Die Verzauberung des Donald Trump

Wie das Weltwirtschaftsforum in Davos versucht, den US-Präsidenten und die Konzernchefs ein paar Millimeter voranzubringen.

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Von Hannes Koch

26. Jan. 2018 –

Die Lok des kleinen roten Zuges pfeifft. Durch den verschneiten Wald schleppt sie fünf Waggons den Berg hinauf. Enge Kurve, Tunnel, dann Kehre in die andere Richtung. Links fällt der Hang steil ab. Die Räthische Bahn zuckelt vorbei an einem kleinen Holzhaus, zwei Meter Schnee auf dem Dach. „Cavadürli“ steht auf dem verwitterten Schild der alten Bahnstation.

 

Aussteigen auf dem Pass. 1.600 Meter Höhe. Der Rollkoffer hinterlässt tiefe Spuren im Schnee. Das Haus am Wald: „Grüezi“, sagt die Vermieterin mit weißen Haaren. Von der Veranda überblickt man das Tal von Davos. Im Mondlicht schillern zu beiden Seiten die Gipfel. Es ist kalt, klar, bläulichdunkel und sehr ruhig. Man ist den Sternen nah.

 

„Sehen Sie dort oben. Da steht die Schatzalp.“ Oberhalb der Baumgrenze rechts am Hang funkeln abendliche Lichter. Dieses Luxushotel hat vielleicht Thomas Mann als Inspiration für das Sanatorium Berghof in seinem Roman „Der Zauberberg“ gedient. In dem Buch von 1924 reist der Kaufmannssohn Hans Castorp nach Davos, um einen Verwandten zu besuchen. Er will drei Wochen bleiben. Schließlich verweilt er sieben Jahre. Ein Zauber hat in befallen, der die schnelle Rückkehr in seine reale Welt verhindert.

 

Klaus Schwab glaubt an den Zauber von Davos. Vor 48 Jahren hat er diesen Ort für die Wirtschafts- und Politikelite entdeckt. Der kahlköpfige 79-Jährige ist ein freundlicher Mensch, der Interesse an seinem Gegenüber hat. Wenn man ihn in seiner Firmenzentrale im Bauhaus-Stil am Ufer des Genfer Sees besucht, die vereinbarte Gesprächszeit abgelaufen ist, und, sagen wir, der Botschafter von Saudi-Arabien anruft, entschuldigt Schwab sich vielmals. Gerne hätte er noch länger diskutiert, sagt er. Er meint es so.

 

Schwab hat eine Idee: Die Menschheit kommt voran, wenn man miteinander redet. „Verpflichtet die Welt zu verbessern“ lautet das Motto des Weltwirtschaftsforums (WEF), das Schwab gegründet hat und noch immer führt. Der alljährliche Kongress im Schnee von Davos dauert vier Tage. Angeblich sehen zumindest manche Teilnehmer die Welt ein bisschen neu, wenn sie sich in dieser Zeit mit Dutzenden Leuten unterhalten, die andere Sichtweisen auf die Dinge pflegen. Manche bleiben danach noch ein paar Tage länger als nötig - andere zumindest mental, weil die Gespräche, die sie führten, in ihnen nachwirken.

 

Donald Trump wird nicht mit dem kleinen roten Zug durch die verschneite Landschaft fahren, sondern am Flughafen Zürich in seinen blauen Marine-Hubschrauber steigen, der aus den USA herangeschafft wurde. Seit Tagen landen Transportflugzeuge der US-Luftwaffe in Zürich. Sie bringen gepanzerte Fahrzeuge und Limousinen, mit denen der US-Präsident am Donnerstag und Freitag dieser Woche durch das Bergstädtchen schaukeln soll. Den Inhalt der Fahrzeuge dürfen Schweizer Zoll und Polizei nicht inspizieren, heißt es. Insgesamt soll die Karawane des Präsidenten bis zu 2.000 Diplomaten, Helfer und Sicherheitsleute umfassen. Als Bill Clinton im Jahr 2000 als vorläufig letzter US-Präsident dem WEF seine Aufwartung machte, brachte er etwa 1.500 Angestellte mit.

