Diskussion über Abschaltung aller Kohlekraftwerke

Ab 2018 sollen die Anlagen nach und nach geschlossen werden, rät Denkfabrik Agora. Umweltministerin Hendricks positiv, Wirtschaftsminister Gabriel skeptisch

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Von Hannes Koch

11. Jan. 2016 –

Dem Atomkonsens soll der Kohlekonsens folgen: Die Berliner Organisation Agora Energiewende hat am Montag ein Konzept für die planmäßige Abschaltung der deutschen Kohlekraftwerke bis 2040 vorgelegt. Braunkohle-Tagebaue sollten nicht mehr erweitert und keine Anwohner umgesiedelt werden, sagte Agora-Chef Patrick Graichen. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks begrüßte das Konzept. Eine Sprecherin von Wirtschaftschaftsminister Sigmar Gabriel reagierte dagegen reserviert.

 

Ohne den Kohle-Ausstieg könne Deutschland seine Ziele für den Klimaschutz nicht einhalten, begründete Graichen den Vorstoß. Der Preis für Strom steige dadurch bis 2040 vermutlich um 0,3 bis 0,5 Cent pro Kilowattstunde. Die Stellungnahmen von Agora haben im politischen Berlin ein gewisses Gewicht, weil in den Gremien der Denkfabrik auch Vertreter der konventionellen Energiewirtschaft mitarbeiten. Früherer Chef von Agora war Rainer Baake, der jetzt als Staatssekretär die Energiepolitik im Bundeswirtschaftsministerium gestaltet.

 

Nach der Weltklima-Konferenz von Paris im Dezember vergangenen Jahres hatte Umweltministerium Hendricks (SPD) bereits erklärt, dass es „bis Mitte diesen Jahrhunderts keine Energiegewinnung aus Kohle, Gas und Öl“ in Deutschland mehr geben dürfe. Ihr Parteikollege Gabriel ließ am Montag mitteilen, er habe den Agora-Vorschlag „zur Kenntnis genommen“. Zur Option, die Braun- und Steinkohlekraftwerke nach und nach abzuschalten, wollte sich seine Sprecherin nicht äußern. Nach Gabriels Ansicht kann Deutschland nicht gleichzeitig aus der Atom- und Kohleenergie aussteigen. Trotzdem treibt Hendricks die Klärung dieser Frage voran. Bis zur Sommerpause 2016 will sie einen Klimaschutzplan 2050 vorlegen, den das Bundeskabinett beschließen soll. Dafür sei der Agora-Vorschlag eine „durchdachte Grundlage“.

 

Ein Sprecher des Bundesverbandes der Bundesverbandes der Energiewirtschaft sagte: „Seit geraumer Zeit fordert der BDEW einen strukturierten Dialog zur Entwicklung des fossilen Kraftwerkparks und der Erreichung der Klimaschutzziele. Dazu gehört auch die Klimaschutzziele sozialverträglich umzusetzen und die Versorgungssicherheit in Deutschland weiter zu gewährleisten.“ Das Unternehmen Vattenfall, das Kohlekraftwerke und Tagebaue betreibt, wollte den Vorschlag nicht kommentieren.

 

Agora schlägt vor, einen „Runden Tisch Nationaler Kohlekonsens“ einzuberufen. Dieser soll eine ähnliche Vereinbarung zwischen Politik und Energiewirtschaft aushandeln, wie sie der Atomkonsens aus dem Jahr 2000 darstellte. Damals hatten sich die rot-grüne Bundesregierung und die Unternehmen geeinigt, die Kernkraftwerke in einem jahrzehntelangen Prozess vom Netz zu nehmen. Graichen regt nun an, „die Kohlekraftwerke in Schritten von zunächst maximal drei Gigawatt Leistung pro Jahr - das entspricht drei bis vier großen Kraftwerken - stillzulegen und damit 2018 zu beginnen“. Die ältesten Anlagen mit dem höchsten Abgasausstoß sollten zuerst abgeschaltet werden, die letzten 2040 außer Betrieb gehen.

 

Das Konzept beinhaltet die Möglichkeit, dass die Betreiber von Braunkohlekraftwerken Restlaufzeiten zwischen verschiedenen Anlagen austauschen können, um die ökonomisch günstigste Variante zu wählen. Die Politik soll außerdem Planungssicherheit bieten, indem sie den Unternehmen zusichert, ihnen keine zusätzlichen Belastungen aufzubürden.

 

Weitere Punkte des Vorschlags: Überschüssige Emissionszertifikate sollen dem europäischen Handeslsystem entzogen werden, damit der Preis der Verschmutzungsrechte steigt – ein weiterer Anreiz für Betreiber, Kohleanlagen vom Netz zu nehmen. Die Betreiber der Tagebaue – RWE, Vattenfall und Mibrag – könnten 2,50 Euro pro Megawattstunde erzeugten Braunkohlestroms in eine Stiftung einzahlen, um die Rekultivierung der Landschaft zu finanzieren. Um neue Arbeitsplätze in den Braunkohlerevieren zu fördern, sollen diese pro Jahr 250 Millionen Euro aus öffentlichen Kassen erhalten. Schließlich muss die Politik die Preisentwicklung auf dem Energiemarkt beobachten, damit Nachteile für energie-intensive Industrieunternehmen vermieden werden.

 

Erst im vergangenen November hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf beschlossen, durch den RWE und Vattenfall acht Kohlekraftwerke stilllegen müssen. Auch dies soll dazu dienen, dass Deutschland seine Klimaschutzziele einhält. Als Entschädigung erhalten die Unternehmen insgesamt 1,6 Milliarden Euro. Derartige Zahlungen sieht das Agora-Konzept nicht vor.

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