• Prof. Rudolf Hickel |Foto: Uni Bremen
    Prof. Rudolf Hickel |Foto: Uni Bremen

„Ein Schuldenschnitt ist nicht nötig“

Der linke Ökonom Rudolf Hickel beschreibt die Konturen einer Einigung zwischen Europa und Griechenland

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Von Hannes Koch

09. Jul. 2015 –

Hannes Koch: Nach dem Nein der Griechen zu den EU-Sparauflagen, vor dem EU-Rat am kommenden Sonntag: Wer muss sich mehr bewegen – Kanzlerin Merkel oder Ministerpräsident Tsipras?

 

Rudolf Hickel: Vor allem die drei Institutionen Europäische Zentralbank, EU-Kommission und Internationaler Währungsfonds. Denn deren bisherige Sanierungspolitik ist gescheitert. Sie bestand darin, Finanzhilfen zu geben, mit denen die griechische Regierung alte Kredite ablösen konnte. Die Wirtschaft erhielt jedoch kein frisches Geld. Ihr drückte man eine Austeritätspolitik auf, die die Nachfrage einschränkte und dadurch seit 2010 zum Absturz der Produktion, zum Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit auf über 50 Prozent, sowie zur Ausbreitung von Armut führte. Das muss sich dringend ändern.

 

Koch: Wie könnte ein konkretes Angebot an Griechenland aussehen?

 

Hickel: Die Institutionen sollten das Land bei einem Sofortprogramm gegen die grassierende Armut unterstützen. Die Gesundheitsversorgung muss stabilisiert werden. Der Schlüssel für eine Einigung wäre auch ein Investitionsprogramm, um den Unternehmen und Beschäftigten eine positive Perspektive zu geben.

 

Koch: Was halten Sie von der Forderung der griechischen Regierung, die Staatsverschuldung von mittlerweile 180 Prozent der Wirtschaftsleistung zu reduzieren?

 

Hickel: Einen Schuldenschnitt im Sinne der Annullierung eines Teils der Schulden braucht es jetzt gar nicht. Man könnte die Verbindlichkeiten auch umstrukturieren, einfach gesagt: auf die lange Bank schieben. Vornehmlich geht es ja darum, dass die griechische Regierung nicht durch hohe Rück- und Zinszahlungen stranguliert wird. Dabei sollte man auf einen Mechanismus zurückgreifen, von dem beispielsweise Deutschland bei seiner Umschuldung nach dem 2. Weltkrieg profitierte. Zinsen und Tilgungen wären nur dann zu leisten, wenn die Wirtschaft Griechenlands wieder wächst.

 

Koch: Die griechische Regierung müsste ebenfalls zu Zugeständnissen bereit sein – zu welchen?

 

Hickel: Sie muss den Militäretat kürzen. Da lassen sich jährlich hunderte Millionen Euro einsparen. Der dringendste Handlungsbedarf besteht aber in der Steuerpolitik. Höhere Abgaben für große Einkommen und Vermögen können dazu beitragen, den Staatshaushalt wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Steuerflüchtlinge sollten ernsthaft verfolgt werden. Da ist bisher zu wenig passiert.

 

Koch: Rentenkürzungen – müssten die Griechen auch solche Kröten schlucken?

 

Hickel: Nein. Die Renten zu senken, während den Unternehmen Nachfrage fehlt und die Armut sich ausbreitet, führt nur weiter in die Krise. Außerdem sind die Altersbezüge schon acht Mal verringert worden. Richtig wäre es allerdings, wenn sich die griechischen Arbeitnehmer nicht mehr so früh in die Altersruhe verabschieden könnten wie bisher.

 

Koch: Sollte die Europäische Zentralbank (EZB) die Notkredite für griechische Institute erhöhen?

 

Hickel: Diese zu begrenzen, wie es zur Zeit geschieht, ist falsch. Das widerspricht dem Auftrag der Europäischen Zentralbank, den Geldverkehr aufrechtzuerhalten.

 

Koch: Bundesbank-Chef Jens Weidmann sagt, dass die Zentralbank quasi zahlungsunfähige Institute wie die griechischen gar nicht mehr finanzieren dürfe.

 

Hickel: Das sehe ich ganz anders. Die EZB muss im Rahmen ihrer Funktion der Geldversorgung der griechischen Nationalbank ermöglichen den Geschäftsbanken ausreichend Bargeld für die Bankautomaten zur Verfügung zu stellen. Schließlich ist Griechenland Euro-Mitglied.

 

Koch: Können die übrigen 18 Euro-Staaten nicht auch ganz gut ohne Griechenland auskommen?

 

Hickel: Der Grexit wäre für alle Beteiligten eine Katastrophe – und für Deutschland furchtbar teuer. Griechenland würde ja nicht verschwinden. Auch ein armes, abgekoppeltes Land am Mittelmeer muss man finanziell unterstützen. Und ich warne vor den Folgen für den gesamten Euroraum: Dieser würde fragiler, nicht stabiler.

 

Koch: Welches ist Ihr wichtigstes Argument für den Zusammenhalt des Euroraumes?

 

Hickel: Der Euro ist die monetäre Kernsubstanz des gemeinsamen Europa. Fortschritt – auch im Sinne von Menschenrechten und Demokratie – schaffen wir nur zusammen, nicht alleine.

 

Bio-Kasten

Prof. Rudolf Hickel (73) hat das Institut Arbeit und Wirtschaft (IAW) an der Universität Bremen gegründet und ist dort Forschungsleiter für Finanzpolitik.

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