Ehrgeiziger Klimaschutz mit Leerstellen
Regierung hat Programm zur Energieeinsparung bis 2020 vorgelegt. Keine Einigung über Kohlekraftwerke
12. Nov. 2014 –
Bedürftige Mieter von energiesparenden Wohnungen sollen ein höheres Wohngeld erhalten, Beamte für Dienstreisen mit dem Auto weniger Zuschüsse bekommen und Elektroautos steuerlich mehr gefördert werden. Das sind nur drei von hunderten Maßnahmen ihres neuen Programms zum Klimaschutz, das die Bundesregierung am Mittwoch veröffentlichte. Weil an vielen Stellen konkrete Angaben fehlen, ist aber unklar, ob das Klimaschutzziel damit zu erreichen ist.
Bundesumweltministerium Barbara Hendricks (SPD) legte das Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 vor. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) steuerte einen wesentlichen Teil dazu bei - den Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz. Die 100 Seiten sind jetzt in der Ressortabstimmung, die anderen Ministerien können ihre Einschätzungen abgeben. Beschließen will die Regierung den Katalog Anfang Dezember.
Der neue Aufschlag ist nötig, weil die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichen, um den deutschen Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase um 40 Prozent bis 2020 im Vergleich zu 1990 zu verringern. Geht es so weiter wie gehabt, schafft Deutschland bloß 32 bis 35 Prozent. Fünf bis acht Prozent zusätzlicher Einsparung fehlen also noch. Bis zum Ende des Jahrzehnts sollen die Unternehmen, Kraftwerke, Autofahrer, Mieter, Hausbesitzer und Verbraucher ihre gemeinsamen Emissionen deshalb um weitere 62 bis 100 Millionen Tonnen Kohlendioxid-Äquivalente (gefährliche Gase gemessen an der Wirkung von CO2) pro Jahr senken.
In den Papieren buchstabieren die beiden Ministerien durch, welche Bereiche der Gesellschaft und welche neuen Maßnahmen wieviel Kohlendioxid einsparen könnten. So soll der Verkehrssektor mindestens zehn Millionen Tonnen beitragen. Beispielsweise will die Regierung mehr dafür tun, dass bis 2020 tatsächlich eine Millionen Elektroautos auf deutschen Straßen fahren. Heute sind es erst wenige tausend. Ein Mittel zur Steigerung wäre, eine neue steuerliche Abschreibung für gewerblich genutzte E-Fahrzeuge einzuführen. Das soll zu einer zusätzlichen Einsparung von 700.000 Tonnen jährlich führen. Weitere Vorhaben aus der langen Liste für den Verkehr: Lkw-Maut auch für mittelschwere Fahrzeuge und auf Bundesstraßen (Einsparung: 500.000 Tonnen), geringere Zuschüsse für dienstliche Autofahrten in öffentlichem Auftrag (300.000 Tonnen).
Gabriels Plan für die Energieeffizienz erbringt den Rechnungen zufolge einen Sparbeitrag von 25 bis 30 Millionen Tonnen Kohlendioxid. So will die Regierung die energetische Sanierung von Gebäuden mit einer Milliarde Euro zusätzlich fördern. Das soll es Immobilienbesitzern erleichtern, energiesparende Heizungen oder Fenster einzubauen. Diesen Effekt beziffert das Wirtschaftsministerium mit einer Verringerung der Emissionen um 2,1 Millionen Tonnen. Zusätzliche Vorhaben sind: bessere Energieberatung, Ausschreibungen für die effektivsten Sanierungsideen, Kooperationen zwischen Industrieunternehmen.
In den Vorhabenlisten existieren allerdings auch viele offene Stellen. So traut sich das Umweltministerium bisher nicht, die Klimaschutzeffekte in Industrie, Abfallwirtschaft und Landwirtschaft konkret zu benennen. Hier fehlen noch die Absprachen mit den anderen Ministerien. Das gilt auch für den Bereich der Stromerzeugung, einem zentralen Feld der aktuellen Auseinandersetzung. Im Umweltministerium weist man daraufhin, dass Kohlekraftwerke abgeschaltet werden müssten. Dagegen warnt das Wirtschaftsministerium davor, diesen Prozess durch staatliche Eingriffe zu verstärken. Die Folge: Eine Zahl für Einsparung von CO2-Emissionen fehlt an dieser Stelle.
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Unser aller Kohlendioxid
1990, kurz nach der Wiedervereinigung, verursachte Deutschland den Ausstoß von 1.250 Millionen Tonnen Kohlendioxid und anderen klimaschädlichen Gasen pro Jahr. Zuerst durch die Abwicklung der DDR-Industrie, später durch Ernergiewende und Sparmaßnahmen sind die Emissionen bis heute auf 950 Millionen Tonnen gesunken. Bei 750 Millionen Tonnen wäre das Minus-40-Prozent-Ziel 2020 erreicht. Dieses gilt Experten als Voraussetzung dafür, dass sich die Erdatmosphäre insgesamt nicht zu stark aufheizt.