Die Ventile bleiben zu

Die Bundesnetzagentur hat das Zertifizierungsverfahren für die Gaspipeline Nord Stream 2 zwischen Russland und Deutschland unterbrochen. Das ist wahrscheinlich eher ein temporäres als ein grundsätzliches Problem für den russischen Konzern Gazprom.

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Von Hannes Koch

17. Nov. 2021 –

Die Gaspipeline Nord Stream 2 bleibt wohl noch länger verschlossen als angenommen. Am Dienstag erklärte die Bundesnetzagentur in Bonn, sie habe das Zertifizierungsverfahren für die beiden Rohrleitungen „vorläufig ausgesetzt“. Das ist ein formaler Schritt, der keine grundsätzliche Bedeutung für die Inbetriebnahme des umstrittenen Projekts haben muss. In jedem Fall aber führt er zu einer Verzögerung um mindestens einige Monate.

Wäre das Zertifizierungsverfahren ohne Komplikationen durchgelaufen, hätte der russische Konzern Gazprom im kommenden Frühjahr mit der Genehmigung rechnen können. Denn technisch sind die beiden Leitungen durch die Ostsee fertig, das Gas wartet in den Röhren, aber die Ventile sind noch zu.

Gazprom gehört die Projektgesellschaft Nord Stream 2. An der Finanzierung beteiligt sind die Energie-Unternehmen Uniper, Wintershall Dea (Deutschland), Engie (Frankreich), OMV (Österreich) und Shell (Niederlande). Diese, sowie die russische und deutsche Regierung haben das fast zehn Milliarden Euro teure Projekt gegen die EU, USA, Polen und die Ukraine durchgedrückt. Umstritten ist die Pipeline unter anderem, weil sie die bisherigen Gas-Transitländer Ukraine und Polen umgeht und deshalb politischen Erpressungen aus Russland ausliefern könnte.

Um die Röhren in Betrieb nehmen zu können, fehlt noch die Zertifizierung als „unabhängiger Netzbetreiber“. Den Antrag darauf hat die Nord Stream 2 Aktiengesellschaft bei der Bundesnetzagentur gestellt, einer nachgeordneten Behörde des Bundeswirtschaftsministeriums. Allerdings sitzt die Nord Stream AG in Zug in der Schweiz, außerhalb der Europäischen Union. Das ist jetzt der wesentliche Grund für die Unterbrechung des Verfahrens. „Eine Zertifizierung eines Betreibers der Leitung Nord Stream 2 kommt nur dann in Betracht, wenn der Betreiber in einer Rechtsform nach deutschem Recht organisiert ist“, erklärte die Netzagentur.

Gazprom muss nun also eine deutsche Tochter gründen, die den Teil der Pipeline kontrolliert, der in deutschem Hoheitsgebiet verläuft. Das kann dauern. Man muss Personal einstellen und die „Vermögenswerte übertragen“, wie die Netzagentur mitteilte. Dann darf Nord Stream einen neuen Antrag stellen, und das Verfahren läuft weiter. Als „regulatorische Naivität“ bezeichnet Energiepolitiker Oliver Krischer (Grüne), dass Gazprom diese Probleme nicht vorhergesehen habe. Offenbar hat sich der Konzern schlecht auf das Zertifizierungsverfahren vorbereitet.

Die Zertifizierung stellt eine formale Hürde dar, die der Pipeline jedoch nicht grundsätzlich im Wege steht. Sie ist nötig, seit die EU-Gasrichtlinie erweitert wurde. Die französische Regierung lehnte Nord Stream 2 ab, die Bundesregierung befürwortete das Projekt. Als Kompromiss einigte man sich auf den zusätzlichen Verfahrensschritt. Im Prinzip ändert sich jedoch nichts, wenn die deutsche Nord Stream-Gesellschaft als angeblich „unabhängiger Netzbetreiber“ 100 Kilometer Pipeline in deutschem Hoheitsgebiet besitzt. Gazprom kontrolliert nach wie vor das gesamte Unternehmen und bestimmt die Lieferpolitik.

Das Bundeswirtschaftsministerium begrüßte die Unterbrechung des Verfahrens. Grundsätzlich unterstützt Peter Altmaier (CDU), der scheidende Minister, das Projekt aber. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt plädierte dafür, die Pipeline „auf Sicht“ zu ermöglichen.

Dagegen forderte Sascha Müller-Kraenner, der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), die möglicherweise neue Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP auf, den „Spielraum nun zu nutzen und die Inbetriebnahme des größten fossilen Projekts Europas ganz abzusagen“. Müller-Kraenner verwies auf „Fristen im Energiewirtschaftsgesetz“, die „längst abgelaufen“ seien.

Am Dienstag fand in Sachen Nord Stream 2 auch eine Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht Greifswald statt. Die DUH klagt dort gegen die Bau- und Betriebsgenehmigung für die Pipeline. Begründung: Klimaschädliche Methan-Emissionen seien bei der Genehmigung nicht ausreichend berücksichtigt worden. Das Gericht wies die Klage ab.

Ob die neue Pipeline sinnvoll oder gefährlich ist, wird derzeit breit diskutiert. Für sie spricht, dass Deutschland in den kommenden 25 Jahren noch viel Erdgas braucht, weil die erneuerbaren Energien erst ausgebaut werden müssen. Auch mit einer Verbesserung der europäisch-russischen Beziehungen argumentieren die Befürworterinnen und Befürworter. Ein Gegenargument ist die dann zunehmende Abhängigkeit von russischem Gas und das daraus resultierende Erpressungspotenzial seitens der russischen Regierung. Außerdem ist Erdgas eine fossile Energiequelle, die den Klimawandel weiter vorantreibt - das Gegenteil dessen, was etwa bei der jüngsten Klimakonferenz in Glasgow beschlossen wurde.

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