 

Einen Eindruck des Sicherheitsaufwandes, der in diesem Jahr auch, aber nicht nur wegen Trump betrieben wird, bekommt man am Ortseingang. Dort hat die Schweizer Armee auf einer Wiese den improvisierten Hubschrauber-Landeplatz eingerichtet. Umzäunt wird das Areal von einer doppelten, zwei Meter hohen Sperre aus Drahtgeflecht. Alle paar Meter stehen Scheinwerfer und Kameras. In einem Tower aus Containern werden Lotsen den Flugbetrieb überwachen. Soldaten mit Sturmgewehren sichern die Anlage.

 

Nicht nur der US-Präsident verpasst die romantische Bahnfahrt, auch Kanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron oder Argentiniens Staatschef Mauricio Macri. Ebenso wie die Vorstände von Google, Facebook und anderen transnationalen Konzernen.

 

Hinter dem Flugplatz führt die ebenfalls mit Drahtgittern abgesperrte Straße hoch an den bewaldeten Berghang zum Hotel Intercontinental. Das sieht aus wie ein riesiges goldenes Ei, das auf der Seite liegt. Der repräsentative Eingang unter dem ausladenden Betonvordach ist gesperrt. Man muss rechts herum zur extra für das WEF errichteten neuen Sicherheitsschleuse mit Flughafen-Scannern. In der Lobby haben Militärpolizisten in grünen Overalls einige Mühe, ihre nervösen Sprengstoff-Suchhunde zu bändigen. Den einheimischen Kräften, so erklärt die Schweizer Einsatzleitung, obliege die Oberhoheit. Das US-Militär dürfe keine eigenen Scharfschützen einsetzen.

 

Auskunft gibt hier keiner. Freilich deutet der Aufwand, der gerade mit diesem Hotel betrieben wird, daraufhin, dass Trump im Intercontinental Station machen könnte. Abgesandte des Secret Service, der den Präsidenten bewacht, sollen in den vergangenen Tagen diverse Etagen inspiziert und gesichert haben.

 

In den Tagen des WEF ist der Ausnahmezustand für die Bürger Normalzustand. Um mehrere Hotels, beispielsweise das Steigenberger Belvedere und den Seehof gibt es große Sicherheitszonen, die nur betreten darf, wer sich mittels eines Ausweises, des sogenannten WEF-Batch, als registrierter Teilnehmer ausweist. Zahlreiche Straßen sind gesperrt, durch die verbliebenen quält sich eine nicht endende Kolonne aus schwarzen Mercedes, BMWs und Audis, dazwischen die Shuttle-Busse des Forums, die den Teilnehmern kostenlos zur Verfügung stehen. Es herrscht Dauerstau, der schon mehrere Kilometer vor der Stadt beginnt.

 

Verschärft wird dieser gerade durch außergewöhnlich starken Schneefall. Das Schnee- und Lawinenforschungsinstitut am Ort sagt, so etwas habe es zum letzten Mal 1999 gegeben. Die offizielle Schneehöhe beträgt 1,75 Meter. An den Straßen stehen Schneewände, über die man teilweise nicht mehr hinwegblicken kann. Parkplätze sind durch weiße Berge blockiert, die Lkw aus dem Stadtzentrum abtransportieren. Auf den engen, vereisten, oft steilen Gehwegen rutschen die Forumsgäste mit ihren Büroschuhen ständig aus. Viele haben die Mahnung, stabile Treter mitzubringen, ignoriert. Jetzt verteilt das WEF Spikessohlen, die man sich unter die Schuhe schnallen kann. Selbst die so zuverlässige Schweizer Bahn stellte Anfang der Woche den Verkehr hinauf nach Davos vorübergehend ein.

 

Die Vermieterin mit den weißen Haaren hat alle Fahrten für diese Woche abgesagt, die nicht unbedingt nötig sind. Sie ist Pensionärin und kutschiert für das Rote Kreuz Patienten zu Arztpraxen und Kliniken. Morgen jedoch gibt es eine Tour, die sich nicht aufschieben lässt - zum Krankenhaus quer durch die Stadt. „Das kann eine Stunde dauern“, sagt sie. Für die Gäste aus Deutschland spricht sie Hochdeutsch, sonst einen Graubündener Dialekt, bei dem man die Bedeutung der Sätze nur erraten kann.

