Die Zukunft strahlt (nicht)

Kosten neuer Konzepte sind hoch, der Nutzen zweifelhaft

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Von Björn Hartmann

03. Apr. 2023 –

Mitte April ist endgültig Schluss. Deutschland steigt aus der Atomenergie aus, setzt künftig vor allem auf erneuerbare Energien, auf Wind und Strom. Andere Länder wie China bauen neue Kernkraftwerke. Und weltweit arbeiten kleine Unternehmen an Konzepten für neuartige Anlagen, die billiger und hocheffizient sein sollen. Fast macht sich eine neue Atomeuphorie breit wie in den Sechziger und Siebzigerjahren. Das meiste funktioniert bisher aber nur auf dem Papier.

Derzeit laufen weltweit dem World Nuclear Industry Staus Report zufolge 412 Reaktoren, gebaut werden 57 Anlagen. Der Anteil der Atomenergie am Weltstrommix liegt bei 9,8 Prozent, er sinkt seit Mitte der 90er Jahre. Dennoch setzen viele Länder, vor allem China, Indien und Frankreich, mit 69 Prozent Atomanteil an der Stromerzeugung Nummer 1 der Welt, auf Atomkraft. Ein Vorteil: Atomenergie stößt kein klimaschädliches CO2 aus. Ein Nachteil: Trotz jahrzehntelanger Erfahrung sind die Kosten für AKW nicht, wie erwartet, gesunken, wie eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung aus dem März 2023 zeigt. Erneuerbare Energien sind deutlich billiger. Für die USA hat das Bankhaus Lazard errechnet, dass Windstrom seit 2010, Solarstrom seit 2012 günstiger erzeugt wird als Atomstrom.

Dennoch sollen drei Ideen die Atomkraft voranbringen: Bestehende Technologien sollen weiterentwickelt werden. Sehr viele kleine standardisierte Kraftwerke die Technik günstiger machen. Und zur Hochzeit der Atomeuphorie in den Sechziger und Siebzigerjahren entwickelte, aber verworfene Konzepte mit dem Wissen von heute doch nutzbar werden. Alle Ideen haben grundsätzlich Probleme: Sie erfordern sehr viel Geld. Es dauert, bis solche Anlagen betriebsbereit sein können. wenn überhaupt.

So baut der staatliche französische Energiekonzern EdF in Flamanville an der normannischen Küste einen neuen Großreaktor mit eher klassischer Technologie und 1650 Megawatt Leistung. Die Arbeiten begannen 2007, fertig sein sollte die Anlage 2012. Inzwischen wird 2024 angepeilt. Vor allem technische Probleme plagen das Projekt. Statt 3,4 Milliarden Euro, wie geplant, kostet der Reaktor jetzt wohl 13,2 Milliarden Euro. Der Bau einer ähnlichen Anlage im finnischen Olkiluoto soll jetzt nach 18 Jahren Bauzeit mit zahlreichen Pannen ans Netz.

Großbritannien lässt mit französischer Technologie und chinesischem Geld in Hinkley Point einen neuen Großreaktor bauen. Auch hier: Die Fertigstellung verzögert sich, die Kosten steigen. Und um den Bau anzuschieben musste die britische Regierung schon vorab Stromabnahme und Strompreise garantieren, die Experten als hoch ansehen. Überhaupt stützt der Staat große Neubauprojekte in der Regel. Privatinvestoren ist das Risiko zu hoch.

Weil Großprojekte haken, denken viele Forscher und Unternehmer über neue Ansätze nach, sogenannte SMR (Small modular Reactors). Die Idee: Statt wenigen großen Atomkraftwerken werden viele kleine, standardisierte mit Leistungen um 300 Megawatt gebaut. Dank industrieller Massenfertigung sollen diese Kraftwerke günstiger sein. Vor allem die USA, Russland, China und Kanada treiben solche Projekte voran. Es gibt unterschiedliche Konzepte, etwa mit besonderen Brennstäben oder mit speziellem Salz als Kühlflüssigkeit. Derzeit sind allerdings nur sechs SMR weltweit in Betrieb. 2020 etwa ging eine schwimmende russische Anlage ans Netz – nach 13 Jahren Bauzeit. Ein Projekt in Argentinien ist seit 1970 in Planung, der Bau ist derzeit gestoppt. Zukunft ungewiss.

Das einzige deutsche SMR-Konzept ist bisher noch in der Entwicklungsphase. Der Dual Fluid Reactor (Zwei-Flüssigkeiten-Reaktor) läuft bisher nur auf dem Papier. Hinter der Idee stehen mehrere Kernphysiker aus Berlin, offizieller Sitz der Firma ist Kanada, wo die Regierung deutlich mehr Interesse für die Technik aufbringt. Der Reaktor soll mit einem flüssigen Uran-Chrom-Gemisch als Energielieferant und flüssigem Blei als Kühlung arbeiten.

Die Anlage wird bei 1000 Grad laufen. Als Brennstoff taugt nach Angaben von Dual Fluid auch Atommüll, der direkt am Reaktor aufbereitet wird. Und das Kraftwerk soll zehn Mal so effizient sein wie eine herkömmliche Anlage. Das Konzept ist weltweit patentiert. Nur: Bis die Idee serienreif ist, dauert es mindestens zehn Jahre. Die Kosten schätzt das Unternehmen bis dahin auf umgerechnet sieben Milliarden Euro, die bisher niemand investieren will.

Dual Fluid ist bei den SMR eher eine innovative Ausnahme. Das Bundesamt für die Sicherheit in der nuklearen Entsorgung hat 2021 klassische SMR-Konzepte untersuchen lassen. Danach lässt sich kaum Geld sparen. Zudem müssten im Schnitt 3000 Anlagen gebaut werden, bevor sich die industrielle Produktion lohnen würde. Ungeklärt ist zudem, was mit dem Atommüll geschehen soll, der wegen der zahlreichen Anlagen auch an vielen Stellen anfallen würde.

Auch Konzepte, die bereits bestehende, aber weitgehend verworfene Technologie nutzen soll, kommen massentauglich kaum voran. Etwa schnelle Brüter. China baut einen ersten Demonstrationsreaktor. Und die USA fördern das Privatunternehmen TerraPower, an dem auch der Microsoft-Gründer Bill Gates beteiligt ist, mit Milliarden. Eine funktionierende Anlage gibt es noch nicht. Das Konzept aus den 50er Jahren lasse sich weltweit „vor allem über Projektabbrüche beschreiben“, heißt es in der DIW-Studie.

Das Fazit: „Atomenergie war, ist und bleibt unrentabel und technologisch riskant“, sagt Alexander Wimmers, einer der Autoren der Studie. „Daran ändern auch angeblich neuartige Reaktorkonzepte nichts, die de facto ihren Ursprung in der Frühzeit der Atomenergie in den 50er und 60er Jahren haben

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