Die Verkehrsrevolution wird am Mittwoch ausbleiben

Kommentar zum Diesel-Gipfel

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Von Wolfgang Mulke

02. Aug. 2017 –

Die Dramaturgie des Diesel-Gipfels hätte auch kein Bestseller-Autor besser hinbekommen. Beinahe täglich sickern neue schlechte Nachrichten aus der Branche durch. Eine Unschuldsvermutung nach der anderen wird abgeräumt. Von den großen deutschen Herstellern steht nur noch BMW halbwegs sauber da. Sollte sich der Vorwurf von verbotenen Kartellabsprachen bestätigen, ist es auch damit vorbei. Das Herzstück der deutschen Industrie ist trotz glänzender Geschäftszahlen mit Matsch besudelt. Immer deutlicher zeigt sich, dass den Konzernen der Profit wichtiger ist als die Gesundheit von Mensch und Umwelt. Noch immer wiegeln die Manager mit einer unglaublichen Arroganz weitgehende Forderungen nach einer anderen Verkehrspolitik und nach sauberen Autos ab. In dieser Woche wird sich abzeichnen, ob sie damit auch weiterhin durchkommen. Es darf nicht mehr nur darum gehen, dem wichtigsten Industriezweig mit über einer Million Jobs den Rücken freizuhalten. Vielmehr böte die Krise die große Chance auf eine echte Verkehrswende. Noch fehlt der Politik aber der Mut dazu.

Wer eine Woche der Entscheidungen mit einem Spitzentreffen von Politik und Industrie erwartet, wird daneben liegen. Auf dem Diesel-Gipfel am Mittwoch geht es in erster Linie darum, den vielleicht wichtigsten Grundpfeiler der Wirtschaft zu stabilisieren. Das oberste Ziel lautet, Fahrverbote zu vermeiden. Sie kämen, in Wirtschaftsdeutsch gesprochen, einer millionenfachen Entwertung privaten und gewerblichen Anlagevermögens gleich. Denn wenigstens alle älteren Dieselfahrzeuge verlören kräftig an Wert.

Das bisher vorgetragene Nachrüstungsangebot der Industrie wird nicht reichen. Dieses Software-Update verbessert die Luftqualität in den Städten nach Ansicht des Stuttgarter Verwaltungsgerichts und einiger Autoexperten nur geringfügig. Das langt nicht, die europäischen Grenzwerte einzuhalten. Es ließe sich trefflich über diese Vorgaben streiten. Die Luft am Arbeitsplatz darf 20 Mal so hohe Stickoxidwerte aufweisen wie die auf der Straße. Fakten sind aber auch, dass mehr Menschen durch die Schadstoffe vorzeitig sterben als es Verkehrstote auf den Straßen gibt und nicht jeder Arbeitsplatz schadstoffbelastet ist. Den Gesundheitsschutz hat die Industrie bewusst ignoriert. Die Wortwahl mancher ans Licht gekommener interner Mail spricht Bände. Da wird „kritisch“ genannt, was schlicht verboten ist.

Die Unternehmen müssen für eine echte technische Verbesserung der Diesel-Flotten sorgen und die Kosten dafür komplett übernehmen. Der Verkehrsminister und manche Länder würden sich schon mit der kleinen Lösung des Softwareupdates zufriedengeben, wenn die betroffenen Autobesitzer oder der Steuerzahler nicht zur Kasse gebeten werden. Eine finanzielle Beteiligung des einen oder anderen wäre kurz vor der Bundestagswahl auch nicht vermittelbar. Doch auf Zusagen der Unternehmen sollte sich niemand mehr verlassen. Es muss eine klare Ansage geben, mit welchen Maßnahmen welche Umweltentlastung erreicht wird. Und die Kosten dürfen nicht sozialisiert werden.

Kurz vor dem Gipfel ist diese Botschaft in den Chefetagen immer noch nicht angekommen. Allein das Wissen um die Bedeutung ihrer Branche hat deren Bossen offenkundig das Gefühl eingetragen, unangreifbar zu sein. Das sind sie nicht, wie die jüngsten Entwicklungen zeigen. Andere Länder verbieten den Verbrennungsmotor in einer absehbaren Zeit. Die Unternehmen verlieren an der Börse an Wert. Und es stehen noch unbekannte Strafandrohungen im Raum. Dass die Amerikaner nicht zimperlich sind, wenn es um die Bestrafung auch hochrangiger Manager geht, ist hinlänglich bewiesen. Kartellabsprachen könnten ein Anlass sein, dass auch Topleute auf der Fahndungsliste landen. Etwas Demut der Verantwortlichen für das Desaster wäre angezeigt.

Die Politik trägt fraglos durch zu langes Wegschauen Mitschuld an der Entwicklung. Doch die Autohersteller haben gleich auf mehreren Ebenen versagt. Sie haben den Zukunftstrend E-Mobilität ignoriert, weil sie mit den herkömmlichen Antriebstechnologien viel Geld verdienen. Der Mut, mit dem Bau von Batteriefabrikationen das Kernstück der Wertschöpfung von Elektroautos ins Land zu holen, fehlte lange. Die Unternehmen haben sich erst spät auf die Suche nach neuen Ertragsquellen wie dem Carsharing gemacht, die durch die notwendige Vernetzung der Verkehrsträger entstehen.

Geschlafen haben die Konzerne gleichwohl nicht. Mehr als ein Drittel aller weltweiten Patentanmeldungen in Zusammenhang mit E-Mobilen stammt aus Deutschland. Man muss allerdings aus Patenten auch Produkte machen. Ohne den von Tesla ausgeübten Druck hätte sich die Branche wohl nie bewegt. Jetzt muss sie von sich aus eine Verkehrswende einleiten, wenn sie im internationalen Wettbewerb noch lange mithalten will. Sonst machen andere das glänzende Geschäft mit der Mobilität. Wie leicht dies geworden ist, zeigt neben Tesla auch die Post, die ihre elektrischen Lieferwagen mittlerweile selbst produziert.

Die Politik hätte nun die Chance, mit einem zukunftsfähigen Verkehrskonzept auf die wachsende Mobilität bei gleichzeitig immer notwendigerem Schutz der Umwelt zu reagieren. Sie sollte die momentane Schwäche der sonst übermächtigen Autolobby dafür nutzen. Ein von der Industrie finanzierter Mobilitätsfonds für saubere Luft ist wieder nur ein Feigenblatt. Auf Dauer notwendig sind Konzepte für mehr Mobilität bei einem geringeren Verkehrsaufkommen und einem sinkenden Ressourcenverbrauch. Doch darüber diskutierten am Mittwoch fast nur Politiker aus Autoländern, denen vor allem der Erhalt der Werke und der Jobs am Herzen liegt. Zur Verkehrsrevolution ruft diese Runde gewiss nicht auf.

Schließlich muss die Bundesregierung endlich dafür sorgen, dass betrogene Kunden ihre Rechte gegenüber Konzernen auch durchsetzen können. Ein guter Gesetzentwurf für eine Musterfeststellungsklage liegt vor. Ein Bekenntnis zur Umsetzung nach der Wahl wäre ein gutes Zeichen. Die Teilnehmerliste des Gipfels lässt darauf nicht hoffen. Vertreter der Verbraucher und Umweltschützer müssen draußen bleiben. Nicht einmal der zuständige Justiz- und Verbraucherminister wurde eingeladen. Die hinters Licht geführten Kunden haben keine Lobby in Bund und Ländern. Sie bleiben mit der Furcht vor dem Wertverlust ihrer Autos und drohenden Fahrverboten allein.

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