 

Gerade die dörfliche Enge macht Davos aber auch so attraktiv. Einige der Hotels liegen gleich am Talende der Skipisten: Nach der letzten Abfahrt die Bindungen aufklappen, Ski auf die Schulter, fünf Minuten Fußweg ins Apartment, dann ins Spa.

 

Wer mit Skizug und Seilbahn ganz hinauf zum Weißfluhjoch in 2.700 Meter Höhe fährt, genießt einen sagenhaften Rundumblick über felsige, vereiste Gipfel. Bis in die Ferne reiht sich Bergspitze an Bergspitze, dazwischen tiefe Schluchten und Täler – eine harte, unwirtliche Landschaft in Weiss, Grau und Blau. Auf der anderen, südöstlichen Seite, stehen die runden Gipfel des Riner- und Jakobshorns. Die sind bei Snowboardern beliebt. Über den Flüela-Pass auf fast 2.400 Meter führt die Straße durch eine baumlose, karge Gegend, in der überall riesige Felsbrocken herumliegen, zur nahen österreichischen Grenze – wenn der Pass nicht wie jetzt wegen Schnee gesperrt ist. Etwas weiter im Süden, über ein paar Bergketten hinweg, liegt das Tal des Engadin, dahinter schon Italien.

 

Brettert man vom Weißfluhjoch nicht im Supercup-Tempo den Berg runter, dauert die Abfahrt zur Talstation in Klosters eine halbe Stunde oder mehr. An wenigen anderen Orten gibt es so lange Pisten. Mal führt die Tour über autobahnmäßig ausgebaute Skihänge mit Schildern für Rechts- und Linksabbieger, mal steht man vor gefühlt senkrechten Fallstrecken.

 

Wer jetzt hier oben Sport treibt, hat die Pisten und Lifte fast für sich alleine. Wartezeit: null. Alle Unterkünfte sind mit WEF-Gästen besetzt. In den Skiverleihen drehen sie Däumchen. Der normale Wintertourismus geht erst nächste Woche wieder los.

 

Davos mit seinen 11.000 Einwohnern ist nicht besonders hübsch. Es gibt nur wenige Straßenzüge und Ecken, in denen die traditionellen Holzhäuser mit den kleinen Fenstern und spitzen Dächern dominieren. Die vorherrschende Bausubstanz besteht aus Legostein-ähnlichen Betonhäusern mit Flachdächern, dazwischen fette Hotels. Davos ist nicht das benachbarte St. Moritz. Aber es geht schon in die Richtung. Zahlreiche Drei-, Vier- und Fünf-Sterne-Häuser konkurrieren um betuchte Kundschaft. In der Lobby des Intercontinental hängt neben den Liften ein kleiner Schaukasten von Rolex, darin eine Armbanduhr für 21.500 Schweizer Franken (rund 18.000 Euro), wohl eher ein Einsteigermodell.

 

Die Schweiz ist ohnehin teuer, Davos jedoch legt noch eins drauf. Für ein 0,3-Liter-Bier zahlt man in der Bar schon mal neun Franken (7,60 Euro). 20 Franken für eine Bratwurst mit Pommes muss man als Tourist ertragen lernen. Wobei die Einheimischen entsprechend verdienen. Zum WEF allerdings gehen manche Preise durch die Decke. Kostet ein Zimmer in sehr guten Hotels normal 500 Euro pro Nacht, darf es zur Zeit des Kongresses auch das Dreifache sein. Die Konzernchefs bezahlen es ja. Mancher private Eigentümer denkt sich: „Das kann ich auch“ - und vermietet seine Privatwohnung für 5.000 Franken pro Woche. Und nicht wenige Geschäfte an der Promenade, der Hauptstraße, schließen drei Wochen komplett, räumen alles aus und lassen eine Unternehmensberatung einziehen, die eine WEF-Lounge für ihre Geschäftskunden eröffnet.

 

Diese „Abzockerei“ zerstöre den guten Ruf des Ortes, findet die Vermieterin. Immer wieder gibt es auch öffentlich Ärger. Dann warnt der Bürgermeister oder der Hotelverband vor Übertreibungen. Und das WEF beschwert sich. Freilich machen nicht alle mit bei der Geldorgie. In Davos findet man auch Wohnungsbesitzer, die schöne Apartments für 50 Euro pro Nacht anbieten. Sie praktizieren offensive Normalität.

