Droge auf Rezept
Studie: Ärzte verschreiben Frauen zu viele Psychopharmaka – mit gravierenden Folgen
26. Jun. 2012 –
Frauen bekommen vom Arzt im Vergleich zu Männern zwei- bis dreimal mehr Psychopharmaka und Schlafmittel verordnet. Das geht aus dem Arzneimittelreport 2012 hervor, den die Barmer GEK am Dienstag in Berlin vorgestellt hat. Als „problematisch“ stuft Studienautor Gerd Glaeske vom Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen das Ergebnis ein. Abhängigkeit, Unkonzentriertheit und Stürze: All dies seien Folgen der Mittel.
Warum gerade das weibliche Geschlecht deutlich häufiger zu Psychopharmaka greift, darauf haben die Wissenschaftler eine Antwort: Frauen sind wahrscheinlich sehr viel häufiger bereit, über ihre Gefühle und Nöte zu sprechen. Die Antwort vom Arzt gibt es dann oftmals in Form eines Rezepts. „Bei Frauen wirken die Mittel stärker und nachhaltiger“, zeigt sich Glaeske beunruhigt. „Wir brauchen eine Negativliste, welche Ärzte verlässlich über Wirkstoffe informiert, die bei Frauen gefährliche Effekte auslösen können.“
Der Report basiert auf den Daten der rund 9,1 Millionen Menschen, die 2011 bei der Barmer GEK versichert waren. Frauen bekommen demnach eher Mittel, die auf die Psyche wirken. Männern erhalten eher solche mit Wirkung auf körperliche Störungen, vor allem des Herz-Kreislauf-Systems. Von rund 1,2 Millionen Beruhigungs- und Schlafmittenabhängigen gehen die Studienmacher aus – zwei Drittel davon Frauen im höheren Lebensalter.
Kritisch sehen die Wissenschaftler auch die Vergabe von Antibiotika beim Zahnarzt. Laut Untersuchung gibt es in den Praxen vorzugsweise ein Rezept für das Antibiotikum Clindamycin – obwohl Amoxillin die erste Wahl wäre und ersteres Mittel mehr als doppelt so teuer ist. Mehr als die Hälfte aller Antibiotikaverordnungen geht auf Clindamycin zurück. Ebenso monieren die Wissenschaftler teure Scheininnovationen, die im Gegensatz zu bisherigen Medikamenten keinen Zusatznutzen aufweisen.
Frauen bekommen zwar insgesamt mehr Arzneimittel verordnet. Auf 100 Frauen entfallen laut Studie durchschnittlich 937 Verordnungen im Jahr – 22,3 Prozent mehr als bei den Männern. Sie kommen je 100 auf 763 Verordnungen. Doch bei den Arzneimittelkosten liegen die Geschlechter nicht weit auseinander. 45.000 Euro entfallen auf 100 Frauen, 41.000 Euro auf 100 Männer.
Insgesamt hatte die Barmer GEK, Deutschlands größte gesetzliche Krankenkasse, im vergangenen Jahr Arzneimittelausgaben von rund 3,9 Milliarden Euro. Kassen-Vizechef Rolf Ulrich zeigt sich darüber erfreut: „Die Ausgaben sind nur marginal gestiegen.“ Dazu beigetragen habe das AMNOG – das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes. Am 1. Januar 2011 trat die Bestimmung in Kraft, mit dem Ziel, die rasant steigenden Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenkassen einzudämmen. Seither dürfen Pharmaunternehmen ihre Preise für Arzneimittel nicht mehr nach eigenem Ermessen festlegen.