdienen, andere mehr Urlaub oder eine geringere Wochenarbeitszeit. „Die Interessen der Arbeitnehmer sind in diesem Punkt sehr unterschiedlich“, stellt der Tarifexperte Rainer Bispinck vom Wissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung fest.

Als Folge betrat die EVG im Herbst 2016 Neuland. Sie forderte statt einer Lohnerhöhung für alle ein Wahlrecht. Damit setzte sie sich am Ende durch. Die Mitglieder der EVG unter den rund 130.000 Tarifbeschäftigten des Konzerns können wählen, ob sie 2,6 Prozent mehr Lohn erhalten, wöchentlich eine Stunde weniger arbeiten oder sechs Tage mehr Urlaub haben wollen. Ein Novum der Tarifgeschichte, stellt Bispinck fest. „Es ist neu, eine individuelles Wahlrecht zwischen Entgelterhöhung oder Arbeitszeitverkürzung zu schaffen“, sagt der Forscher.

Diesen Abschluss, inklusive einer Einmalzahlung von 550 Euro, hat die Bahn auch den Lokführern angeboten. Doch die GDL hat anderes im Sinn. Sie will die Belastung des Zugpersonals verringern und dafür eine reine Fünf-Tage-Woche durchsetzen. Nach dieser Arbeitsphase sollen die Zugführer immer zwei freie Tage erhalten. Bei einem Unternehmen, das an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr unterwegs ist, gestaltet sich eine feste Blockbildung jedoch schwierig, weil kein Ausgleich mehr zwischen Wochen mit weniger Arbeitstagen und solchen mit mehr Arbeitstagen geschaffen werden kann. „Bereits diese Forderung der GDL allein führt zu einer durchschnittlichen 4,5-Tage-Woche“, rechnet Personalvorstand Ulrich Weber vor. Um alle Wünsche der Gewerkschaft nach zusammenhängenden Ruhezeiten umzusetzen, müssten die Schichtlängen auf über zehn Stunden erhöht werden.

Nun sollen Platzeck und Ramelow den Knoten lösen. Bis zum Ende der Schlichtung, die wohl wenigstens bis Mitte Februar dauern wird, haben beide Seiten Stillschweigen vereinbart. Damit haben die Tarifparteien beim letzten Mal gute Erfahrungen gemacht. Kommt es nicht zu einer Einigung, dürfen die Schlichter noch Überstunden anberaumen. Erst wenn auch beim Nachsitzen keine Lösung zustande kommt, drohen wieder Streiks. Bis zum Ende der Schlichtung gilt die Friedenspflicht.

Zwei Gewerkschaft, die in einem Unternehmen ganz unterschiedliche Strategien verfolgen. Um die Regelungen zur Arbeitszeit geht es jedoch beiden. So kann es gut sein, dass am Ende zum Beispiel für die Zugbegleiter zwei unterschiedliche Tarifverträge gelten. Diesen Fall wollte die Bahn bisher immer ausschließen. Doch von der harten Linie sind die Arbeitgeber nun abgewichen. Wenn die Arbeitnehmer einen Teil ihrer Arbeitszeit ohnehin selbst bestimmen, spielen deckungsgleiche Verträge keine große Rolle mehr. Vielmehr soll das Verteilungsvolumen für beide Gewerkschaften gleich bleiben und die jeweils getroffenen Vereinbarungen müssen in die betriebliche Praxis passen.

WSI-Experte Bispinck bewertet die Tarifpolitik des Konzerns positiv, weil die Wünsche der Mitarbeiter wiedergegeben werden. Und auch für das Unternehmen sei das Wahlrecht der EVG von Vorteil. „Es ist aus Arbeitgebersicht eine kluge Regelung, weil er für mögliche Bewerber an Attraktivität gewinnt“, erläutert Bispinck. Andere Gewerkschaften beobachten diese Neuerung genau. Die IG Metall will ebenfalls die Wünsche ihrer Mitglieder erfragen und die Ergebnisse mit in die nächste Tarifverhandlung nehmen. Es ist also durchaus möglich, dass das Modell Bahn schnell Schule macht und den Arbeitnehmern mehr Mitbestimmung bei der Gestaltung ihrer Arbeitszeiten bringt.

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