 

WEF-Chef Klaus Schwab hat in einem Interview mal gesagt: „Ich sehe mich fast als Künstler.“ Tatsächlich schafft er es, bei seinem Forum eine spezielle Atmosphäre herzustellen. Es kam schon vor, dass er die Konzernchefs aufforderte, sie sollten bitte ohne Krawatten kommen, man veranstalte schließlich keine Aufsichtsratssitzung. Gerne gesehen sind im Kongresszentrum Bergschuhe, selbst wenn ihre Profilsohlen Dreckspuren auf den Teppichböden hinterlassen. Alles soll ein bisschen lockerer sein, auch das Denken. Das WEF hat etwas von Bildungsurlaub, wenn auch in einer elitären Variante.

 

Und manchmal kommt es zu Augenblicken, die das Forum hinausheben über eine Veranstaltung, auf der sich Reiche darüber unterhalten, wie sie reicher werden können. 1994 diskutierten Palästinenserführer Jassir Arafat und Israels Außenminister Schimon Peres miteinander. Schließlich reichten sie sich die Hand. Ähnlich 2014: Nach langen Jahren bitterer Auseinandersetzungen sprach Irans Staatspräsident Hassan Ruhani in Davos und überbrachte eine Botschaft guter Nachbarschaft.

 

Nicht alle Teilnehmer jedoch können etwas mit dieser Atmosphäre der Konzilianz anfangen. 2009 stritt sich der damalige türkische Premierminister Recep Erdogan mit Peres auf offener Bühne über einen israelischen Militäreinsatz in Gaza. Erdogan war so erbost, dass er versprach, nie mehr in Davos zu erscheinen.

 

Und viele Manager sind sowieso in erster Linie hier, um Geschäfte zu machen. In ihren Hotelsuiten oder beim mittäglichen Hummer treffen sie sich mit Businesspartnern und handeln die nächsten Verträge aus. Das Programm im Kongresszentrum ist für sie Beiwerk. Schwab geht ihnen auf die Nerven mit seinem Die-Welt-verbessern. Steuern erhöhen, damit Geld für Bildung und Sozialprogramme da ist? Also bitte. Umgekehrt geht diese Ignoranz auch Schwab auf die Nerven. Aber er weiß, dass er die Milliardenkonzerne braucht, um sein Forum am Laufen zu halten. Schließlich ist er vor allem Eventmanager.

 

Und wie wird Donald Trump dieses Jahr beim WEF auftreten? Schwab hat bereits in der Zeit vor den Präsidentschaftswahlen das Gespräch mit ihm gesucht. Unlängst sagte er, man werde eine „gemeinsame Basis“ finden. Der WEF-Chef lässt erkennen, dass er nicht alles falsch findet, was der US-Präsident für richtig hält. Die Globalisierung der vergangenen Jahrzehnte habe tatsächlich dazu geführt, dass Industriearbeiter beispielsweise in den USA ihre Jobs verloren.

 

Aber Schwab erhebt zwischen den Zeilen auch Forderungen. Man müsse die „positiven Effekte der Globalisierung“ beibehalten, mahnt der WEF-Chef. Trump dürfe nicht aus der Weltgemeinschaft ausbrechen, solle von seinem Egoismus-Trip runterkommen. Schwab plädiert für sozialen Ausgleich, kann dem Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens positive Seiten abgewinnen. Trump dagegen hat gerade eine Steuerreform durchgedrückt, mit der die Unternehmen und privaten Kapitalbesitzer hunderte Milliarden Steuern sparen.

 

Ob die Verzauberung des Donald Trump in Davos funktioniert? Wird er eine Rede halten, die Kompromissbereitschaft signalisiert oder den 800 Zuhörern im großen Saal des Kongresszentrums von Davos schlicht ein „America First“ entgegenschleudern?

 

Thomas Manns Held Hans Castorp ließ den Zauber von Davos hinter sich und zog in den Ersten Weltkrieg. Auf dem Schlachtfeld in Frankreich verliert der Autor seine Figur aus den Augen.

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